HBO: Vom Polka-Festival zum besten Seriensender

HBO: Vom Polka-Festival zum besten Seriensender
Der US-Sender setzt seit Jahren Maßstäbe in Sachen intelligente TV-Serie. "Treme" (auf Sky Atlantic) spielt in New Orleans.

Der Times Square steht ganz im Zeichen der neuen Fernsehsaison. Von einer mehrere Meter hohen Werbetafel grinst Schauspieler Matthew Perry, von der nächsten Castingshow-Jurorin Christina Aguilera. Im Vergleich dazu dezent nimmt sich das Sujet aus, mit dem HBO "Treme" bewirbt. Gedämpfte Farben, die Bilder der zwölf wichtigsten Darsteller sind schachbrettartig angeordnet – ein Hinweis auf den Ensemblecharakter der Serie.

Sein Publikum findet der Sender trotzdem: Menschen, die schon einmal ein Buch in der Hand gehabt haben, vor künstlerisch wertvollem Sex im Fernsehen nicht zurückschrecken, das Wort Fuck hören können, ohne dass es in den Ohren piepst – und bereit sind, für anspruchsvolles Fernsehen extra zu zahlen. In den USA sind das derzeit immerhin knapp 30 Millionen.

Das HBO-Hauptquartier ist nur wenige Gehminuten vom Times Square entfernt. Im Erdgeschoß befindet sich ein kleines Geschäft, so etwas wie die Ruhmeshalle: Es gibt "Sex and the City"-Schminktäschchen zu kaufen, "Sopranos"-Tassen und "True Blood"-Schlüsselanhänger. "Treme" – sprich: Tre-mäy –, einer der jüngeren Streiche des 1972 gegründeten Kabelsenders, hat es erst zu einem halben Regalmeter und ein paar T-Shirts gebracht. Am Sonntag startet in den USA die dritte Staffel; der Abosender Sky zeigt sie in Österreich ab 2. Oktober.

Anspruchsvoll

"Treme", benannt ist die Serie nach dem gleichnamigen Stadtteil von New Orleans, reiht sich in die Tradition anspruchsvoller, gegen den Strich gebürsteter TV-Serien, mit denen HBO berühmt wurde. Dabei entstand die Strategie aus einer Verlegenheit: HBO war ursprünglich auf die Ausstrahlung von Hollywood-Filmen und Liveevents spezialisiert (eines der ersten war das "Pennsylvania Polka Festival" im März 1973). Mit dem Aufkommen der Videorekorder geriet der Sender in den 80er-Jahren in eine massive Krise. Erst die konsequent umgesetzte Idee, auf starke, eigenproduzierte Formate zu setzen, bescherte ihm ab Mitte der 90er den Höhenflug, der bis heute andauert: Schon im Vorfeld der heutigen Emmy-Verleihung hat HBO17 "Creative Emmys", mit denen Leistungen hinter der Kamera gewürdigt werden, abgestaubt.

Komplex

Dass nicht alles, was gut und preisgekrönt ist, auch beim breiten Publikum ankommt, wird in Kauf genommen. "Treme" zum Beispiel könnte bessere Zuschauerzahlen haben, wie Serienerfinder David Simon beim Pressegespräch in New York ein bisschen zähneknirschend einräumt: "Aber im Nachhinein werden die Leute die Serie als Gesamtkunstwerk zu schätzen wissen." Der Mann weiß, wovon der spricht. Mit "The Wire" hatte Simon HBOschon einmal einen großen Wurf beschert. Das komplexe Porträt der US-Hafenstadt Baltimore gilt vielen als die beste Fernsehserie aller Zeiten – und kam erst durch die auf die Fernsehausstrahlung folgende DVD-Nutzung so richtig zur Geltung.

Bei "The Wire" war Echtheit oberste Prämisse. Simon hatte 13 Jahre lang als Polizeireporter in Baltimore gearbeitet, bevor er seine Erfahrungen künstlerisch umsetzte – erst in Buch- und dann in Serienform. Auch "Treme" hat dokumentarischen Anspruch. Erzählt wird der Wiederaufbau New Orleans nach der Zerstörung durch den Hurrikan Katrina 2005. Allerdings nicht in Form von Heldengeschichten oder vordergründigen politischen Anklagen: Simons Serie ist ein Loblied auf die Gemeinschaft und die Kultur. Ohne diese beiden Aspekte hätte New Orleans nicht überlebt, ist er überzeugt: "Ich halte sie für die derzeit einzigen verlässlichen Faktoren in der amerikanischen Gesellschaft."

