"God’s Own Country": Das Lamm im Fellpyjama

Josh O’Connor (li.) und Alec Secareanu in „God’s Own Country“
Ein einsamer britischer Jungbauer heuert einen Rumänen für die Stallarbeit an und verliebt sich. Raues, aber zärtliches Regiedebüt von Francis Lee.

Jeden Morgen verkatert. Zuerst der Gang auf’s Klo, wo gekotzt wird, dann ein halber Liter Milch hinterher. Die Großmutter schaut bissig: "Ich putze dir den Dreck nicht weg."

Ein unwirscher Arbeitstag kann beginnen. Hinaus in die kahle, englische Landschaft von Yorkshire, den Kuhstall, die Schafherde. Der Familienbauernhof steht an der ökonomischen Kippe. Der Sohn des Hauses – Johnny, Anfang 20 –, kämpft einen harten Kampf um das Existenzminimum. Seine wortlose Einsamkeit kompensiert er mit Arbeit, Saufen im Pub und unverbindlichem Sex am Männerklo. Erst als ein rumänischer Landarbeiter auftaucht und mit anpackt, beginnen sich die emotionalen und wirtschaftlichen Verkrustungen zu lockern.

Vergleiche mit dem klassischen Schwulendrama "Brokeback Mountain" liegen bei "God’s Own Country" nahe. Doch das formstrenge, glasklar gefilmte Regiedebüt des in Yorkshire geborenen Schauspielers Francis Lee verschiebt seine Erzählparameter vom amerikanischen Cowboy-Country ins britische Brexit-Abseits. Ästhetisch bedient sich Lee eines unsentimentalen, rauen Realismus, der die Natur und ihre Unwegsamkeiten in ihrer Harschheit belässt und keine Sekunde idyllisiert. Wem zehn Stunden der scharfe Wind um die Ohren pfeift, dem sticht die karge Schönheit der Landschaft nicht oft ins Auge. Trotzdem ist sie da, und manchmal, aber nur manchmal lässt sie sich auch genießen.

Ruppig

Tatsächlich steht und fällt die emotionale Wucht von "God’s Own Country" mit der intelligenten, herausragenden Performance der beiden Hauptdarsteller. Josh O’Connor spielt seinen rotzigen Jungbauern mit räudiger Ruppigkeit; dass es ihm leichter fällt, mit irgendwem im Hinterzimmer Sex zu haben, als sich über die Wange streicheln zu lassen, glaubt man ihm sofort. Alec Secareanu hält als rumänischer Flüchtling Gheorghe mit einer gleichermaßen zerbrechlichen wie unbeugsamen Zartheit dagegen. Nicht nur bringt er dem ungehobelten Briten bei, wie man das Wort Liebe buchstabiert. Auch jenseits seiner erotischen Expertise erweist er sich als hilfreich. Einem schwachen neugeborenen Lämmchen, das Johnny sofort zur Ausschussware geworfen hätte, haucht er Leben ein und wärmt es mit der Wolle eines anderen Tieres. Es zieht dem Lamm einen Fellpyjama an, was nicht nur umwerfend lustig aussieht, sondern auch viel von Gheorghes landwirtschaftlichem Know-how verrät.

"Wir sind kein Obdachlosenasyl", bellt Johnnys Vater den Rumänen an, als dieser das erste Mal den Fuß ins Haus setzt. Doch dass Flüchtlinge einen großen Gewinn für ein Land darstellen können, erzählt "God’s Own Country" beiläufig, aber deutlich.

INFO: UK 2017. 104 Min. Von Francis Lee. Mit Josh O’Connor, Alec Secareanu, Gemma Jones.

KURIER-Wertung:

Manchmal ist die Wahrheit ganz simpel: "Ich geh’ einfach komisch", sagt Maud Lewis, eine zarte kleine Person mit schiefer Schulter und hinkenden Füßen. Die Kinder werfen mit Steinen nach ihr, die meisten ihrer kanadischen Dorfgenossen in Nova Scotia halten sie für behindert. Tatsächlich leidet Maud Lewis, genannt Maudie, seit ihrer Kindheit an einer rheumatischen Arthritis. Ihre Hände und Füße sind verkrüppelt, ihr Rücken wölbt sich zum Buckel. Keine guten Voraussetzungen, um in verarmter Umgebung in den 1930er Jahren einen Mann zu finden.

