"Im Zentrum": "Zur Deradikalisierung kommen wir später"
Kein Zweifel gleich zu Beginn: Heute wird es bitterernst. Es geht um die große gesellschaftliche Triggerdiskussion, um Islamismus und, im Speziellen um radikalisierte Jugendliche. Damit geht es um den Kern der Aufregung, um Terrorangst und Integration und das Österreichische und die gefühlte Zukunft des Landes. Da ist kein Platz für Entspannung.
In Österreich gibt es ein "nicht unbeträchtliches" Netzwerk von radikalisierten Jugendlichen, sagt der Sprecher gleich zu Beginn mit Krisenstimme zu düsteren Klängen. „Zehn Jugendliche sind derzeit in Österreich wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Haft.“
„Im Zentrum“ also, wirklich im Zentrum (hier zum Nachschauen): Die Diskussion, die vierte unter Claudia Reiterer, griff das ganz heiße Eisen und an, und der damit umgerührte Brei wurde auch ganz heiß gegessen. Einander gegenüber saßen der Integrationsminister, ein Imam, eine Islamkritikerin, eine Grüne. Und, ein wenig außerhalb und dadurch am Spannendsten, eine deutsche Religionswissenschaftlerin.
„Die Gefahr ist extrem groß“, sagte Sebastian Kurz. „Ich sage das seit Jahren, man wird da sehr schnell in ein rechtes Eck gestellt. In Wien gibt es tausende Kinder, die in rein islamische Kindergärten gehen. Es entstehen Parallelgesellschaften.“
Gefängnisarbeit
Zuerst ging es gleich einmal darum, wie die Radikalisierung vielleicht verhindert werden könnte: „Die Regierung hat immer noch nicht begriffen, dass die Gefängnisarbeit wichtig ist, für Prävention, und für Deradikalisierung. Es kann doch nicht sein, dass der Staat hier zuschaut in den Gefängnissen“, sagte Ramazan Demir, Imam und Gefängnis-Seelsorger. „Mein Islamgesetz sieht vor, dass es einen Rechtsanspruch auf islamische Seelsorge in den Gefängnissen geben soll“, antwortete Kurz.
Ein schöner Wortwechsel. Aber zu schnell für die Moderatorin: Sie wollte „zuerst über die Radikalisierung reden, die Deradikalisierung kommt dann später“.
Auch Alev Korun, Integrationssprecherin der Grünen, näherte sich gleich der Deradikalisierung: Man müsse „wachsam“ sein, sagte, sie, „in einer Welt, wo man mit zwei bis drei Klicks zu einer Hasspredigt kommen kann“.
„Zur Prävention wollen wir später kommen“, bremste Reiterer.
Trigger, Trigger
Also: Radikalisierung. Die Diskussion darüber hat es, nicht nur „Im Zentrum“, so an sich, dass die Rollen klar verteilt bleiben. Islamkritiker werden gerne von den Extremisten auf der einen Seite, Gegenstimmen gerne von den Extremisten auf der anderen Seite eingenommen, die jeweils anderen sind zutiefst empört und suchen emotionale Abreaktion auf Facebook und in Internetforen.
Sie bekamen ihren Stoff. „Was vor 1400 Jahren gilt, gilt in unserer freien Welt von heute nicht mehr“, sagt etwa die aus Syrien stammende Islamkritikerin Laila Mirzo (übrigens Pfeifenbauerin). Der Koran sei „ein Buch, das höchst brisant ist und großen Zündstoff birgt.“ Späterer Nachsatz: „Der Terror ist keine Perversion“ durch den IS, sondern Gewalt sei "das Kernstück des Islam“.
„Islam und Gewalt passen von den Extremisten hervorragend zusammen. Die absolute Mehrheit ist nicht dieser Auffassung. Das wird auch so bleiben. Ich kann nicht Sätze aus dem Koran herauspicken und sagen: Schau mal, was hier steht“, sagte Ramazan Demir.