Real

Und so besticht "Treme" durch mitreißende Musikszenen – Jazzgrößen wie Fats Domino treten in der dritten Staffel auf – und gastronomische Finessen: Eine der Protagonistinnen ist Köchin, Anthony Bourdain wirkt als Berater und Drehbuchautor mit. Er steht damit an der Spitze einer ganzen Reihe von Fachleuten, deren Rat Simon laufend einholt. Viele Figuren in "Treme" haben reale Vorbilder, viele Geschichten sind wirklich passiert.

Ein Garant für Authentizität ist auch Wendell Pierce, der in der Serie den Musiker Antoine Batiste spielt. Pierce stammt aus New Orleans, betreibt dort eine kleine Handelskette, die Arme mit frischen Lebensmitteln versorgt, und fühlt sich, ein bisschen mehr noch als alle anderen, als Anwalt der Menschen, die in der Serie beschrieben werden. "Die Leute in New Orleans sind sehr empfindlich, was ihre Darstellung in Film und Fernsehen betrifft", sagt er. "Oft werden nur Klischees reproduziert." Jedoch, "Treme" dürfte das Kunststück gelungen sein, auch die Einheimischen zu überzeugen. Die Serie, erzählt Pierce, funktioniere in New Orleans wie eine Gruppentherapie: "Die Leute sitzen am Sonntagabend gemeinsam vor dem Fernseher und reflektieren die paar Jahre ihres Lebens, die da gezeigt werden. Es ermutigt sie. Es bringt sie weiter."

HBO-Serien auf Sky Atlantic HD

Es gilt bei der heutigen Emmy-Verleihung als heißer Anwärter auf einen der begehrten Fernsehpreise: Steve Buscemi, Hauptdarsteller der viel gelobten HBO-Serie "Boardwalk Empire". Die Vorlage zur Serie lieferte ein Sachbuch über die Geschichte von Atlantic City, der kleinen Möchtegernschwester von Las Vegas, zwei Autostunden südlich von New York. Hauptfigur ist der korrupte Politiker Nucky Thompson (Buscemi), der bei Glücksspiel, Prostitution und Alkoholschmuggel in der Stadt die Strippen zieht – sein Gegenspieler der Prohibitionsagent Nelson van Alden. In den USA startete vor wenigen Tagen die dritte Staffel.

Ein weiteres – Emmy-nominiertes – Glanzstück im HBO-Programm ist "Game Of Thrones". Die Fantasyserie nach Romanen von George R.R. Martin spielt in einer fiktiven, an das europäische Mittelalter angelehnten Welt und wurde scherzhaft als "Die Sopranos in Mittelerde" beschrieben. Für die Serie wurde eigens eine Kunstsprache mit eigener grammatikalischer Struktur entwickelt. Die zweite Staffel lief in den USA bereits mit großem Erfolg, eine dritte befindet sich in Produktion.

Sowohl "Game Of Thrones" als auch "Boardwalk Empire" sind auch hierzulande im Bezahlfernsehen zu sehen: Seit Mai betreibt der Pay-TV-Sender Sky mit Sky Atlantic HD einen Kanal, auf dem HBO-Serien gezeigt werden. Im Programm sind derzeit – neben "Boardwalk Empire" und "Treme" – Klassiker wie "Sopranos" und "Six Feet Under", außerdem "True Blood", "The Wire", "Dexter", "Entourage", "Dirty Sexy Money", "Band Of Brothers", u. v. m. Das Sky-Paket inklusive Sky Atlantic HD kostet monatlich regulär 44 Euro.

Free-TV

Einzelne HBO-Serien sind auch im Free-TV zu finden: Die Vampirserie "True Blood" startete im März 2011 auf RTL II, auch "Game Of Thrones" war auf RTL II zu sehen. "Sex And The City" – vor etwa zehn Jahren ein weltweiter Erfolg – war auf ProSieben und im ORF zu sehen, lief vor Kurzem im PULS 4-Vorabend und wird derzeit auf Sixxausgestrahlt.

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