Helen Mirren: "Ich lege mein eigenes Ich zur Seite"

Helen Mirren in "Das Leuchten der Erinnerung"
Oscarpreisträgerin Helen Mirren geht auf Nostalgie-Roadtrip.

Helen Mirren, britische Oscarpreisträgerin, spielt nicht nur Shakespeare und "Die Queen". In der Tragikomödie "Das Leuchten der Erinnerung" (ab Donnerstag im Kino) von Paolo Virzi ist sie eine amerikanische Ehefrau, die mit ihrem an Demenz erkrankten Mann (Donald Sutherland) eine letzte Reise im Wohnwagen unternimmt.

KURIER:Mrs. Mirren, mögen Sie Roadmovies?

Helen Mirren: Oh ja, mir gefällt die Symbolik daran: Man befindet sich auf einer Reise, die ein Ziel hat – oder auch keines. Damit lassen sich höchst unterschiedliche Geschichten erzählen.

Es geht um ein altes, krankes Ehepaars, das sich noch einmal an das gemeinsame Leben erinnert. Denkt man bei so einer Gelegenheit auch über die eigene Sterblichkeit nach?

Ehrlich gesagt, wollte ich nicht darüber nachdenken. Als Schauspielerin lege ich mein eigenes Ich beiseite – das ist zumindest meine Vorgangsweise. Ich spiele so gut, wie ich kann, und das war’s dann. Ich gehöre auch nicht zu jenen Schauspielerinnen, die abends ihre Rolle mit nach Hause nehmen. Ich weiß, das machen einige meiner Kollegen – von wegen method acting und so weiter – aber ich gehöre nicht dazu. Wenn ich die Rolle gespielt habe, denke ich nicht mehr weiter darüber nach.

Donald Sutherland spielt den dementen Ehemann an Ihrer Seite...

Ja, das war großartig, denn ein bisschen hat die Rolle des Dementen doch auf ihn abgefärbt. Wir hatten auch jenseits der Dreharbeiten ein ähnliches Verhältnis zueinander wie die beiden Ehepartner im Film: Ich habe ihn immer ein bisschen gehänselt und herausgefordert. Wir haben auch schon im Vorfeld gemeinsam am Drehbuch geschrieben und unterhielten ein vergnügliches Arbeitsverhältnis.

Helen Mirren: "Ich lege mein eigenes Ich zur Seite"
Helen Mirren in "Das Leuchten der Erinnerung"

Apropos Donald: Es gibt eine Szene, in der Sie beide in eine Wahlveranstaltung von Donald Trump hineingeraten.

Ja, du meine Güte, wir drehten diese Szene klarerweise vor der Wahl und dachten, wir hätten einen kleinen historischen Moment eingefangen, von dem man Jahre später sagen kann: Schau mal, damals hat dieser Typ, dieser Donald Trump versucht, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden! Wir hätten uns nicht träumen lassen, dass er tatsächlich Präsident wird. Und jetzt haben wir ein Problem, das uns alle angeht, denn die Macht des US-Präsidenten ist riesig.

Während Ihrer Reise machen Sie in Florida im Haus von Ernest Hemingway in Key West Station. Geht es dort wirklich so zu wie am Rummelplatz?

Oh ja, das Hemingway-Haus ist eine unglaubliche Touristenattraktion, aber es ist trotzdem ganz fantastisch. Dort treiben sich die berühmten Key-West-Katzen herum, die sechs Zehen haben (und angeblich von Hemingways Katze Snowball abstammen, Anm). Diese Katzen sind überall – im Bett, unterm Bett, einfach überall. Es ist sehr speziell dort und sehr atmosphärisch. Hochzeiten finden auch statt – wahrscheinlich auch viele Schwulenhochzeiten, weil in Key West viele Schwule leben. Hemingway hätte wohl einen Herzinfarkt bekommen (lacht herzhaft).

Es gibt eine Szene, in der die Kinder des alten Paares spekulieren, ob die Eltern noch Sex haben, und vor allem der Sohn sich bei diesem Gedanken schüttelt. Ist Sex bei älteren Leuten immer noch ein starkes gesellschaftliches Tabu?

Schwer zu sagen. Ich erinnere mich, dass am Höhepunkt der sexuellen Revolution in den 60er Jahren, als die freie Liebe zelebriert wurde, die alle ganz toll fanden – außer vielleicht Frauen, aber egal; also, ich erinnere mich, dass damals eine Umfrage auf dem Universitätscampus in Kalifornien gemacht wurde und die Studierenden gefragt wurden, ob sie glauben, dass ihre Eltern noch Sex haben. Die Eltern werden damals wohl ungefähr 45 oder 50 Jahre alt. Die Befragten schüttelten zum Großteil schockiert den Kopf und waren überzeugt, dass das nicht der Fall war. Nur wenige antworten mit "vielleicht". Ich glaube, dass junge Menschen universell diese Einstellung haben. Aber vielleicht verändert sich das ja.

Glauben Sie, dass Filme unsere Einstellung gegenüber älteren Menschen beeinflussen?

Auf jeden Fall. Filme sind ein wichtiges Instrument, um unser Bewusstsein zu erweitern. Der Grund, warum wir jetzt im Kino auch Filme mit älteren Menschen sehen, liegt daran, dass sich die große Generation der Babyboomer heute alle in ihren späten 60ern, frühen 70ern befindet und immer noch ins Kino gehen will. Sie sind mit dem Kino aufgewachsen. Und, glauben Sie es oder nicht, sie halten sich immer noch für jung (lacht schallend) – daher gibt es dieses Kinopublikum. Bekanntlich hat sich ja die Filmindustrie rasant geändert – mit Streamingdiensten wie Netflix und dergleichen – und immer weniger Menschen gehen ins Kino. Aber die, die trotzdem gehen, sind vielleicht auch gerade diese Generation. Und die will nicht "Transformer 5" sehen.

Weil Sie TV-Serien angesprochen haben: Hätten Sie Interesse daran, in einer zu spielen?

Ich bin schon mehrfach für eine Serie angefragt worden, aber ich bin sehr zurückhaltend. Ich hasse das Gefühl, gefangen zu sein und etwas immer wieder machen zu müssen. Aber wer weiß, vielleicht kommt einmal ein so spektakuläres Angebot daher, dass ich es mir anders überlege.

War es eigentlich schwierig für Sie als Britin, den amerikanischen Akzent zu sprechen?

Auf jeden Fall, ich musste hart daran arbeiten. Und weil wir schon dabei sind: Es ist eine totale Lüge, dass die Briten so ein reserviertes Volk sind. Die Briten sind im allgemeinen alles andere als reserviert, sondern führen sich auf wie Hooligans und Wilde. Aber bitte schreiben Sie das nicht im Titel, sonst komme ich noch in Schwierigkeiten!

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