Ohrfeige

Man muss nicht wissen, dass Maud Lewis mit naiven Naturmalereien bekannt wurde und bis heute zu den beliebtesten kanadischen Folk-Art-Künstlerinnen zählt. Dass sie etwas ganz Besonderes ist und gegen ihr Schicksal ankämpft, das macht "Maudie", der Film, ohnehin jede Sekunde klar. Sally Hawkins, eine zweifellos herausragende Schauspielerin, vertieft sich in ihre Figur mit beinahe schon übergroßer Verzückung. Noch im größten Elend ringt sie ihr ein optimistisches Lächeln ab, mit dem sie ihre Umgebung mitzureißen versteht. Ethan Hawke als Maudies ungeschlachter Ehemann Everett hat schon größere Mühe, die Last dieser Beziehung überzeugend zu tragen. Eigentlich hat er nur eine Annonce aufgegeben, um eine Haushälterin zu suchen. Maudie erscheint als einzige Bewerberin an seiner Schwelle und fegt ihm den dreckigen Fußboden: "Erst komm’ ich, dann die Hunde, dann meine Hühner, dann du", poltert Everett und haut Maudie auch mal eine Ohrfeige herunter. Trotzdem ist die sich anbahnende Liebesbeziehung unausweichlich – wie auch sonst der Verlauf der Geschichte, erzählt von Regisseurin Aisling Walsh, relativ vorhersehbar dahin schnurrt. Mit der Zeit wandelt sich Everett, wenn schon nicht zum zärtlichen, dann doch aufmerksamen Ehemann – eine Rolle, die Hawke schon näher liegt als der rüpelhafte Analphabet. Seine Frau bemalt ihm dafür das Haus mit Blumen und fertigt Zeichnungen an, für die sich auch die New Yorker Kunstwelt interessiert. "Maudie" ist bittersüß, aber das Süße überwiegt.

INFO: Irland/Kanada 2016. 115 Minuten. Von Aisling Walsh. Mit Sally Hawkins, Ethan Hawke, Kari Matchett, Gabrielle Rose, Zachary Bennett.

KURIER-Wertung:

"God’s Own Country": Das Lamm im Fellpyjama
Sally Hawkins in „Maudie“ von Aisling Walsh

Die Zahlen sprechen für sich: Mit 7,3 und 7, 7 Millionen Zuschauern zählten die Anarcho-Komödien "Fack ju Göthe" (2013) und "Fack ju Göthe 2" (2015) zu den erfolgreichsten deutschen Filmen aller Zeiten. Nicht nur, weil Elyas M’Barek als Kleinganoven und Aushilfslehrer Zeki Müller die Frauenherzen zuflogen, sondern vor allem, weil die Mischung aus groben Gags und genau beobachtetem Unterschichtstonfall den Nerv der Zeit traf. Davon kann in "Fack ju Göthe 3" nicht mehr die Rede sein.

Handlungsmäßig dünn und vom Humorniveau her niedrig, verdünnt sich anarchistischer Charme im Warmbad der Sentimentalität. Denn die Goethe-Gesamtschule läuft Gefahr, geschlossen zu werden. Katja Riemann als Direktorin muss heftig am Kleber schnüffeln, um ihre Nerven und Schulinspektor Michael Maertens zu beruhigen: Wenn Zeki Müllers Chaostruppe sich nicht bessert, ist es aus. Der Weg zum Erfolg erweist sich als steinig: Jella Haase als unterbelichtete Chantal hat Cyber-Sex im Ganzkörperkostüm, Schüler "Danger" verwechselt moderne Kunst mit Klo und kackt in die Ausstellung, Uschi Glas fällt eine Dinosaurier-Attrappe auf den Kopf und Elyas M’Barek verschluckt ein daumengroßes Zäpfchen (nachdem seine Schüler vergeblich versucht haben, es ihm in den Hintern zu rammen). Wir haben schon mehr gelacht.

INFO: Deutschland 2017. 120 Minuten. Von Bora Dagtekin. Mit Elyas M’Barek, Jella Haase, Katja Riemann, Sandra Hüller, Max von der Groeben.

KURIER-Wertung:

"God’s Own Country": Das Lamm im Fellpyjama
Elyas M’Barek kennt sich mit Kunst nicht aus: "Fack ju Göthe 3"

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