"Kinder sind herrlich gnadenlos"

Pollicino
René Zisterer inszeniert Hans Werner Henzes Kinderoper "Pollicino" im großen Haus. Der Regisseur im Interview.

Am Sonntag beginnt in der Wiener Staatsoper gewissermaßen eine neue Zeitrechnung. Erstmals seit 12 Jahren gibt es wieder eine Kinderoper im großen Haus. Das sogenannte „Kinderzelt“ am Dach der Oper hat nach Aussagen von Direktor Dominique Meyer wohl bald in dieser Form ausgedient.

Aber eine Kinderoper, im konkreten Fall Hans Werner Henzes „Pollicino“, auf der großen Bühne – geht das überhaupt? „Ja“, sagt Regisseur René Zisterer, der Henzes Vertonung des Märchens vom „Kleinen Däumling“ mit Kindern und für Kinder in Szene setzt. „Wir haben darauf geachtet, dass nur Sitzplätze zum Verkauf angeboten werden, bei denen eine optimale Sicht gegeben ist.“

Aktiv ins Publikum

"Kinder sind herrlich gnadenlos"
Zisterer weiter: „Aber natürlich ist es auch eine szenische Herausforderung, das junge Publikum so nahe wie möglich an die Akteure heranzuführen. Meine Ausstatterin Maria-Elena Amos und ich haben uns dafür etwas ausgedacht. Es wird einen großen Steg geben, mit dessen Hilfe die Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum überwunden wird. Das heißt: Wie wollen aktiv ins Publikum gehen.“

Hat Zisterer – „Pollicino“ ist seine erste Regie im Raus am Ring – vor diesem jugendlichen Publikum Respekt? „Und wie! Kinder sind das beste, weil das ehrlichste Publikum der Welt. Sie verzeihen einem nichts, sagen schonungslos ihre Meinung. Kinder sind herrlich gnadenlos. Und das ist in einer Zeit, in der unsere angeborenen kreativen Fähigkeiten durch eine ziemlich platte Gesellschaft mehr und mehr zurückgedrängt werden, einfach großartig. Wenn es uns gelingt, die Kinder für Oper, für die Musik zu begeistern, haben wir viel erreicht. Ich glaube fest daran, dass in der Kunst die geistige Zukunft liegt.“

Überlebensfrage

Für Zisterer, der seit Herbst 2010 der Direktion der Staatsoper angehört und ab der nächsten Saison als Oberspielleiter am Ring tätig sein wird, sind Oper und Theater eine „Überlebensfrage“. Als Begründer und einstiger Leiter des Tiroler „Augenspieltheaters“ hat er Erfahrungen im Sprechtheater gesammelt. Als freier Regisseur hat er u. a. an der Wiener Volksoper Carl Orffs „Die Kluge“ inszeniert, ehe er auch an deutsche Theater engagiert wurde. Mozarts „Zauberflöte“ in Köln und Verdis „La forza del destino“ in Darmstadt wurden vom Publikum geliebt und vom Feuilleton gewürdigt. „Ich freue mich, dass dieser Spagat geglückt ist. Denn oft ist es ja so, dass die Kritik eine Produktion feiert und das Publikum nicht. Oder umgekehrt.“

Wird der gebürtige Österreicher also weiterhin Regie führen? „Sehr, sehr gern. Im nächsten Jahr jedoch nicht. Da konzentriere ich mich ganz auf meine Funktion als Oberspielleiter der Staatsoper. Da ist genug zu tun.“

Der Jugend eine Chance

Zuvor aber gilt es, Henzes „Pollicino“ erfolgreich für Kinder und mit Kindern zu präsentieren. Henze, der vor genau sechs Monaten gestorben ist, schrieb das Werk bekanntlich 1980 für sein eigenes Festival in Montepulciano – mit dem Ziel, Kinder aktiv in die Musik einzuführen. Zisterer: „Wir haben die Kinder- und Tierrollen komplett mit Schülern der Opernschule besetzt. Und das Bühnenorchester der Staatsoper musiziert gemeinsam mit Schülern des Musikgymnasiums Neustiftgasse. Da gab es Castings, die Darsteller alternieren, und ich kann sagen: Das Niveau ist extrem hoch. Es ist eine Freude, mit diesen großartigen jungen Menschen arbeiten zu dürfen.“

Doch ist die Geschichte vom „Kleinen Däumling“ – da werden immerhin Kinder ausgesetzt, und es gibt auch Menschenfresser – für Kinder nicht doch zu grausam? „Nein, ich denke nicht. Man sollte Kinder nicht unterschätzen. Sie wissen oft besser mit extremen Situationen umzugehen, als Erwachsene. Noch dazu ist ,Pollicino‘ in erster Linie ein Märchen, eine fantastische Oper, ein im eigentlichen Sinne des Wortes ,Schau-Spiel‘. es ist nur wichtig, die Begeisterung für dieses doch manchmal seltsame Genre ,Oper‘ zu wecken. Und am Ende wird ja alles gut.“

Hans Werner Henzes (1926– 2012) „Pollicino“ wurde 1980 in Montepulciano uraufgeführt.

Staatsoper

Regie: René Zisterer. Ausstattung: Maria-Elena Amos. Dirigent: Gerrit Prießnitz. Alternierende Besetzung. Premiere: 28. April.

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