Hirst: Ein toter Hai unter lebenden Faltern

Hirst: Ein toter Hai unter lebenden Faltern
Umstritten als großer Künstler oder geldbesessener Provokateur: Damien Hirst – die Retrospektive in der Tate Modern.

Bis hin zum hochpreisigen Souvenir aus dem "Gift Shop" ist alles als große Show inszeniert. Die in einem tropisch-feuchten Raum herumflatternden Schmetterlinge, "In and Out Of Love" betitelt, führen ebenso Geburt und Tod, Verfall und Vergänglichkeit vor Augen wie die für die Magennerven strapaziösen Fliegen, Maden und Kadaverteile in einer riesigen Vitrine, auf der "Tausend Jahre" steht.

 

Hai in Formaldehyd

Und den in Formaldehyd eingelegten Tigerhai nannte Damien Hirst "Die physische Unmöglichkeit von Tod in der Vorstellung eines Lebenden". 2004 wurde es als eines seiner bekanntesten Werke um 9,3 Mio. Euro verkauft. Zwei Jahre später musste ein neuer Hai in den Kasten gesetzt werden: Sein Vorgänger hatte sich aufgelöst.

Die Tate Modern in London feiert das ehemalige Enfant terrible der "BritArt" mit seiner ersten großen Retrospektive, zeigt eine Schau der Hits, ohne die nach 2008 entstandenen Bilder. Der 46-Jährige ist einer der Umstrittensten, aber auch Teuersten auf dem Kunstmarkt. Ist das überhaupt Kunst, fragen die einen. Vermarktung ist alles, sagen die anderen. Denn er versteigerte 2008 am Tag der Lehman-Pleite, an seinen Händlern vorbei, bei Sotheby’s 223 Werke um mehr als 155 Mio. Euro.

Und Hirst selbst? Der "fand immer, Museen sind etwas für Lahmärsche". Der hatte schon 1996 gegenüber David Bowie trotzig bekundet, eine Tate-Werkschau sei eher ein Begräbnis. Der will heute, dass die Leute beim Bier über ihn reden.

Sie reden auch ohne Bier vor den Pharmazie-Schränken und präparierten Tieren, vor den sorgfältig gereihten Zigarettenstummeln und den "Spot"-Paintings, diesen unendlichen Variationen von Farbkreisen.

Bis zum letzten Raum mit der weißen Taube mit den ausgebreiteten Flügeln, in bläulich-sonnigem Formaldehyd aufgehängt, wird Voyeuren einiges geboten, was Schock, Ekel oder Neugierde auszulösen vermag.

"Mother and Child, Divided", erstmals 1993 bei der Biennale in Venedig präsentiert: Dafür hat Hirst eine Kuh und ein Kalb in der Mitte durchgeschnitten. Der Betrachter wandelt zwischen Glaskästen und kann die Innereien frei betrachten.

Ein Panoptikum, das auf Effekt angelegt scheint und in den besten Fällen unverwechselbar Hirst ist, das jedenfalls oft irritiert, manchmal aber auch langweilt oder zum Schmunzeln verführt.

Mehr als 70 Arbeiten aus Hirsts bisheriger Schaffenszeit werden gezeigt. Eines der Highlights, das Besuchermassen anzieht: In der Turbinenhalle der Tate Modern ist der mit echten Diamanten besetzte Schädel "For the Love of God", der 2007 Aufsehen erregte, in einem schwarzen, begehbaren Kasten geradezu aufgebahrt wie eine Reliquie.

Der Abguss eines menschlichen Schädels aus dem 18. Jahrhundert, mit mehr als 8600 Edelsteinen besetzt, gilt als eines der teuersten zeitgenössischen Kunstwerke überhaupt. Es verkaufte sich für den Rekordpreis von umgerechnet rund 75 Millionen Euro. Allerdings an ein Konsortium, zu dem auch Hirst selbst gehörte. Und der sagt lakonisch: "Das Kommerzielle, das ist doch Teil des Ganzen."

Tate: Moderne Kunst im Kraftwerk

Hirst: Ein toter Hai unter lebenden Faltern

Ausstellung: Die Damien-Hirst-Retrospektive in der Tate Modern ist Teil der "Kunst-Olympiade", die London, heuer Gastgeber der Spiele, aufführt.

Wann & Wo: Bis 9. 9. Die Tate Modern, auf moderne und zeitgenössische Kunst spezialisiert, ist in einem riesigen alten Kraftwerk direkt an der Themse zuhause; Mo.–So, 10–18, Fr./Sa. 10–22 Uhr; Katalog: 39,95 €

Weiterführende Links

Kommentare