Heinz Holecek: "Bitte, lachts über mich!"

Heinz Holecek: "Bitte, lachts über mich!"
Heinz Marecek erinnert sich an seinen Freund Heinz Holecek: Ein wunderbares, ein besonderes Gewächs dieses seltsamen Biotops Wien.

Wir haben einander seit ungefähr vierzig Jahren nicht mehr die Hand gereicht oder einander mit unseren Vornamen angesprochen. Wo immer wir einander ansichtig wurden, breiteten wir die Arme aus, gingen aufeinander zu wie zwei Braunbären, umarmten, beschnupperten und drückten uns, grunzten "Burli", und damit war das Begrüßungsritual erledigt. Ich könnte beim besten Willen nicht sagen, wie sein Händedruck war – aber ich wusste immer, welches Rasierwasser er benutzte. Und ich kann mich einfach nicht erinnern, in den Jahrzehnten unserer Freundschaft jemals von ihm " Heinz" genannt worden zu sein. Es war immer "Burli" – allenfalls, wenn es um einen Punkt in unseren zahllosen Diskussionen ging, der ihm wirklich am Herzen lag: "Onkel Burli" – aber "Heinz" niemals.

Als wir einander kennenlernten, war er jung und ich blutjung. Wir stapften tage- und nächtelang über die sanften Hügel der Wiener Hausberge, sprachen über die Oper, über das Theater, über unsere Lieblingsbücher, über Venedig, über Essen und Trinken, kehrten ein, wo immer sich eine Gelegenheit bot, und es boten sich viele, um nach vielen Stunden trunken und glücklich in sein Haus in Pötzleinsdorf – der einstigen Sommerfrische Sigmund Freuds, die er alljährlich für einige Monate mit der berühmten Berggasse 19 tauschte – zurückzukehren, wo noch die eine oder andere Flasche aufgemacht und selbstverständlich auch getrunken wurde. Irgendwann schlief ich dann auf dem Gästesofa ein, (träumte gelegentlich, der alte Mann mit dem weißen Bart säße zigarrenrauchend hinter mir und notierte sorgfältig meinen Traum), und am nächsten Tag wiederholte sich nach einem stärkenden Frühstück alles wieder. Wir regenerierten mit Lichtgeschwindigkeit, hielten uns für unverwundbar und hatten schließlich unendlich viel zu erzählen. Er war ein wunderbarer Erzähler. Ungemein gebildet und belesen. Und die Lektüre hatte seinen Prosastil geprägt. Seine Sätze ließen die berühmten Thomas Mann’schen Schachtelsätze zu dürren SMS verkommen. Er begann eine Geschichte, um nach wenigen Sätzen den Hauptstrang zu verlassen, nun hagelte es Adjektive, Adverbien, neue Prädikate mit neuen Objekten, zahllose schmückende Ornamente, und ich fragte mich jedes Mal, ob er je wieder zum rettenden Verb der Hauptgeschichte zurückfinden würde – er fand natürlich, und immer stimmte es in Zahl, Fall und Geschlecht mit dem lang zurückliegenden Beginn fehlerlos überein. Phänomenal. Und er konnte Menschen nachmachen, dass man aus dem Staunen und dem Lachen nicht herauskam. Seine ungeheure Musikalität befähigte ihn zu einer perfekten Imitation von Tonfall und Timbre und seine geradezu animalische Lust am Beobachten ließ ihn, wie einen großen Karikaturisten, die vielen kleinen Unarten, Gewohnheiten und Eigenheiten erkennen, die für diesen Menschen so typisch sind, dass die sofortige Wiedererkennbarkeit garantiert war.

Honzo

Heinz Holecek: "Bitte, lachts über mich!"

Wie gespenstisch seine Imitationen waren, mag folgende Geschichte verdeutlichen: Sie spielt im Hause von Otto Schenk. Carlos Kleiber, der wunderbare Dirigent, war Gast im Hause Schenk auf seinem Weg nach Berlin, wo er mit Götz Friedrich als Regisseur eine Oper machen sollte. Beim Abendessen begann "Honzo" nun Götz Friedrich zu imitieren. Mit tatsächlichen und erfunden Sätzen des Regisseurs. Wie immer lachten hier alle – außer Kleiber. Er wurde von Geschichte zu Geschichte ernster und trauriger. Plötzlich stand er auf und sagte: "Nein, zu dem Mann fahr ich nicht!" Alle Beschwichtigungsversuche der Schenks: "Aber Carlos, so schlimm ist er gar nicht, der Honzo übertreibt", halfen nichts. "Wenn auch nur die Hälfte stimmt, ist es schon zu viel." Kleiber packte am nächsten Morgen seine Koffer und fuhr statt nach Berlin wieder nach Hause. Die geplante Produktion mit Friedrich und Kleiber kam nie zustande.

