Kino: In der Falle von Dünkirchen

Eingekesselte Soldaten am Strand von Dünkirchen: Christopher Nolans „Dunkirk“
Christopher Nolan erzählt in "Dunkirk" die Schlacht von Dünkirchen als niederschmetternden Suspense-Thriller.

Seit den ersten Vorführungen von Christopher Nolans Kriegs-Blockbuster "Dunkirk" (in Österreich: ab Freitag) werden die Bestenlisten neu geschrieben. Filmkritiker flippen aus vor Begeisterung. International erhält "Dunkirk" Höchstbewertungen: Das sei Nolans bislang bester Film, jubelt The Guardian, der San Francisco Chronicle beschließt: "Einer der besten Kriegsfilme, der jemals gedreht wurde."

Christopher Nolan ist selbst der größte Star von "Dunkirk". Zu Wasser, zu Land und in der Luft stellt der britische, mittlerweile 46-jährige Auteur-Regisseur seine visuelle und erzählerische Meisterschaft in die Auslage. Bereits mit seinem Traum-Thriller "Inception" oder der Batman-Trilogie "Dark Knight" hat er dem Science-Fiction-Genre und den Superhelden seinen prägnanten Stempel aufgedrückt. In "Dunkirk" entfesselt er nun seine Handschrift im Dienste des Kriegsfilms – und tut dies mit gigantischer Sogwirkung.

Auf dem Spiel steht die Evakuierung von knapp 400.000 alliierten Soldaten: Diese wurden 1940 in der französischen Hafenstadt Dünkirchen von den Deutschen eingekesselt und sollten in einer prekären Aktion, die als "Operation Dynamo" in die Geschichte einging, gerettet werden.

Nolan erzählt die den Zweiten Weltkrieg mitentscheidende Schlacht gegen den Faschismus in bester Hitchcock-Manier – als rastlosen Thriller mit unzähligen Countdowns. Ein tickendes Geräusch auf der Tonspur treibt die atemlose Handlung vor sich her und spaltet sie in Myriaden von Mini-Dramen: Wird es der Pilot rechtzeitig aus seinem sinkenden Flugzeug schaffen? Können die Soldaten vor dem Ertrinken gerettet werden?

Kino: In der Falle von Dünkirchen
Christopher Nolan: "Dunkirk"

Dabei hat sich Nolan ganz dem immersiven Kino verschrieben und zielt direkt auf unser Nervensystem ab: Der Krieg wird als fundamentaler Angriff auf den menschlichen Körper erzählt, nicht als strategisches Planspiel.

Angeschossene Schiffe gehen unter wie die Steine. Ganz anders als in "Titanic", wo sich das Versinken in dramatische Länge zieht, saufen die Boote mit tödlicher Geschwindigkeit ab. Zügig inszeniert Nolan den Untergang als Frage von Minuten, die über Leben und Tod entscheiden. Wirbelnde Körper unter Wasser suchen nach einem Ausgang aus einem Schiffsbauch oder tauchen durch brennende Ölfelder.

Dann wieder wird die Kamera in die Höhe gerissen und gibt gottähnliche Perspektiven auf die Unendlichkeit des Meeres frei. Der Lärm von explodierenden Bomben und knallenden Schüssen bohrt sich ins Trommelfell. Nervöse Geigenklänge, komponiert von Hans Zimmer, sägen auf dem Soundtrack und bilden den symphonischen Resonanzraum für die fast dialogfreien Bilder.

IMAX

Und diese Bilder sind die wahre Sensation von "Dunkirk": Gedreht wurde auf einer Kombination von 65mm IMAX und traditionellem 65mm Filmmaterial (heutzutage höchst ungewöhnlich!), wobei der Einsatz von IMAX-Kameras sehr kompliziert ist – nicht zuletzt deswegen, weil sie notorisch laut aufnehmen und sich am besten für die Verfilmung von Actionsequenzen eignen. In vollem Breitwandformat entfaltet sich die prächtige Strandlandschaft von Dünkirchen in formvollendeter, melancholischer Schönheit. In verhangenen Farben breitet sich endloser Sand Richtung Meer aus. Ein makelloser Anblick, wäre da nicht das Elend unzähliger Soldaten, die in Todesangst Menschenschlangen bilden; und wären da nicht die Flugzeuge, die den stillen Strand zum Explodieren bringen. Die Brillanz der Bilder steht in brutalem Gegensatz zu dem, was sie erzählen, monumental und intim zugleich.

Wasser, Land, Luft

Drei Perspektiven kreisen die Schlacht von Dünkirchen ein. Aus der Luftsicht eines britischen Bomberpiloten – Tom Hardy, der nur mit seinen Augen spielen kann, weil er eine Gesichtsmaske trägt; zu Wasser, wo sich ein ziviles Rettungsboot unter Führung von Mark Rylance dem Strand nähert. Und aus der Perspektive junger Soldaten am Strand – darunter der exzellente Newcomer Fionn Whitehead und Harry Styles (von der Brit-Boygroup One Direction).

Zusätzlich staffelt Nolan die Spannung durch für ihn charakteristische Zeitsprünge: Machmal prescht die Erzählung vor, dann wieder fällt sie zurück – zuweilen mit verwirrenden Effekten.

Doch so smart und meisterhaft der Regisseur seinen – bislang kürzesten Film – auch komponiert hat, lässt er sich schließlich doch zum Pathos hinreißen. Auch die unablässige Musik auf der Tonspur, die zu Beginn so toll-irritierende Klangräume eröffnet, verwandelt sich zunehmend in Ohrenkleister.

Aber egal. Christopher Nolans "Dunkirk" ist gleichermaßen niederschmetternd und erhaben – und dabei am ganzen Körper spürbar.

INFO: NL/GB/F/USA 2017. 106 Min. Von Christopher Nolan. Mit Tom Hardy, Kenneth Branagh.

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