Ekelige Schaben und tote Katzen künden das Unheil an

Weiterer Preis: "Ich seh Ich seh"
Veronika Franz und Severin Fiala legen mit "Ich Seh Ich Seh" ein eindrückliches Spielfilmdebut hin.

Die ist nicht unsere Mama." Was für die Zwillingsbuben Lukas und Elias zuerst wie eine dumpfe Ahnung brodelt, steigert sich zur Gewissheit: Die Frau, die nach einer Operation mit verbundenem Gesicht zu ihnen zurückkommt, ist eine Fremde. Sie spricht mit ungewohnt scharfer Stimmer, erkennt das Lieblingslied ihres Sohnes nicht wieder und bewohnt das eigene Haus geisterhaft wie eine Untote.

Ekelige Schaben und tote Katzen künden das Unheil an
epa04375534 Austrian directors Veronika Franz (L) and Severin Fiala (R) pose at a photocall for 'Ich Seh Ich Seh' (Goodnight Mommy) during the 71st annual Venice International Film Festival, in Venice, Italy, 30 August 2014. The movie is presented out of competition at the festival that runs from 27 August to 06 September. EPA/ETTORE FERRARI
"Ich seh Ich seh", das überaus eindrückliche Spielfilmdebut von Veronika Franz, der langjährigen Filmkritikerin des KURIER, und Severin Fiala wurde – nach Ulrich Seidls "Im Keller" – als zweiter österreichischer Beitrag in der Reihe Orizonti präsentiert. Dabei liegt die große Stärke des Filmes in der langsamen Durchmischung eines realistischen Dramas mit Elementen des Horrors. Was zuerst nach klassischem Mutter-Kinder-Konflikt aussieht, bekommt eine zunehmend unheimliche Note.

Ekelhafte Schaben und tote Katzen künden ein Unheil an, das zuerst nur schwebend seine Schatten wirft. Susanne Wuest als Frau mit der Maske spielt die Mutter mit hervorragender Spannkraft. Auch die Buben – Lukas und Elias Schwarz – machen ihre Sache bestens. Zuletzt steigert sich der Horror zum überraschend sadistischen Finale – und das Publikum antwortete mit einem unterdrückten Schrei.

Die Premiere des Spielfilmdebüts von Veronika Franz und Severin Fiala ist am Samstag in Venedig mit stürmischem Applaus zu Ende gegangen. Das Publikum, das gespannt den psychologischen Horrorfilm mitverfolgt hatte, applaudierte mit Begeisterung den beiden Regisseuren und den Hauptdarstellern.

Gelassen und lächelnd ließen sich die Zwillingsbrüder Elias und Lukas Schwarz fotografieren, die Protagonisten des Films. Sie übernahmen die Rollen von zwei Kindern, die ihre Mutter nach einer Schönheitsoperation nicht mehr wiedererkennen und in einer Spirale von Fassungslosigkeit, Enttäuschung und eskalierender Aggressivität versinken. Die Zwillinge beeindruckten mit ihrer Natürlichkeit vor der Kamera - und den Fotografen am Lido.

"Die Kinder kannten die Geschichte, die sie spielten, vor Beginn der Dreharbeiten nicht. Wir haben chronologisch gedreht und haben sie immer mehr für die Entwicklung des Dramas interessiert. Sie sind immer spontaner und natürlicher geworden", berichtete Regisseurin Franz im Gespräch mit der APA. Die begeisterte Reaktion des Publikums überraschte sie. "Ich dachte nicht, dass der Film beim Publikum so gut funktionieren würde. Man hat gemerkt, wie die Zuschauer großartig die ganze Entwicklung verfolgt haben", so die Regisseurin.

Minister in Venedig

Lob bekam der ganze Cast von Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ), der bei der Premiere anwesend war. "Der Film ist packend, und es freut mich, dass das Publikum so gut reagiert hat. Ich bin überzeugt, dass der Streifen auch in den Kinos erfolgreich sein wird", betonte Ostermayer.

Filmemacher Ulrich Seidl hatte am Freitag seinen Dokumentarfilm "Im Keller" in Venedig vorgestellt. Constantin Wulffs TV-Porträt "Ulrich Seidl - A Director At Work" wird am Samstagabend am Rande des Festivals auf dem Filmmarkt präsentiert.

(APA)

Die 71. Filmfestspiele von Venedig eröffnen Mittwochabend. Als einzige österreichische Teilnehmer treten Ulrich Seidl, Veronika Franz – langjährige Filmkritikerin des KURIER – und ihr Co-Regisseur Severin Fiala an. Von Seidl läuft der Essay-Film "Im Keller" im Wettbewerb außer Konkurrenz. Seine Langzeit-Partnerin und Drehbuch-Co-Autorin Franz zeigt, gemeinsam mit Fiala, ihr Spielfilmdebüt: "Ich seh Ich seh" ist ein Horrorfilm, der in der renommierten Reihe Orizzonti läuft. Ein Gespräch über Horror, Keller und rote Teppiche.

