Mit Familienpackung Humor an der Schmerzensorgel

Maria Köstlinger, Peter Kremer, André Pohl, Alexander Absenger und Toni Slama: Virtuose Kafka-Forscher in der Josefstadt.
Ein ganz großer Erfolg: Elmar Goerdens packende "Kafka"-Montage in der Josefstadt.

Interessant – innerhalb von 24 Stunden konnte Wien zwei völlig unterschiedliche Auffassungen von Theater erleben. Zuerst den "Sommernachtstraum", Michael Schottenbergs knallbunte, überschäumende, kalorienreiche Fantasieschlachtplatte zur Abschiedsparty im Volkstheater; am nächsten Abend "Kafka" in der Josefstadt, aufs Nötigste (nämlich die Sprache) reduziertes Ausstattungsverweigerungstheater. Im Volkstheater gab es sehr freundlichen, langen Applaus – in der Josefstadt dagegen den ganz großen Jubel vom Premierenpublikum.

Fünf (wirklich großartige) Darsteller, eine bis auf ein weißes Streifenmuster völlig kahle Bühne, ein paar Bilderrahmen und Kopfpolster, Kafkas Sprache und eine Familienpackung herrlich absurden Humors: Mehr braucht Regisseur und Projektleiter Elmar Goerden nicht, um einen packenden Theaterabend zu montieren.

Goerden, der an der Josefstadt 2012 mit Ibsens "John Gabriel Borkman" (Helmuth Lohner!) einen großen Erfolg feierte, montierte Texte aus dem riesigen Nachlass von Kafka – vor allem aus Briefen, Fragmenten, Tagebucheintragungen – zu einer frei assoziierenden, aber nie den Faden verlierenden Collage.

Das Spannende dabei: Der Abend ist nie "kafkaesk". Hier gibt es keine ungreifbaren, sich hinter kalt mahlenden Bürokratiezahnrädern verbergenden Mächte. Man erlebt einen anderen Kafka: Einen verzwickten, detailvernarrten Pedanten, der seine Geliebten mit obsessiven Stalking-Briefen traktiert. Einen Soziopathen, der versucht, seine Alltagsunfähigkeit durch ordnungswahnhafte Planung zu bewältigen und sich nach dem Aufgehen in der Kunst sehnt.

Humor!

Entscheidend für das Gelingen dieses großartigen, 90 Minuten kurzen Abends ist Goerdens Sinn für Humor. Dabei gelingen ihm fast Monty-Python-artige Bilder. Gleich der Beginn ist hinreißend: Ein Darsteller baut sich aus verschieden langen Kerzen eine Art Schmerzens-Orgel. Er hält die Hand über die Flammen, stößt Schmerzenslaute in verschiedenen Tonhöhen aus, während die anderen "Froh zu sein bedarf es wenig" im Kanon singen.

An Jacques Tati erinnert die Szene, in der sich ein Darsteller die Badehose unter dem Bademantel auszieht, während es ein anderer schafft, die lange Hose unter der Badehose anzuziehen, ohne, dass man etwas Nacktes sieht – ein umwerfend komisches, artistisches Ballett der Verklemmung.

Größtes Lob gilt den Darstellern: Maria Köstlinger, Toni Slama, André Pohl, Alexander Absenger und Peter Kremer spielen sich virtuos kreuz und quer durch Kafkas seelische Irrgärten.

KURIER-Wertung:

Kommentare