"Herkunft von Tätern muss genannt werden"

Debatte um mediale Berichterstattung: Nennung verhindere "wilde Spekulationen", argumentiert CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer und fordert eine Änderung des deutschen Pressekodex.

Ein Jahr ist es bald her, dass es in Köln zu sexuellen Übergriffen von hunderten Jugendlichen aus dem "nordafrikanischen Raum" kam. Die Ereignisse rund um die Kölner Domplatte waren ein Wendepunkt im öffentlichen Diskurs zur Flüchtlingskrise, im Zuge dessen auch die mediale Berichterstattung kritisch hinterfragt wurde.

Nun hat der Generalsekretär der bayerischen CSU, Andreas Scheuer, die Diskussion wieder aufgegriffen. "Um Fakten und Unwahrheiten zu trennen, müssen seriöse Medien heute alle bekannten Fakten veröffentlichen, um damit auch wilden Spekulationen Einhalt zu gebieten“, sagte Scheuer im Interview mit der konservativen Welt vom Sonntag (zum Interview).

Stein des Anstoßes war die Vergewaltigung und der Mord an einer 19-jährigen Studentin in Freiburg. Dringend tatverdächtig ist ein Flüchtling aus Afghanistan, der 2015 nach Deutschland kam (zum Bericht auf Kurier.at)

Der Pressekodex des deutschen Presserates regelt in der Richtlinie 12.1 zur "Berichterstattung über Straftaten", dass „in der Berichterstattung über Straftaten die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten" nur dann erwähnt werden soll, "wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht." Die wird im Freiburger Fall von einigen Experten bestritten.

"Wir können nicht über jeden der circa 300 Mordfälle pro Jahr berichten"

Die Medien in Deutschland berichteten dennoch ausführlich über die Tat - mit einer Ausnahme. Die Tagesschau der ARD verzichtete mit dem Verweis, dass der Fall eher "regionale Bedeutung" auf die Berichterstattung in den Hauptnachrichten. In einem ausführlichen Blogeintrag (hier verlinkt) begründete Kai Gnigge, Chefredakteur von ARD-Aktuell, die Entscheidung mit der generellen Programmatik der Nachrichtensendung. "Die 'Tagesschau' berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu“, schreibt Gnigge. Das hieße nicht, dass in der Tagesschau Verbrechen niemals thematisiert würden. Natürlich sei die Entwicklung von Verbrechen in Deutschland ein wichtiges Thema. "Aber wir können und wir wollen nicht über jeden der circa 300 Mordfälle pro Jahr berichten (wobei interessant ist, dass diese Zahl in den vergangenen 15 Jahren dramatisch abgenommen hat).“

Für CSU-Mann Scheuer ist dieser Verzicht auf die Meldung in der meist gesehenen deutschen Nachrichtensendung einen "schwerer Fehler" - und begründet seinen Vorstoß mit dem Einfluss der sozialen Medien, der im Pressekodex noch zu wenig berücksichtig werde. "Seit es soziale Medien gibt, lässt sich ohnehin nichts mehr zurückhalten."

Was ist Teil der "unangenehmen Wahrheit"?

Inwieweit zu dieser "unangenehmen Wahrheit" auch Ereignisses "regionaler Bedeutung" dazugehören, darüber wurde insbesondere im Anschluss an die Kölner Silvesternacht heftig diskutiert.

Sogar von einem "Schweigekartell" war damals die Rede – zumindest lautete so der Vorwurf des früheren deutschen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Polizei und Medien hätten sich darauf verständigt nichts zu berichten, was den "Migrationshintergrund von Tätern" betrifft. Tatsächlich hielt sich auch die Polizei in einigen Bundesländern in Deutschland in ihren Polizeiberichten an die Regel des Artikels 12.1. Pressekodex. "Und oft wurde diese Vorschrift streng ausgelegt - also dieser Sachbezug verneint, um auf der sicheren Seite zu sein. So entstand die angebliche, aber nicht existierende Regel, im Zweifel lieber nicht zu schreiben, aus welchem Land der Verdächtige kommt", analysierte Politik-Chef Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung.

Für Prantl wurde mit der Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht jedoch klar eine Linie überschritten. Beim Standard des Pressekodex, so Prantl, den sich die deutschen Medien einmal "freiwillig und aus gutem Grund selbst auferlegt haben", gelte es doch zu beachten, dass "die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte". Es sei darauf zu achten, dass der Hinweis auf die Ethnie oder Religion eines Verdächtigen nicht diskriminierend eingesetzt wird. "Doch diese Standards sind längst erodiert", kritisierte auch Daniel Bax in seinem Kommentar auf taz.de.

