Jägerstätter-Stück: Der Vorhang ist wie ein Fallbeil

Gerti Drassl als "Franziska Jägerstätter", Gregor Bloéb als "Franz Jägerstätter" und Stefan Lasko als "Bürgermeister" (v.l.n.r.)
Premieren-Kritik: Felix Mitterers "Fall Jägerstätter" hat in der Josefstadt nicht auf die Liebesgeschichte vergessen.

Wie die Geschichte ausgeht, ist bekannt: Der Wehrdienstverweigerer Jägerstätter wird von den Nazis hingerichtet, sprich: ermordet. Gregor Bloéb in der Hauptrolle spricht die letzten Worte aus Jägerstätters Abschiedsbrief an seine Familie und verlässt den Raum. Die Türe fällt zu, mit dem scharfen Geräusch eines Fallbeils. (Dieses Geräusch kommt im Laufe des Abends immer wieder, aus verschiedenen Quellen – und auch der Vorhang wird subtil eingesetzt, um das Fallbeil zu symbolisieren.)

Doch damit ist das Stück noch nicht vorbei. Ein Bischof kommt zu Wort, der empfiehlt, Jägerstätter nicht als Vorbild zu betrachten. Dieser werde seinen Lohn bei Gott erhalten, auf Erden seien die Christen, die brav ihren Kriegsdienst abgeleistet hätten, ihm vorzuziehen. Und dann diktiert ein Landesbeamter die Ablehnung eines Antrags von Jägerstätters Witwe auf Hinterbliebenen-Pension. Argument: Jägerstätter habe ja gar nicht aktiv gegen Hitler gekämpft, sei also kein Widerstandskämpfer. Originalzitate, Belege für den ganz normalen Nachkriegszynismus in Österreich.

Erst spät wurde Jägerstätters heldenhaftes Opfer anerkannt, 2007 wurde er selig gesprochen. Und so endet das Stück auch: Die, die ihn zuvor als Feigling und Wirrkopf ablehnten, rufen ihn jetzt an: „Seliger Franz Jägerstätter, bitt für uns.“ Wir können seine Fürbitte gut brauchen, auch heute noch.

Jägerstätters Witwe Franziska starb im März, wenige Tage nach ihrem hundertsten Geburtstag. Sie gab dem Projekt noch ihren Segen. Bei der Premiere saßen Nachkommen Jägerstätters, sichtlich tief bewegt, im Publikum.

Liebe und Tod

Der Tiroler Schriftsteller Felix Mitterer hat aus dem Stoff nicht einfach eine Passionsgeschichte gemacht. Sondern er erzählt die Geschichte eines Unangepassten, eines Außenseiters, Sturschädels und Unruhestifters, der langsam zu einem wirklichen Helden reift, indem er die freie Entscheidung trifft, lieber zu sterben, als einem Verbrecherregime zu dienen.

Und Mitterer erzählt die Geschichte einer tiefen Liebesgeschichte, die auch der Tod nicht beenden kann. Und außerdem erzählt er die Geschichte von Jägerstätters Mitmenschen, denen seine Haltung eine Zumutung darstellt, weil sie seinen übermenschlichen Mut nicht aufbringen. Und die, obwohl keineswegs böse, aus schlechtem Gewissen seine Witwe ausgrenzen. Mitterer zeigt diesen Vorgang ganz großartig, indem er Individuen zum Sprechchor formiert.

Stephanie Mohr hat diesen Text großartig feinfühlig in Szene gesetzt – indem sie die Stilistik des Bauerntheaters zitiert, macht sie die Atmosphäre der bäuerlichen Gesellschaft des Innviertels der dreißiger und vierziger Jahre spürbar. Verfremdungseffekte und Zeitsprünge sowie kollektiv erzeugte, aus Alltagsgeräuschen zusammen gesetzte Rhythmen verhindern ein Abgleiten in plumpen Naturalismus.

Gregor Bloéb spielt den Jägerstätter hinreißend, mit Mut zur Naivität, wie ein Kind, dessen Bewusstsein langsam erwacht. Gerti Drassl spielt einmal mehr fantastisch, ihre Darstellung der Franziska Jägerstätter rührt zu Tränen.

Aber auch das übrige Ensemble hält das hohe Niveau: Elfriede Schüsseleder, Michaela Schausberger, Michael Schönborn, Matthias Franz Stein, Stefan Lasko , Christian Dolezal, Peter Scholz, Peter Drassl und Dominic Oley in teilweise wechselnden Rollen leisten Großartiges.

Fazit: Eine großartig durchkomponierte, zutiefst berührende, sehr wichtige Aufführung, die zu Beginn, vielleicht infolge der Premierennervosität, noch leichte Rhythmusprobleme hatte. Großer Jubel vom Publikum.

Die Inszenierung wechselt zum Theatersommer Haag und kehrt im Herbst in die Josefstadt zurück.

Szenenfotos aus "Jägerstätter"

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