Jugend ohne Gott - von Ödön von Horváth

Jugend ohne Gott - von Ödön von Horváth
Horváths Roman spielt nach der Machtergreifung des "Oberplebejers", wie der Protagonist, ein Lehrer, Adolf Hitler nennt.

Über Horváth muss man nicht viel sagen - er ist einer der größten österreichisch-ungarischen Autoren des letzten Jahrhunderts. 1901 geboren, aufgewachsen in Budapest, Wien und München, von den Nazis verfemt und 1938, mit nur 36 Jahren, in Paris während eines Gewitters von einem hinabstürzenden Ast erschlagen. Eingeschrieben in den Olymp der Literatur durch Werke wie "Geschichten aus dem Wiener Wald", "Glaube Liebe Hoffnung" oder eben "Jugend ohne Gott". Dieser Roman war der letzte, dessen Veröffentlichung Horváth ein Jahr vor seinem Tod noch erlebte. Gedruckt in Amsterdam und sofort danach auf die faschistische "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums" gesetzt, wurde das Buch doch kurz nach seinem Erscheinen zu einem Erfolg und in mehrere Sprachen übersetzt.

Jugend ohne Gott - von Ödön von Horváth

In "Jugend ohne Gott" berichtet der namenlose Ich-Erzähler von seinem Leben als Geschichtslehrer. Der Roman spielt nach der Machtergreifung des "Oberplebejers", wie dieser Lehrer Adolf Hitler nennt. Aber nur im Stillen versteht sich. Der Ich-Erzähler verhält sich passiv, hat Angst um seine Stellung, seine Pension, sein Leben. Er trichtert den Schülern ein, was die faschistische Obrigkeit hören will und handelt sich prompt Ärger ein, als er zu erklären versucht, dass "Neger" durchaus auch Menschen seien. Die Jugend ist eine ohne Gott, ohne Wahrheit und ohne Moral. Die jungen Menschen sind nichts anderes mehr als abgerichtete Puppen: kalt und mit grauslichem, starrem Blick. Dazu passt, dass sie vom Lehrer nur mit den Anfangsbuchstaben genannt werden: Ihnen fehlt - von wenigen Ausnahmen abgesehen - jegliche Individualität. Ein ehemaliger Kollege des Lehrers ist der gleichen Ansicht: "Ich bin zwar nur ein Amateurastrolog", erklärt der, "aber die Erde dreht sich in das Zeichen der Fische hinein. Da wird die Seele des Menschen unbeweglich, wie das Antlitz eines Fisches".

Geschickt bindet Horváth seine Sozial- und Zeitkritik in den Rahmen eines Kriminalstücks ein: Auf einer Klassenfahrt - um das Exerzieren, Zeltaufbauen und Schießen zu lernen - geschieht ein Mord. Einer der Schüler wird tot aufgefunden, ein anderer gilt als verdächtig. Der Lehrer fühlt sich verantwortlich, sucht die Wahrheit und findet schließlich die Schuld - auch seine eigene. Und selbst eine Liebesgeschichte ist in den schmalen, keine 150 Seiten umfassenden Roman eingebunden: rührend hilflos, nur am Rande und mit der gleichen Hoffnungslosigkeit dieser "Jugend ohne Gott" gezeichnet.

Ödön von Horváths Text beeindruckt auch heute noch mit seiner einfachen, aber umso deutlicheren Sprache. An seinen Theaterstücken geschult, nutzt der Autor hier ähnliche Techniken: kurze, an dramatischen Szenen angelehnte Kapitel und viele Dialoge oder wie für eine Bühne geschaffene Selbstgespräche. Und tatsächlich arbeitete Horváth das mehrere Jahre vorher entstandene Dramenfragment "Der Lenz ist da! Frühlingserwachen in unserer Zeit" in diesen Roman um.

Trotz aller beißenden und verzweifelten Kritik endet das Buch für den Protagonisten versöhnlich: Der ich-erzählende Lehrer hat seinen Opportunismus aufgegeben, hat sich gerührt und endlich gehandelt. Und auch wenn es ihn seinen Job und sein Ansehen gekostet hat - etwas anderes hat er gewonnen: Den Glauben an sich selbst und die Wahrheit. Hermann Hesse schrieb 1938 an Alfred Kubin, Horváths Roman sei " . . . großartig und schneidet quer durch den moralischen Weltzustand." Eben aus diesen zwei Gründen - sprachliche Größe und grandiose Seelenbeleuchtung - ist "Jugend ohne Gott" auch heute noch so wichtig.

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