Kinorevolution: China bestimmt, was Hollywood dreht

Dieses Publikum verändert, was wir im Kino sehen werden
China ist bald der weltgrößte Kinomarkt. Hollywood übt schon den Kniefall vor dem Milliardenpublikum

Alles scheint verloren. Die Raumfahrtbehörde NASA ist mit ihrem Latein am Ende. Für den amerikanischen Astronauten, der auf dem Mars festsitzt, gibt es keine Rettung mehr – so scheint es.

Doch dann, in letzter Sekunde, springen die Chinesen ein. Sie leihen den amerikanischen Kollegen überraschend eine Rakete: "Das verdanken wir meinem Onkel Tommy in China", grinst ein asiatisch-amerikanischer NASA-Mitarbeiter.

Und bei der finalen Rettungsaktion von Mark Watney zittern dann die Menschen in New York, London und – Peking um das Schicksal des Astronauten; also die gesamte englisch-sprachige Welt und China. Tatsächlich erzählt Ridley Scotts vorzügliches Scifi-Meisterstück "Der Marsianer – Rettet Mark Watney" (Kinostart: Freitag) nicht nur, wie man auf dem Mars Erdäpfel anbauen kann.

Sondern auch viel über die neue amerikanisch-chinesische Freundschaft.

Immer mehr Hollywood-Studios orientieren sich in ihrer Filmproduktion an den Vorlieben des chinesischen Publikums, streben chinesische Ko-Produktionen an (wie "Iron Man 3", "Transformer: Age of Extinction", "Fast & Furious 7") oder drehen gleich selbst chinesische Filme: So hat das Warner Bros. Filmstudio ein Joint Venture mit China Media Capital angekündigt, um Filme für den chinesischen Markt zu produzieren.

Chinesische Dominanz

Dabei geht es, wenig überraschend, ums Geld.

Denn ab dem Jahr 2018, so prophezeien es Branchen-Beobachter der Filmindustrie, wird China mit seinem Massenpublikum den US-Markt überholt haben und die Einspielergebnisse weltweit dominieren.

Die Wachstumsraten sind atemberaubend: 15 neue Kinosäle gibt es in China – und zwar jeden Tag. Von Jänner bis März entstanden 554 neue Kinos mit 2800 Leinwänden. Zuletzt waren es insgesamt 5660 Kinos mit 28.000 Leinwänden. Zum Vergleich: In den USA gibt es 40.000 Kinosäle.

Noch dazu ist das chinesische nicht derart kinomüde wie Teile des westlichen Publikums. Und so ist es kein Wunder, dass im Februar die Einnahmen an den chinesischen Kinokassen (650 Millionen Dollar) erstmals die der USA (640 Millionen) überstiegen.

Wo so viel Geld ist, hört Hollywood hin. Und so hat das chinesische Publikum längst Einfluss auf die Filme, die in der Traumfabrik produziert werden. Immer mehr von dem, was wir sehen, sehen wir wegen der Chinesen.

Und auch umgekehrt.

Glaubt man dem Guardian, dann wird es in Zukunft weniger Big-Budget-Action-Komödie wie etwa den neuen "Ghostbusters"-Film geben. Schräger Humor, der es womöglich nicht durch die chinesische Zensurbehörde schafft – nein, danke.

Fettes Fantasy-Blockbuster-Kino mit vielen Spezialeffekten aber ist in China der Knüller. Das beweist etwa der sensationelle Erfolg von Michael Bays Transformer-Fortsetzung "Age of Extinction": Er galt bis letztes Jahr überhaupt als der erfolgreichste Film, den die chinesischen Leinwände je gesehen hatten. Und die chinesischen Kinogeher retteten große Hollywood-Blockbuster, die an den heimischen Kinokassen abgestunken wären. Dass es eine Fortsetzung von Guillermo Del Toros Roboter-Schlachtfest "Pacific Rim" geben wird, verdankt es nicht zuletzt seinem großen Erfolg in China.

I’ll be back in China

Auch Arnold Schwarzenegger darf womöglich mithilfe seiner chinesischen Fans wieder aus der Pension zurückkehren: Seine Terminator-Oldies-Version "Genisys" erhielt in den USA schlechte Kritiken und niedrige Einspielergebnisse; doch der chinesische Enthusiasmus rettete "Genisys" vor dem Flop – und sorgt vielleicht sogar noch für eine Fortsetzung.

Was bedeutet nun die chinesische Dominanz an den globalen Kinokassen für die Entwicklung des amerikanischen Blockbuster-Kinos?

Es führt zu kuriosen Zwischenspielen. Die in China berühmte Pop-Sängerin und Schauspielerin Fan Bingbing hatte einen Kurzauftritt in "Iron Man 3" – allerdings nur in China. Für die westliche Fassung wurde sie wieder herausgeschnitten.

