"Geh Mariechen, so wüd!"

Honorarfrei
Burg-Jungstar Marie-Luise Stockinger im Gespräch

Die 23-jährige Oberösterreicherin kam direkt vom Reinhardt-Seminar ans Burgtheater. In der Regie von David Bösch spielt sie die Irina in Tschechows "Drei Schwestern" (Premiere: 24. März).

KURIER: Stimmt es, dass Ihnen der Probenprozess am meisten Spaß macht im Theater?

Marie-Luise Stockinger: Ja, weil man herausfinden muss: Was wird erzählt und wie wollen wir erzählen? Es ist ein intimer Prozess, indem man im besten Fall angstlos sucht und probiert. Und dabei die Kollegen, gerade bei Tschechow, wirklich gut kennenlernt.

In "Drei Schwestern" sind alle wie gelähmt vor Sehnsucht.

Bei Tschechow passieren die dramatischen Ereignisse nicht auf der Bühne, die Szenen finden davor oder kurz danach statt. Das Dramatische liegt in den Figuren, in ihrer Psychologie und in ihren wechselnden Beziehungen untereinander. Spannung erzeugt sich aus dem, was sie eint, der großen Sehnsucht nach einem anderen, einem besseren Leben. Was mich fasziniert: Tschechow bildet das Leben ungeschminkt ab. Nicht mehr und nicht weniger. Als ich bei der Leseprobe zuhörte, war das fast so, als würde ich Menschen im Kaffeehaus zuhören.

Sehnsüchte, die sich nicht einlösen, Personen, die feststecken – das ist sehr heutig.

Ich kenne das sehr gut von mir selber: Man fühlt sich gefangen zwischen dem, was man nicht hat, und dem, was man nicht will. Man fragt sich ständig, wie das "gute Leben" aussehen könnte. Und danach strebt man, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg – ans Ziel kommt man wohl nie. Wäre auch langweilig.

Wie sieht das "gute Leben" aus?

Schwierige Frage … Vielleicht braucht der Mensch mehr das Sehnen als die tatsächliche Erfüllung. Sehnen bedeutet ja auch immer in Bewegung bleiben. Aber das sind nur Mutmaßungen, und ich bin noch jung.

Bei Ihrer Figur Irina geht es um die Sehnsucht nach der einen großen Liebe. Das ist auch etwas sehr Heutiges: Die Ratgeber-Industrie lebt davon, der Internet-Partnermarkt ...

Dabei würden sich ja viele Männer für Irina interessieren, aber sie ist sich sicher, erst, wenn sie in Moskau ist, kann sie Liebe zulassen. Sie sucht den richtigen Zeitpunkt, verliert sich in ihre Träume, und verpasst dabei das Leben.

Es heißt, der wahre Hauptdarsteller des Stücks ist die Zeit.

Die Zeit ist quasi der Gegenspieler aller Figuren. Jede stellt an einem Punkt fest: Die Zeit vergeht, man ist immer noch da, und nichts hat sich verändert.

Wie ist die Arbeit mit Regisseur David Bösch?

Er hat ein wahnsinniges Gespür für Bilder, für Momente der Einsamkeit und Verlorenheit in der Welt. Oft wird gesagt, bei Tschechow würden die Figuren immer nur reden. Da gilt es zu erkennen: Wann bricht etwas in einer Figur? Wo geht ein Loch auf? Bösch erkennt diese Momente und macht sie groß.

Tschechow hat es gehasst, wenn seine Stücke zu sentimental gespielt wurden. Ist man zur Sentimentalität verführt?

Ich finde ja Sentimentalität an sich nicht schlecht ... Es heißt immer, diese Figuren sind alle so unglücklich, da ist man schon dazu verleitet sich dem Lebensüberdruss hinzugeben. Vielleicht wurde zu Tschechows Zeiten, in den Inszenierungen Stanislawskis, ihre Traurigkeit mit Sentimentalität verwechselt. Aber daneben gibt es bei Tschechow Leichtigkeit, eine Lebenslust, Humor. So wie im Leben.

Sie haben mit Herbert Fritsch beim "Eingebildeten Kranken" gearbeitet. Fritsch bekennt sich ja zur totalen Künstlichkeit, ist quasi das Gegenteil des erwähnten Konstantin Stanislawski, der für puren Naturalismus eintrat.

Es war mein Wunsch, ein Mal mit Fritsch zu arbeiten – bei ihm gibt es keine Requisiten, kein aufwendiges Drumherum. Es war ein großer Spaß, der Schauspieler steht im Zentrum und kann sich richtig austoben.

Überfordert seine grellbunte Inszenierung nicht manche Zuschauer?

Durchaus! Ich finde es in Ordnung, wenn Besucher sagen, so kann man Moliere nicht spielen. Das spornt ja auch an, das Publikum zu überzeugen, auch ein wenig mit ihm zu kämpfen. Es soll ja keine Show sein, keine Nummern-Revue, Theater ist auch immer eine Form der Kommunikation. Meine Großmutter saß beim "Eingebildeten Kranken" in der ersten Reihe. Da gibt es eine Szene, wo wir alle gestapelt an der Rampe zu liegen kommen. Und ich höre meine Großmutter: "Geh Mariechen, so wüd!" Ich finde das großartig – es ist ein Austausch! Und man will ja auch ein bisschen reizen, ein bisschen schockieren!

Ablehnung stört Sie nicht?

Ich möchte immer die Haltung haben: Ich stehe zu dem, was ich da tue, man kann sich daran stoßen, aber das stößt mich nicht um. Im ersten Jahr am Reinhardt-Seminar wird man seziert. Oft kam ich mir vor wie eine offene Baustelle. Nach und nach lernt man dann aber, seine Sicherheit wieder zurückzugewinnen.

Sie wirken keineswegs eingeschüchtert vom Burgtheater.

Es ist mir natürlich sehr bewusst, welche Bedeutung dieses Haus ausstrahlt. Aber ich denke immer: Das ist mein Beruf, ich will das Beste machen, egal, ob hier oder woanders. Ich will mich nicht permanent fragen: Warum darf ich hier spielen.

Weil man Sie engagiert hat.

Klar. Aber jetzt verrate ich Ihnen ein Geheimnis: ich habe diesen Albtraum, dass irgendwann klar wird, dass ich nur ein Betrüger bin, dass ich gar nichts kann. Ich glaube, diese Angst kennen in Wahrheit viele Schauspieler.

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