KURIER: Herr Seidl, haben Sie geahnt, dass in Ihrer langjährigen Partnerin, Drehbuch-Co-Autorin und Regieassistentin Veronika Franz auch eine Regisseurin steckt?

Ulrich Seidl: Nein. Allerdings hat es allmählich angefangen. Zuerst gab es ein kleineres Projekt, den Doku-Film "Kern". Dass noch etwas nachkommen wird, war klar.

Veronika Franz: Er hätte gar nicht wissen können, dass eine Regisseurin in mir steckt, weil ich es selber nicht wusste. Es ist ein Unterschied, ob man mit 25 oder 30 entscheidet, auf die Filmakademie zu gehen, oder ob man sich, wie ich, ein Leben lang mit Film beschäftigt. Der Schritt dazu, es dann selber zu machen, war ein Prozess. Ich habe sehr viel durch meine Arbeit mit Ulrich gelernt.

KURIER: Wenn man lange mit Ulrich Seidl zusammenarbeitet – ist es dann logisch, dass man als Spielfilmdebüt einen Horrorfilm macht?

Franz: (lacht) Selbstverständlich! Ich finde, Ulrich macht auch Horrorfilme, und zwar auf ganz andere Weise. Nicht Blut- und Beuschel-Filme, sondern über Dinge, die Horror im Alltag sind.

Seidl: Ich würde nie behaupten, dass ich Horrorfilme mache. Das schreiben manche Journalisten. Eher erzähle ich von der Hölle im Alltag.

Franz: Werner Herzog hat über deine Filme gesagt: "Ich habe noch nie in meinem Leben so in die Hölle geschaut." Da könnte man schon argumentieren, dass das in gewisser Hinsicht Horrorfilme sind.

Seidl: Ja, aber das steht bei mir nicht am Anfang. Ganz im Gegensatz zu eurem Film: Ihr habt euch ja explizit vorgenommen, einen Horrorfilm zu machen.

KURIER: Worum geht es?

Franz: Der Film spielt in einem allein stehenden Haus am Land und handelt von einer Mutter, die nach einer Operation einbandagiert nach Hause zu ihren Zwillingsbuben kommt. Sie sieht unheimlich aus und verhält sich anders als früher. Die Buben beginnen zu bezweifeln, dass diese Frau ihre Mutter ist.

KURIER: Herr Seidl, Sie sind mit Ihrer Produktionsfirma auch der Produzent von "Ich seh Ich seh". Worin bestand Ihre Funktion?

Seidl: Den Film zu unterstützen – immer im Sinn der beiden Regisseure, aber auch mit der finanziellen Verantwortung gegenüber unserer Produktionsfirma. Ich habe bei den Vorentscheidungen – der Wahl der Drehorte, der Auswahl der Zwillingsbuben – mitgesprochen, aber nie beim Dreh selber. Ich bin nicht hinter ihnen gestanden und habe Ezzes gegeben. Erst danach habe ich mir die Muster angeschaut, und wir haben die Ergebnisse besprochen.

KURIER:Und was Sie gesehen haben, hat Ihnen gefallen?

Seidl: Nicht immer. Der Film hat einen Prozess gemacht und ist im Schnitt und in der Postproduktion immer besser geworden.

KURIER: Wie viel "Seidl" steckt in "Ich seh Ich seh"?

Franz: Severin (Severin Fiala, der Co-Regisseur, Anm.) und ich haben eine Einstellung im Film, die nennen wir immer das "Seidl-Bild": Da sieht man, wie die Zwillinge am Bett sitzen und synchron Würstel essen. (lacht)

KURIER: "Im Keller" läuft im Hauptwettbewerb außer Konkurrenz. Worum geht es?

Ekelige Schaben und tote Katzen künden das Unheil an
Film: Im Keller
Seidl:"Im Keller" ist ein dokumentarischer Essayfilm und hat den Keller in vielerlei Hinsicht zum Thema. Ich habe einmal festgestellt, dass die Österreicher sehr gerne ihre Zeit im Keller verbringen. Da gibt es den Arbeitskeller und Bastelkeller, aber auch die Kellersauna oder die Kellerbar. Viele Leute gehen in den Keller, wenn sie so sein wollen, wie sie wirklich sind. Dort ist man ungestört. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass der Keller der Ort der Dunkelheit, der Angst und des Verbrechens ist.

KURIER: Wäre es denkbar, dass Sie beide ein Drehbuch schreiben und dann Veronika Franz die Regie übernimmt?

Seidl: Ich glaube, das funktioniert nicht. (schmunzelt)

Franz: Dazu ist unsere Zusammenarbeit zu hierarchisch. (lacht) Ich schreibe für ihn, und er entscheidet, was er davon haben will und was nicht. Die Zusammenarbeit mit meinem Co-Regisseur hingegen ist gleichberechtigt.

KURIER: Nun treten Sie gemeinsam bei den Filmfestspielen an...

Franz: Darauf sind wir schon sehr stolz. Wir gehen binnen 24 Stunden zwei Mal über den roten Teppich – bei den Orizzonti gibt es auch einen roten Teppich. Das ist etwas Besonderes.

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