Gustavo Dudamel: Das Sistema schlägt zurück

Dirigent Dudamel und Venzuelas Präsident liegen im Clinch – und damit im Trend.

Ob man als Staatskünstler diffamiert oder als Dissident beschimpft wird, das ist oft nur eine Frage des Blickwinkels – oder weniger Wochen.

Gustavo Dudamel, Dirigent des Neujahrskonzerts 2017, kennt nun beides: Er wurde in El Sistema groß, jener staatlichen venezolanischen Orchesterinitiative, für die das Land hoch gelobt wurde. El Sistema galt und gilt in vielen Ländern als vorbildlich, als Verwirklichung dessen, was andere so gerne im Mund führen: Über klassische Musik bekommen Kinder aus benachteiligten Verhältnissen Bildung, musikalische Fertigkeiten und einen Sinn für den Alltag. Manch einer, wie Dudamel eben, wird dank El Sistema sogar zum internationalen Star.

Mit der Initiative wurde etwas eingelöst, das sich die – in anderen Bereichen längst in die Defensive geratene – Klassikbranche so gerne auf die Fahnen heftet: Sie will Herzensformung sein, Ergötzung – und dem Menschen auf seinem Weg helfen.

Nähe zur Macht

Doch schon bevor Präsident Nicolás Maduro immer mehr Macht an sich zu reißen begonnen hatte und damit eine Staatskrise mit Demonstrationen und Toten auslöste, wurde Gustavo Dudamel diese Nähe von El Sistema zu den Machthabern vorgeworfen: Lange, lange schwieg Dudamel zu Missständen in seinem Land. Er war das gutgelaunte, von vielen heißgeliebte Aushängeschild einer tollen Initiative in einem weniger tollen Staat.

Es war von dort aber nur ein kurzer Weg bis zu dem Moment, in dem Maduro Dudamel ausrichten ließ: "Ich hoffe, Gott vergibt dir."

Denn zuletzt durchbrach Dudamel sein Schweigen: Nach dem Tod eines jungen Musikers im Mai hat er sich gegen Maduro positioniert, im Juli forderte er dann in der New York Times Neuwahlen und ein Ende des Blutvergießens.

Am vergangenen Wochenende nun reagierte Maduro: Venezuelas Regierung hat eine für September geplante Tour Dudamels mit dem nationalen Jugendorchester gestrichen. Und auch Maduro verwendete in einem direkten Statement an den Dirigenten Dudamels Nähe zu El Sistema gegen ihn: "Lass dich nicht dazu verleiten, die Architekten jener schönen Bewegung zu attackieren." Das sei "herrzerreißend", schrieb Dudamel auf Twitter. "Wir werden weiter spielen und um ein besseres Venezuela und eine bessere Welt kämpfen."

Widerstand

Mit seiner dünnhäutigen Reaktion liegt Maduro in einem neuen, ein wenig überraschenden Trend: Eigentlich hatte man die Kraft des kulturellen Protests schon fast ad acta gelegt; die Kulturmaschine hatte zuletzt weder Zeit noch Gegner, um sich – wie einst in den 60er bis 80er Jahren – groß an der Politik zu reiben. Nun aber flammt der Künstlerprotest wieder auf: Der Kulturbeirat des Weißen Hauses etwa trat jüngst geschlossen zurück, die Anfangsbuchstaben der Absätze des dazugehörigen Schreibens an Donald Trump ergaben "RESIST", widerstehen. Hollywood, Stephen King und Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling üben sich im Twitter-Widerstand gegen den Präsidenten. Der verhält sich aber in Richtung Kultur wohlwollender als in Richtung Medien.

Anderswo reagieren die Machthaber brutaler: Der türkische Präsident ließ in Spanien (!) den Autor Dogan Akhanli verhaften und brachte in Deutschland Jan Böhmermann vor Gericht; in Russland wurde Regisseur Kirill Serebrennikow, auch international ein Liebling der hippen Theaterwelt, unter dem Vorwand des Betrugsverdachts verhaftet.

Und zementieren so die übergroße Bedeutung ein, die die Macht der Kultur zuspricht: Sie sonnt sich gerne in ihrem Glanz – und ist getroffen, wenn dieser Glanz verweigert wird.

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