Julia Jentsch: "Letztlich muss die Frau entscheiden"

Spätabtreibung oder nicht? Julia Jentsch spielt eine Mutter, die mit ihrem zweiten Kind im sechsten Monat schwanger ist und die Diagnose bekommt, dass ihr Baby schwer behindert ist – „24 Wochen“
In dem Drama "24 Wochen" erfährt eine Frau, dass sie ein schwer behindertes Kind erwartet.

In Polen wird gerade an einem Beinahe-Totalverbot für Abtreibung gefeilt. In Deutschland und Österreich darf man eine Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen abbrechen. Sollte eine medizinische Indikation vorliegen, ist ein Abbruch bis zur Geburt möglich.

Mit dieser Option ist das Paar in dem nüchternen deutschen Drama "24 Wochen" (derzeit im Kino) konfrontiert: Julia Jentsch spielt eine Kabarettistin, die gerade ihr zweites Kind erwartet und erfährt, dass ihr Baby schwer behindert ist. Im sechsten Schwangerschaftsmonat muss sie entscheiden, ob sie das Kind bekommen will oder nicht. Ein Gespräch mit Julia Jentsch (38) über schwere Entscheidungen.

KURIER:Sie spielen eine schwangere Frau, die entscheiden muss, ob sie ein behindertes Kind zur Welt bringen will oder nicht. Hatten Sie anfänglich Zweifel, ob Sie diese doch sehr "schwere" Rolle überhaupt übernehmen wollen?

Julia Jentsch: Ja, anfänglich spürte ich schon ein bisschen Widerstand in mir und habe mir überlegt, ob ich mich wirklich so lange Zeit mit diesem Thema intensiver beschäftigen möchte. Das Drehbuch selbst fand ich toll geschrieben, die Thematik wichtig – aber gleichzeitig hat es mich auch ganz schön erwischt, weil es doch sehr heftig ist. Ich wusste, das wird mich die nächsten Monate begleiten – und da stellt sich schon die Frage, was das mit einem selbst macht. Gleichzeitig war ich aber doch am Projekt interessiert und habe die Regisseurin Anne Zohra Berrached getroffen. Diese Begegnung hat den Ausschlag gegeben, um mich zu entscheiden. Und durch die Fokussierung auf die Arbeit bekommt man auch viel Kraft und Freude – da spielt die Angst vor negativen Gefühlen keine Rolle mehr.

Wie haben Sie die Umstände, in denen sich Paare in so einer Situation befinden, recherchiert?

Die Regisseurin hatte bereits viel Recherche für den Stoff betrieben, und das konnte ich gut nutzen – von Zeitungsausschnitten bis hin zu Tonbandaufnahmen von Paaren, mit denen sie gesprochen hat. Ein betroffenes Paar habe ich selbst kennen gelernt und das hat mich sehr beeindruckt. Es war auch eine Bereicherung, mit Menschen ihre schmerzhaftesten Erinnerungen zu teilen.

Hatten Sie das Gefühl, dass der Schwangerschaftsabbruch bei einem behinderten Kind ein starkes Tabuthema ist?

Es ist ein schwieriges Thema und ich habe gemerkt, wie wenig darüber geredet wird. Es ist sowohl gesellschaftlich, als auch persönlich schwierig, den Raum zu finden, um es anderen mitzuteilen. Und man wünscht sich ja so stark, wenn man das Drehbuch von "24 Wochen" liest, dass das Paar das Kind bekommt. Aber die Regisseurin hat mir dann gesagt, dass die Realität anders aussieht. 90 Prozent der Paare entscheiden sich gegen das behinderte Kind.

Der Film betont sehr stark, dass Sie und Bjarne Mädel, der Ihren Freund spielt, eine enge Beziehung haben, letztlich aber die Entscheidung doch bei Ihnen, der Frau liegt.