Verzerrtes Bild

Zwar ist in Deutschland die Zahl der Delikte, die von Migranten begangen wurden, 2015 auf 208.000 gestiegen - das sind 79 Prozent mehr im Vergleich zu 2014 (für 2016 liegen noch keine Zahlen vor). Allerdings sind in dieser Zahl auch Verstöße gegen Aufenthalts- und Asylverfahren inkludiert, die etwa drei Viertel ausmachen.

Laut Statistik des Bundeskriminalamts in Deutschland gab es 29.886 Tatverdächtige, denen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vorgeworfen wurden. In gut 20 Prozent dieser Fälle waren die Verdächtigen ausländische Staatsbürger. Das ist ein überproportionaler Anteil (der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung beträgt rund 10 Prozent). Allerdings fallen darunter zum einen auch Touristen, Saisonkräfte und ausländische Studenten. Und zum anderen ist der Vergleich an der Gesamtbevölkerung insofern irreführend, als dass vergangenes Jahr rund 65 Prozent der Asylwerber in Deutschland Männer unter 35 Jahren waren. Also Teil jener Alterskohorte waren, aus der auch in der deutschen Bevölkerung die größte Tätergruppe stammt.

In Österreich wurden im vergangenen Jahr 39 Asylwerber als Sexualstraftäter ausgeforscht (bei rund 90.000 gestellten Asylanträgen). Im Zeitraum von Jänner bis September waren es 91. Das geht aus einer aktuellen Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage hervor (mehr dazu hier). Insgesamt wurden 2015 bei 826 Vergewaltigungen 688 Tatverdächtige ausgeforscht, darunter 438 Österreicher. Im Zeitraum Jänner bis September 2016, so heißt es in der Beantwortung, seien bei 677 Vergewaltigungen bis jetzt 594 Tatverdächtige ermittelt worden (337 Österreicher). Anzeigen wegen Sexualdelikten werden in Österreich durchschnittlich rund zwölf erstattet - und natürlich wird nicht über jede berichtet. Quantitative Analysen zur medialen Berichterstattung zeigen regelmäßig, dass Straftaten von Migranten überproportional zu ihrem tatsächlichen Anteil thematisiert werden.

Österreich: Keine vergleichbare Bestimmung - und ein Boulevard, der sich gegen Pressekodex wehrt

Der "Ehrenkodex für die österreichische Presse" sieht im Übrigen keine vergleichbare Bestimmung wie die Richtlinie 12.1 in Deutschland vor. Doch auch hierzulande galt und gilt es als gute Gepflogenheit die Herkunft von Straftätern nicht zu nennen, wenn diese nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der Tat steht – wobei diese Frage jeweils im Einzelfall zu beantworten ist. So mahnte der Presserat im Oktober 2015 zu Zurückhaltung. "Menschen gleicher Herkunft können sich dadurch gekränkt und diskriminiert fühlen", befand der Senat des Presserats in einer Aussendung. An den Boulevardblättern Krone, Heute und Österreich gehen solche Appelle jedoch ungehört vorbei. Sie sind ohnehin keine Mitglieder im Presserat.

Auf den Fall der Kölner Silvesternacht angesprochen, erklärte der Geschäftsführer des österreichischen Presserates Alexander Warzilek, dass die Nennung der Herkunft in diesem Einzelfall jedoch geboten war (das Interview lesen Sie hier). Die Tragweite von Köln ging tatsächlich über den Einzelfall hinaus. Laut Kölner Staatsanwaltschaft wurden bislang (Stand: 1. Dezember 2016) 333 Beschuldigte namentlich ermittelt und Verfahren gegen sie eingeleitet, bei 87 von ihnen spielte der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs eine Rolle Die juristische Aufarbeitung galt von Beginn an als schwierig: Die Zustände rund um den Hauptbahnhof waren chaotisch. Oft konnten Opfer die Täter nicht identifizieren.

Bis Dezember wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft 1.222 Strafanzeigen in dem Ermittlungskomplex bearbeitet, 513 davon beziehen sich auf den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs. Dazu zählen sexuelle Nötigungen, Vergewaltigungen und auch "sexuell motivierte" Beleidigungen.

Die Staatsanwaltschaft beantragte seitdem gegen 35 Beschuldigte Anklage vor dem Amtsgericht Köln, vor allem wegen Eigentumsdelikten. 24 von ihnen seien bisher verurteilt worden, 18 davon rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft zählt auch noch 820 Ermittlungsverfahren, die gegen unbekannte Täter eingeleitet wurden, davon 372 wegen sexueller Übergriffe. Ein Großteil dieser Verfahren sei mangels weiterer Ermittlungsansätze vorläufig eingestellt worden.

In der kommenden Silvesternacht sollen eine Schutzzone um den Kölner Dom beim Hauptbahnhof und mehr als 1.000 Polizisten Ausschreitungen wie im vergangenen Jahr verhindern.

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