Agnes Obel: Gläserne Bürger, fragile Künstler

Am 28. Oktober wird Agnes Obel 36 Jahre alt.
Die Dänin hat das thematisch und musikalisch spannende Album "Citizen Of Glass" veröffentlicht.

"Bei meinem vorigen Album habe ich nur über die Trennung von meinem Boyfriend geschrieben. Als ich dann die Interviews dazu gab, waren wir wieder zusammengekommen, und ich fand es schwierig, darüber zu sprechen. Ich fand es unfair ihm gegenüber, hatte immer ein schlechtes Gewissen."

Das ist aber nur ein Grund dafür, dass Agnes Obel sich für ihr eben erschienenes hervorragendes Album "Citizen Of Glass" das Thema "Gläserne Bürger" vorgenommen hat und sich dabei dem Trend widmet, immer mehr von sich in der Öffentlichkeit zu zeigen – sei es durch die Strukturen der Gesellschafts-Ordnung gezwungen oder freiwillig.

Konflikt

"Ich habe keine Antworten dafür, was dabei richtig oder falsch ist, wo man die Grenzen ziehen soll ", erklärt die 35-Jährige Wahlberlinerin im KURIER-Interview. "Deshalb gehe ich in den Songs nur davon aus, wie ich diesen Konflikt empfinde, der früher ‚nur uns Künstler betroffen hat, jetzt mit den Sozialen Medien und dem Internet aber über all präsent ist."

Seitdem Obel Musik macht, beschäftigen sie diese Fragen: Wie persönlich darf, soll oder muss Kunst sein? Was geht zu weit?

"Ich bewundere Künstler, die durch schwierige Zeiten gehen und das – also sich selbst – dann als Material für ihre Kunst nehmen. Ein Regisseur in Dänemark drehte zum Beispiel einen extrem persönlichen Film über seine Frau. Die hatte postnatale Depressionen, brachte deshalb das gemeinsam Kind der beiden um. In dem Film war sogar das Kinderbett genau das, in dem sein Kind gelegen hatte. Ich fand das faszinierend. Und gleichzeitig hat es mich wahnsinnig gemacht. Ich habe in meinen Songs auch viel über meinen schwer kranken Vater geschrieben. Aber niemals so detailliert."

Nuancen

Die Idee dafür, die Transparenz der Menschen in der heutigen Gesellschaft zum Thema der neuen Platte zu machen, kam Obel, als sie einen Artikel mit dem Titel "Gläserne Bürger" las.

"Ich glaube, dass uns dieses permanente Preisgeben privater Details verändert. Leute verhalten sich anders, wenn eine Kamera im Raum ist. Und ich frage mich, wenn wir mit Snapchat und Facebook leben, ob wir dann in einer anderen Realitäts-Ebene existieren. Denn ich denke, dass das, was wir zeigen, viel simpler als unsere wahre Identität ist."

Obel fürchtet, dass dadurch die Komplexität des Menschseins in Gefahr ist: "Obwohl diese Offenheit auch gut ist, weil Dinge wie Rassismus und Sexismus sofort zu Tage treten, glaube ich, dass wir uns dadurch einengen. Also ich bin zumindest immer eigenartig berührt, wenn ich mir mein Online-Profil anschaue: Da fehlen so viel Nuancen, die mich auch ausmachen."

Agnes Obel: Gläserne Bürger, fragile Künstler
Agnes Obel cover

CD-Kritik

Es ist nicht nur das Trautonium, eines der ersten Synthesizer-Instrumente aus den 20er-Jahren, das „Citizen Of Glass“ so speziell macht. Obel paart das Keyboard, das sie wegen seines „schäbigen“ Sounds gewählt hat, mit Cello, Spinett, Celeste. Beides setzt sie wahlweise perkussiv oder symphonisch ein. Gepaart mit Obels zerbrechlich schöner Feen-Stimme ergibt das zehn Songs, die alle im Spannungsfeld zwischen süß und bitter, Angst und Zärtlichkeit, Engeln und Dämonen schweben, diese Gegensätze häufig vereinen – und so wohl keinen Musikgenießer kalt lassen werden.

KURIER-Wertung:

Kommentare