Apropos herausgeschnitten: Zensur ist eine Hürde in der schönen neuen Kinowelt. So gelang es Brad Pitt nicht, seinen Apokalypse-Thriller "World War Z" in China zu zeigen; und das, obwohl der inkriminierte Satz, wonach die Zombie-Epidemie in China ihren Ausgang genommen habe, herausgelöscht worden war. Gegenüber den eigenen, kritischen Filmemachern verhält sich die chinesische Regierung ohnehin hart: 2014 wurde das Beijing Independent Film Festivals untersagt, das Zensursystem macht unabhängigem chinesischen Filmschaffen das Leben schwer bis unmöglich.

Blockbuster-Kino made for China könnte also bedeuten: Kein Sex, denn die Zensurbehörden sind berüchtigt für Prüderie. Und keine Politik, die die chinesische Regierung verärgern könnte.

Lektion in Demut für Hollywood

Aber die Millionen fließen nicht nur in Richtung USA: Auch chinesische Investoren zeigen Interesse daran, in das US-Filmgeschäft zu investieren. So wurde beispielsweise ein chinesisch finanziertes Animationsstudio in Kalifornien eröffnet, das von ehemaligen DreamWorks-Managerinnen geführt wird.

Dort will man Animation auf höchstem Niveau produzieren – nicht nur für den chinesischen, sondern für einen globalen Markt. Die künstlerischen Entwürfe werden in Culver City durchgeführt, doch die arbeitsintensiven Ausführungen finden in China statt – mittlerweile Nummer 1 in der Animationsproduktion. Dort sind auch die Arbeitskräfte billiger.

Auch viele Hollywood-Studios produzieren arbeitsintensive Spezialeffekte und Animationen längst in China. Das dürfte schwierig werden für Osteuropa: Denn Prag oder auch Ungarn haben versucht, sich als globalisierte Außenstellen für Hollywood-Studios zu positionieren. Doch mit den niedrigen Kosten in China können die europäischen Produzenten nicht mithalten.

Schwierigkeiten

Doch Geschäfte mit China, so mussten auch die mächtigen Studiobosse feststellen, sind nicht immer leicht. So hat der renommierte Agent Jeff Berg einen Millionendeal mit chinesischen Partnern abgeschlossen. Glaubte er zumindest: Obwohl es schon Galadinner und große Präsentationen der neuen Partnerschaft gegeben hat, hat die chinesische Seite ihre Zusage schlicht nicht eingehalten, berichtete die Los Angeles Times. Manche Deals würden von chinesischer Seite nur abgeschlossen, um das Filmgeschäft kennenzulernen – also Geschäftsgeheimnisse und Verhandlungsstrategien auszukundschaften.

Der immer kampfbereite und mächtige Filmproduzent Harvey Weinstein wiederum biss sich an den chinesischen Behörden die Zähne aus. So musste er 2008 die Dreharbeiten zu dem von ihm produzierten Film "Shanghai" unterbrechen, weil ihm die Drehgenehmigung in China weggenommen wurde. Anlass: Aufgrund der gespannten chinesisch-japanischen Beziehungen wollte man durchsetzen, dass der Japaner Ken Watanabe durch einen amerikanischen Schauspieler ersetzt würde. Weinstein weigerte sich.

"Heute will jeder gute Beziehungen zu China haben", sagte er zum Hollywood Reporter, "aber dieser Vorfall muss ausdiskutiert werden. Dazu muss man allerdings auch sagen, dass sich das Verhalten der chinesischen Regierung verändert hat und man offener und interessierter geworden ist, Geschäfte mit den Amerikanern zu machen."

Juniorpartner

Hollywood muss auch etwas Neues lernen: Demut nämlich. Denn die großen Studios müssen oft auch die Rolle als Juniorpartner einnehmen. Manche chinesische Produktion verdient längst mehr als amerikanische: So ist der weltweit erfolgreichste Komödien-Regisseur kein Amerikaner. Sein Name? Xu Zheng. Der nahm mit "Lost in Hong Kong" am Eröffnungswochenende 106 Millionen Dollar ein. Zum Vergleich: Die heuer erfolgreichste US-Komödie, "Pitch Perfect 2", brachte es auf 69 Millionen.

Eine Reihe von Hollywood-Stars drehte bereits ihre Promi-Promotionrunden durch China. Auch wenn die amerikanisch-chinesische Liebesbeziehungen durch eine Quotenregelung seitens der Chinesen getrübt werden: Pro Jahr sind nur 34 ausländische Filme in den Multiplex-Kinos gestattet. Eine schmerzhafte Einschränkung für den US-Export, von dem die Amerikaner hoffen, dass er bald erleichtert wird. Eine chinesische Ko-Produktion bietet sich da als Lösung an – etwa für James Cameron und die Fortsetzung von "Avatar" rund um die Außerirdischen Na’vis: "Dann haben wir eben chinesische Na’vis."

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