Größer als der Messias, schlimmer als der Tod

Größenwahnsinnige Performance eines manisch-depressiven Menschen: Joachim Meyerhoff als die „Ich“-Figur von Thomas Melle
Akademietheater: Joachim Meyerhoff begeistert in der Uraufführung von Thomas Melles "Die Welt im Rücken" mit einem Parforceritt.

Das Cover von Thomas Melles Bericht "Die Welt im Rücken", im Sommer 2016 erschienen, zeigt einen einsamen Seiltänzer. Ganz andere, aber ungemein zwingende und immer durch den Text legitimierte Metaphern für die Bipolarität, die Gratwanderung zwischen Manie und Depression, die Höhenflüge und die Höllenfahrten hat Regisseur Jan Bosse zusammen mit seinem langjährigen Bühnenbildner Stéphane Laimé gefunden.

Die Dramatisierung, die am Samstag im Akademietheater ihre frenetisch bejubelte Uraufführung erlebte, setzt – wie die Krankheit – schleichend ein: Joachim Meyerhoff mit Melle-Perücke und unscheinbarem Outfit in Beige (von Kathrin Plath) wuchtet, während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen, einen Tischtennistisch auf die scheinbar leere Bühne, er klappt ihn auf, spielt gegen sich und gegen Männer aus dem Publikum, die er zu einer Partie eingeladen hat.

Meyerhoff fixiert den weißen Ball mit höchster Konzentration. Und schon in diesem Moment merkt man, dass etwas nicht stimmen kann. (Wer sich überraschen lassen will, sollte darauf verzichten, vorab im Programmheft zu blättern!)

Klapperndes Geschirr

Bereits der Schläger mit einer roten und einer grünen Seite ist ein erster Hinweis. Und dann beginnt Meyerhoff, die Markierungen auf der Platte abkletzelnd, mit seinem erschütternden, mitunter auch erheiternden Bericht: dass er seine riesige Bibliothek, seine "Welt im Rücken", verloren habe. Mit diesen Sätzen beginnt auch Melles Buch. Wobei "verloren" das falsche Wort ist: Der Icherzähler verschleuderte sie während der manischen Phasen – und bedauerte den Verkauf in den depressiven.

Angefangen hatte alles bereits 1999 bei einem Frühstück mit Freunden. Meyerhoff deckt den Tisch, er hastet zwischen den Stühlen hin und her. Er durchlebt förmlich, was er erzählt. Diese Methode kennt man aus Meyerhoffs fulminanten Soloabenden "Alle Toten fliegen hoch". Aber hier berichtet er nicht nur über sein "Zuhause in der Psychiatrie": Er spielt hypernervös, fahrig einen Kranken, dem auf irrwitzige Art die Realität entgleitet.

Hinzu kommen all die Metaphern: der Baumwollzweig als Tischschmuck, das bedrohlich klappernde Geschirr, das wahnsinnige Pingpong der kleinen Bälle. Meyerhoff bindet sich die Schuhe, doch das Band hat kein Ende, er zieht daran – und flugs entsteht ein dichtes Netz, in dem er sich verfängt. Wenig später lichtet er am Kopierer sämtliche Körperteile ab und tackert die Blätter an die Wand – zu einem übergroßen Messias. Dann schultert er den Querbalken dieses Kreuzes. Und schließlich stürzt er im fahlgelben Licht (von Peter Bandl) ins Nichts.

Größtmögliche Effekte

Aber die Psychiater kriegen ihn wieder hin. Und nun heißt es, das Chaos zu beseitigen: Mit der Windmaschine weht Meyerhoff all Bälle und Blätter weg. Das Publikum darf derweilen Pause machen. Doch danach stimmt schon wieder etwas nicht.

Die Manie ist noch viel absurder. Diese Szene – wir befinden uns erst auf Seite 150 von 348 – wird mit größtem Genuss wie größtmöglichem Effekt ausgespielt (Mitarbeit: Julius Florin). Alles Weitere fasst Meyerhoff in nur wenigen Minuten zusammen. Denn der Abend dauert ohnedies drei Stunden. Aber er verging wie im Flug.

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