Einmal stand Honzo in der Kantine der Wiener Oper und imitierte Sänger. George London, Wolfgang Windgassen, Theo Adam, Hans Hotter, er konnte sie alle und alle kamen sie dran, einer nach dem anderen. Die Kollegen standen um ihn herum und lachten sich schief. Irgendwann imitierte er auch den großen Fjodor Schaljapin. Natürlich lachten wieder alle, nur Marian Rus, selbst ein wunderbarer Bass und ein berühmter Collin in "La Bohème", hörte ganz ernst zu, ging dann auf Honzo zu und sagte, mit dem Zeigefinger wackelnd: "Siehst du, und den musst du immer nachmachen!"

Er war einige Jahre lang wahrscheinlich der beste Papageno der Opernbühne, gastierte auch mit dieser Rolle auf der ganzen Welt, war ein wunderbarer Leporello und ein legendärer Frosch in der "Fledermaus". Aber der Opernsänger war nur ein Teil von ihm, eine Farbe auf der vor Farben strotzenden Palette seines Lebens. Eine großartige Farbe, eine besondere, eine wichtige – aber eben nur eine von vielen. Die Vorstellung, sie zur einzigen zu machen, sozusagen monochrom zu werden, mit all den damit verbundenen fast mönchischen Enthaltungen und Entsagungen, die ja großen Sängern oft eigen sind, war ihm fremd, war mit seiner barocken, oder eher renaissanceartigen Lebenslust nicht vereinbar.

 

Wie ein Kind

Leben war da, um gelebt zu werden, nein nicht gelebt, geschlürft aufgesogen, in vollen Zügen – und das meine ich wahrlich nicht mit dem trivialen Hintersinn, der sich im Zusammenhang mit ihm leicht aufdrängen könnte, nein, er ging durchs Leben, wie ein Kind, das in der Nacht in einem Spielwarengeschäft vergessen wurde, mit großen Augen durch dieses Geschäft geht und ständig sagt: "Was, und mit allen diesen Sachen darf ich spielen? Wie schön!" Und er konnte sich unglaublich über Dinge freuen. Wie er mit umgebundener Serviette den ersten Löffel seiner geliebten Kuttelsuppe genießerisch schlürfte, und der Geschmack ihm Freudentränen in die Augen trieb, ist ein Bild, das ich nie vergessen werde.

Als der ORF einmal einen Kulturbeitrag brachte, in dem es um Frauen oder nicht Frauen im Orchester ging, kam auch der alte Dr. Karl Böhm – übrigens einer von Honzos Lieblingsobjekten bei seinen Parodien – zu Wort, und sagte wortwörtlich: "Schau’n Sie, ich hab vor einigen Monaten das wunderbare Concertgebouw Orchester Amsterdam dirigiert, und vor der Probe ist der Konzertmeister zu mir gekommen und hat gesagt: "Maestro, ich muss Sie warnen, unser erster Hornist ist eine Frau". "Lieber Freund, hab’ ich gesagt, ich werd’ Ihnen was sagen, eine Frau die ordentlich blast, ist mir lieber als ein Hornist, der dauernd gickst". Während ich noch leise Zweifel hegte, ob er das wirklich gesagt hatte, läutete das Telefon: "Burli, hast du gerade den Böhm ..." "Ja, ich sitze vorm Fernseh­apparat." Weinend vor Lachen, kichernd, schluchzend, fast erstickend, wiederholte er nun das fatale Böhm`sche Verdikt. Er war nicht zu bremsen. Selbstverständlich wurde es sofort ein fixer Bestandteil seines Repertoires.

Er war ein besonderes Gewächs dieses seltsamen Biotops Wien. Nicht daraus zu entfernen. Undenkbar als gastierender Sänger täglich in irgendeiner anderen Metropole aufzutreten, ohne seine Stadt greifbar zur Verfügung zu haben, mit allen von ihm so geliebten Plätzen – und seinen Freunden. Es zieht sich ein roter Faden vom Lieben Augustin über die großen Hanswurst-Darsteller Stranitzky und Prehauser (der sich bei seinem ersten Auftritt im Kärntnertortheater auf die Bühne kniete und das Publikum bat: "Bitte, lachts über mich!") über den singenden Fiaker Bratfisch, die Volksliedsänger des Wiener Praters, über Alexander Girardi – bis zu ihm. Mit seinem Tod ist dieser Stadt tatsächlich eine Perle aus der Krone gefallen. Vielleicht eine kleine – aber eine kostbare.

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