Ja, ich fand es gut, dass gezeigt wird, wie ein Paar betroffen ist. Schließlich handelt es sich ja um das gemeinsame Kind, und jeder hat seine Gefühle, Träume, Wünsche und Hoffnungen. Was da der Schmerz mit beiden Personen macht, und dass der Mann nicht außen vor gelassen wird – das zu zeigen finde ich gut und wichtig. In den Gesprächen, die ich geführt habe, waren die Männer auch genauso emotional wie die Frauen. Trotzdem muss letztlich die Frau entscheiden, denn es ist ihr Körper. Und auch bei einem Eingriff setzt sie ihre Gesundheit aufs Spiel.

"24 Wochen" legt auch dem Publikum die Frage nahe, "Was würde ich tun?". Haben Sie für sich eine Antwort gefunden?

Diese Frage kommt natürlich mit der Beschäftigung des Stoffes auf. Trotzdem bleibt es für mich ganz schwer, sie eindeutig zu beantworten. Das kommt vielleicht auch daher, dass ich durch die vielen Gespräche sehr unterschiedliche Schicksale kennengelernt habe und es auch ganz stark davon abhängt, in welcher Gesamtsituation sich die Frau gerade befindet. Man muss die Geschichten ganz individuell betrachten und auch die individuellen Entscheidungen akzeptieren. Ich kann nicht sagen, wie ich in einer Schwangerschaft auf welche Diagnose wie reagieren würde. Wieweit ich sagen könnte, ja, dieser Herausforderung stelle ich mich – und ab wann ich ins Wanken geraten würde. Das weiß ich wirklich nicht.

Sie spielen auch eine sehr erfolgreiche Kabarettistin, die vor Live-Publikum auftritt. Ist an Ihnen eine Komödiantin verloren gegangen?

Dieser Teil war auch eine sehr große Herausforderung für mich. Der Beruf des Kabarettisten, der allein auf der Bühne steht und mit seinen eigenen Texten das Publikum unterhält, ist mir doch sehr fremd. Und davor habe ich großen Respekt. Ursprünglich hatte ich mir ja vorgestellt, dass es einen Raum mit Statisten geben würde und wir gemeinsam den Auftritt proben. Aber das war nicht möglich, weil die Regisseurin in den Originalshows, mit Originalmoderatoren und Originalpublikum drehen wollte. Das ist für ihren Stil sehr wichtig – diese Mischung aus Fiktion und realem "Personal". Auch in den Spitalszenen waren die Ärzte ja auch tatsächlich Ärzte und keine Schauspieler. Insofern war es auch wichtig, Moderatoren und Shows zu finden, die bereit waren, da mitzumachen. Es waren aber immer nur ein paar Minuten, die wir bekamen. Das heißt, wir mussten in die Live-Shows hinein – entweder, bevor es losging oder am Ende. Dann konnte ich zwei Mal auftreten, und das war’s schon. Das war extrem aufregend (lacht). Aber ein einmaliges Erlebnis.

Zu Ihren berühmtesten Rollen gehören "Die fetten Jahre sind vorbei" (2004) und "Sophie Scholl – Die letzten Tage" (2005), beides gesellschaftspolitisch engagierte Filme. Ist Ihnen das besonders wichtig?

Mich interessieren schon auch andere Sachen wie Krimis oder romantische Komödien, in denen es überhaupt nicht um gesellschaftskritische Themen geht. Aber dass das bislang meine bekanntesten Rollen wurden, hängt wohl auch mit der Relevanz der Stoffe zusammen: Sie bekommen mehr Aufmerksamkeit, interessieren die Menschen mehr – und deswegen bleiben auch die Rollen mehr in Erinnerung.

Spätabtreibung

Der medizinische Fortschritt in Verbindung mit der Gesetzgebung
zur Abtreibung konfrontiert alle Beteiligten mit einer ethisch-
moralischen Gratwanderung. Von einer Spätabtreibung spricht man in der Regel bei einem Abbruch der Schwangerschaft nach der 22. Woche. In den meisten europäischen Ländern ist eine Abtreibung nur bis ca. zur 22. Woche möglich. In Ländern wie Deutschland, Österreich, Italien, Belgien darf bis unmittelbar vor der Geburt abgetrieben werden.

Kommentare