Im Benebelungsbetrieb hört man auch den Fußpilz wachsen

Sprechoper mit gewaltiger Geräuschkulisse: „der thermale widerstand“ von Ferdinand Schmalz im Grazer Schauspielhaus
Ferdinand Schmalz im Doppelpack am Grazer Schauspielhaus: "der thermale widerstand" in einer umwerfenden Inszenierung – und neue Couplets für Nestroys "Talisman".

Wenn sich einer Ferdinand Schmalz nennt, als sei er eine Figur von Johann Nestroy. Und wenn dieser Dramatiker, Jahrgang 1985, vom Grazer Schauspielhaus beauftragt wird, Couplets für den "Talisman" zu schreiben – dann kriegt jeder sein Fett ab, darunter der Mann, dem es nicht reicht, "mit Türmen zu trumpfen", die "radikalsten Pflanzenrechtler", die gegen das Murkraftwerk protestieren, und die Damen mit den "Botoxspritzerln", die auf gefühllosen Lippen kauen.

Ja, "die Zeit ändert viel", so einer der Originalrefrains. Aber auch wieder nicht, denn die Vorurteile sind die gleichen geblieben. Regisseur Dominique Schnizer sah daher keinen Grund, die Komödie rund um den Schlingel Titus Feuerfuchs in die Gegenwart zu verlegen.

Er verlegte sie nur – auch vom Dialekt her – nach Graz. Ausstatterin Christin Treunert baute auf der Drehbühne einen Dorfplatz mit dem Uhrturm im Hintergrund. Die beiden setzen klare Zeichen, von greller Überzeichnung aber halten sie nicht viel: Die Haare der Ausgegrenzten Titus und Salome sind alles andere als feuerrot. Das macht die Abscheu der übrigen Gesellschaft – mannstolle Weiber, eitle Gockel – nur noch unverständlicher.

Die Strophen von Ferdinand Schmalz, großteils gelungen, fügen sich nahtlos in den Text ein; bei der Premiere am Samstag ging Clemens Maria Riegler als Titus zu Beginn leider gegen die Begleitcombo unter; und mitunter hastete er zu sehr durch die verschwurbelten Passagen.

Schnizers Liebe gilt den Nebenfiguren: Werner Strenger vermittelt als Plutzerkern oststeirische Gemütsruhe, Franz Solar fletscht als eifersüchtiger Friseur die Zähne, Rudi Widerhofer gesteht als Notarius ein, dass ihm – wie Christian Buchmann – der Doktortitel aberkannt wurde. Einzig Salome Pockerl leistet, mit dem Tranchiermesser bewaffnet, Widerstand gegen Geltungssucht und Geldgeilheit: Sarah Sophia Meyer rührt als herzensgute Gänsehüterin.

Im Stehen sterben

Widerstand leistet auch der Bademeister Hannes – in der Sprechoper "der thermale widerstand" von Ferdinand Schmalz. Das Auftragswerk für das Schauspielhaus Zürich wurde am Freitag im "Haus zwei" zur österreichischen Erstaufführung gebracht – und damit quasi heimgeholt. Denn es spielt in einem Kurbad der Thermenregion, das neue "Geldquellen" zu erschließen versucht: Es soll zu einer Wellnessoase umgebaut werden. Und das will der unbeugsame Hamam-Bademeister nicht zulassen: "Lieber im Stehen sterben, als im Knien leben."

Eingeschoben in das kapitalismus- wie hedonismuskritische Stück sind kalauerhafte Dialoge zwischen den "unbesorgten" Kurgästen, die sich dem "Klima der Entspannung" in einer nüchtern ausgeleuchteten Landschaft aus 25 weißen Plastikliegen hingeben (von Monika Annabel Zimmer). Weil man in diesem " Benebelungsbetrieb" ohnedies nicht ausmachen kann, wer gerade spricht, lässt Regisseur András Dömötör die Lippenbewegungen der vier Kurgäste live synchronisieren. Und wie bei einem Stummfilm ergänzt er das Geschehen mit einer monströsen Geräuschkulisse: Da quatschen die Schlapfen bedrohlich, da rumort es in Frau Brunners Magen wie bei einem Vulkanausbruch, da hört man sogar Herrn Meiers Fußpilz wachsen.

Dömötör gelingen unglaublich absurde Slapstick-Szenen, die in einem Showdown zu den Geräuschen eines Lichtschwert-Kampfes aus "Star Wars" münden. Das gesamte Ensemble (Nico Link, Anna Szandtner, Frederik Jan Hofmann, Raphael Muff, Silvana Veit und Florian Köhler) spielt mit größtmöglicher Begeisterung.

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