"Jetzt gehen wir rein in die Hölle"

Bloéb als „Rukeli“ Trollmann. Premiere ist am Donnerstag
Darsteller Gregor Bloéb und Autor Felix Mitterer über die Uraufführung von "Der Boxer" im Theater in der Josefstadt.

Felix Mitterer sitzt bereits am Tisch, als ein auffallend muskulöser Gregor Bloéb das Zimmer betrifft. Mitterers Stück erzählt die wahre Geschichte eines Sinto-Boxers im Dritten Reich.

KURIER: Haben Sie für die Rolle des Boxers trainiert?

Gregor Bloéb: Ja. Dass du mit zehn Kilo Übergewicht auf die Bühne kommst, das geht sich nicht mehr aus. Gerade bei dieser Figur, diesem eleganten Tänzer, dem Vorläufer von Muhammad Ali. Davon handelt ja diese Geschichte: Auf der einen Seite der "germanische Faustkampf", bei dem es darum geht, dazustehen und einzustecken. Und als Gegenteil davon der Stil des Johann "Rukeli" Trollmann: Treffen, aber nicht getroffen werden.

Wie sind Sie auf diese Geschichte gestoßen?

"Jetzt gehen wir rein in die Hölle"
Barbara Reiter im Gespräch mit Felix Mitterer für die Freizeit Kurier-Kolume "Reden wir über..."
Felix Mitterer:Ich habe 2003 gelesen, dass der deutsche Boxverband Trollmann posthum den Meistertitel im Halbschwergewicht zurückgegeben hat. Darauf habe ich begonnen, die Geschichte zu recherchieren.

Es ist dasselbe Team an der Arbeit, das schon mit großem Erfolg "Jägerstätter" an der Josefstadt herausgebracht hat.

Bloéb: Ich hatte damit zuerst auch Schwierigkeiten – ich wollte nicht, dass es aussieht wie "Jägerstätter II". Aber mein Kollege Dominic Oley hat etwas sehr Richtiges gesagt: Wir haben bei Jägerstätter immer nur vom KZ geredet. Und jetzt gehen wir gemeinsam rein in die Hölle.

Mitterer: Ich wollte dieses Thema immer machen, ich wäre auf jeden Fall auf den Gregor zugegangen, Jägerstätter hin oder her. Ich bin ja auch ein rücksichtsloser Autor, denn ich schreibe Dinge hinein, die das Theater kaum leisten kann. Aber seit "Die Weberischen" weiß ich, dass Regisseurin Stephanie Mohr immer Wege finden wird, die Dinge umzusetzen.

Im Text stehen Boxkämpfe in allen Details, aber auch Folterszenen. Wie stellt man das dar?

Bloéb: Es geht um den Gefühlsmoment, dafür gilt es, ein Bild zu finden. Das ist das Geheimnis des Theaters! Mit den Gewaltszenen muss man sensibel umgehen. Und bei den Boxkämpfen dienen uns Boxsäcke als Gegner – jeder Boxer hat seinen Sack. Raphael von Bargen und ich könnten ohne Probleme einen realen Kampf darstellen, aber das brutalere Bild entsteht über den Sack.

Die wenigsten haben wohl gewusst, dass es in den KZs Boxkämpfe auf Leben und Tod gab.

Mitterer: Die SS hat sich Boxer aus dem ganzen besetzten Europa zusammengesucht, Olympiasieger, Profis. Darunter der Hertzko Haft, ein polnischer Boxer, der überhaupt erst in Auschwitz boxen gelernt hat. Er hat überlebt und wurde in Amerika ein berühmter Boxer. Er hat ein Leben lang geschwiegen und erst kurz vor seinem Tod seinem Sohn die Geschichte anvertraut, der ein Buch daraus machte.

Die Verlierer wurden getötet?

Mitterer: Hertzko Haft beschreibt das so: Sie werden weggebracht und man hört einen Schuss.

Wie authentisch muss man sein, wenn man wahre Geschichten auf der Bühne erzählt?

Mitterer: Ich versuche immer, möglichst genau zu sein. Aber ich wollte ja über die Verfolgung der Roma und Sinti an sich etwas schreiben. Also habe ich den Dr. Robert Ritter ins Stück genommen, den berüchtigten Rassentheoretiker, der durchs Land gereist ist und Menschen vermessen hat. Und vor Jahren habe ich den Film der Karin Berger über Ceija Stojka gesehen – "Unter Brettern grünes Gras". Darin erinnert sich Ceija Stojka an Bergen-Belsen, wo sie als Kind war – wie die Häftlinge anfangen, die toten Mithäftlinge zu essen, und sie sagt: Aber wir nicht.

Was sie da erzählt, sagt alles, was das KZ bedeutet. Also habe ich darum gebeten, diesen Text einbauen zu dürfen.

Sie erzählt, dass sich die überlebenden Kinder in die Toten hineingelegt haben, um sich zu wärmen, aber nur in die großen.

Bloéb: Dieser großartige, unfassbare Text kommt direkt nach der Szene, in der mein Bruder erschossen wird. Und es ist mir egal, denn mich hat SO (brüllt) eine Lebenslust gepackt! Die Kälte, die hat nicht nur die Täter erfasst, sondern auch die Opfer.

Eine spannende Figur im Stück ist der Polizist.

Bloéb: Er ist eine der schönsten Figuren, der ich seit Langem begegnet bin. Vom Mitläufer, der nur überleben will, bis zum Täter. Ähnlich großartig wird im Stück die Perversion dieser Rassenhygiene gezeigt, dieses Intellektuelle, scheinbar Wissenschaftliche. Der Arzt sagt ja, der "reinrassige Zigeuner" ist in Ordnung, erst die Vermischung sei das Problem.

Mitterer: Und Ritter ist später nie belangt worden.

Sie arbeiten immer wieder am Thema Nationalsozialismus.

Mitterer: Ich bin 1948 geboren und habe in der Schule nichts darüber erfahren. Auch später in der Lehrerbildungsanstalt nicht. In der Lehrerbildungsanstalt waren die alten Nazis. Ich habe erst später begriffen, warum die die Schüler so quälen. Für mich war es eine Verpflichtung, mich damit zu beschäftigen. Ich kann einfach nicht anders. Obwohl ich mir immer wieder sage: Jetzt ist es genug, jetzt schreib’ ich dem Gregor eine Komödie (beide lachen).

Bloéb: Ein Tür-auf-Tür-zu-Stück! Pro Seite ein schmutziger Witz!

Sie schätzen einander sehr.

Bloéb: Der Felix kennt mich, seit ich mit 15 zum ersten Mal im Kellertheater gespielt hab. Und Felix ist auch einer, der noch in Kellertheater geht!

Mitterer: Und ich werde auch noch von Kellertheatern gespielt.

Johann „Rukeli“ Trollmann

Karriere
Trollmann kam 1907 zur Welt. Als Boxer war er ein Star und Sex-Symbol. 1933 wurde er deutscher Meister im Halbschwergewicht, der Titel wurde ihm aber wegen „undeutschen Boxstils“ (er tanze seinem Gegner davon wie später Ali) aberkannt. Seinen letzten Kampf gestaltete der Sinto – mit gefärbtem Haar und Körperpuder als „Arier“ verkleidet – als Parodie, um die Nazis zu verhöhnen.

Tod
1944 wurde Trollmann im KZ ermordet.

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