Die Trigger wurden getriggert.
Kopftuchverbot und Opferrolle
Die Positionen sind (und blieben) bekannt, auch die Diskussionsentwicklung verlief an den typischen Eckpunkten entlang: „Ich wurde eingeladen, zum Thema Radikalisierung zu diskutieren. Und schon landen wir in der ersten Runde bei Kleidungsvorschriften. Kopftuch, Burka. Diese Diskussion wäre viel sinnvoller, wenn wir von dieser symbolischen Ebene“ wegkämen, sagte Korun nach wenigen Minuten.
Der Anlass: Demir schilderte Radikalisierungsgründe wie Politik, Traumatisierung, Perspektivlosigkeit und Ausgrenzung – und sprach dann Kurz an: „Einer meiner Schülerinnen wurde zugerufen: Der Hitler muss her. Die Islamfeindlichkeit ist am Steigen. Da brauchen wir Ihre Unterstützung. Wenn Sie kommen mit einem Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst, dann enttäuschen Sie viele Muslime. Dann machen Sie sie wirklich sehr traurig. Ich habe eine Schülerin, die will Polizistin werden. Sie machen diesen Traum kaputt.“
Kurz entgegnete: „Es gibt Regeln, und an die muss sich jeder halten. Wir sind als Regierung der Meinung, dass es bei Gericht, aber auch bei der Polizei Kleidungsvorschriften gibt. Und jeder hat sich daran zu halten.“ Und: „Ich verurteile zutiefst Hetze. Aber ich habe auch eine große Bitte an die Glaubensgemeinschaft: Agieren Sie nicht immer mit dem Thema der Islamfeindlichkeit. Dann reden Sie vielen jungen Menschen ein: Schaut, die wollen uns nicht. Österreich ist eins der Länder, das wirklich religionsfreundlich ist. Es gibt keinen Grund, sich hier diskriminiert zu fühlen. Weil jemand gemobbt wird oder schlecht behandelt, darf das niemals ein Grund für Radikalisierung sein. Hören wir auf mit diesem ständigen Opferdenken. Seid doch froh, in welchem Land ihr leben dürft, wo es Gleichstellung zwischen Mann und Frau gibt.“
"Wählerstimmen für sich gewinnen"
Reiterer wollte beim Kopftuchverbot und bei Kleidungsvorschriften bleiben („ich möchte praktisch bleiben“) und fragte die Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage, ob diese sinnvoll seien. Die sagte etwas wirklich Überraschendes, das man in TV-Diskussion nicht oft hört: „Ich wollte Sie jetzt nicht unterbrechen“, und antwortete dann zum Kopftuchverbot: „Aus religionswissenschaftlicher Sicht ist das nicht ratsam, so vorzugehen. Das ist vielleicht aus politischer Sicht ratsam, weil man dann Wählerstimmen für sich gewinnt.“ Aber wenn man „diesen Frauen, die vielleicht schon nicht rausgehen dürfen, jetzt nicht am Leben teilnehmen lässt auf Grund diesen äußeren Religionsbekenntnisses, dann kommen sie gar nicht mehr in Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft.“
Dann ging es noch um christliche Radikalisierte, bei Minute 45 redeten alle durcheinander, Demir warnte vor Social Media und Kurz „zum dritten Mal“ vor einem Einnehmen der Opferrolle durch Muslime. „Österreich ist ein Land der Chancen für jeden, der hier lebt. Wenn die Leute das wissen und sich nicht ständig als diskriminierte Opfer fühlen, dann ist die Gefahr, dass sie sich radikalisieren, schon wesentlich geringer.“
Und Reiterer leitete aus der Diskussion mit der Zusammenfassung, dass wir „ein gesamtgesellschaftliches Modell“ auf den Boden bringen müssen. Das ging sich Sonntagabend aber nicht mehr aus.
Kommentare