Schreiben kann sie auch

"Allmählich wird es Tag": Der erste Roman der Schauspielerin ist gelungen.

Bier, Whiskey, Chips. Softdrinks, Schokoriegel, weißes Toastbrot und zwei Rollen Klopapier. So sieht der Einkaufszettel eines Mannes aus, der gerade verlassen wurde. Ach ja, und drei Schachteln Marlboro. Tim raucht jetzt wieder.

Tim Wilkins, 49, wurde gerade von seiner Frau sitzen gelassen. Nach 29 Jahren Ehe. Wortlos ist sie mit einem Rollkoffer und einem Kleidersack davongestolpert und in ein fremdes Auto eingestiegen, als Tim zufällig ein paar Stunden früher als vorgesehen vom sonntäglichen Golfspielen heimgekommen ist.

Und weil kein Unglück allein kommt, verliert er wenig später seinen Job. Leider verabsäumt er es, seinem Chef eine reinzuhauen. (Er wird das später nachholen.)

Die in Los Angeles lebende deutsche Schauspielerin Franka Potente, 39, legt mit "Allmählich wird es Tag" ihren ersten Roman vor. Ganz überraschend kommt er nicht: Potente, die mit Tom Tykwers Film "Lola rennt" den Grundstein zu ihrer internationalen Karriere legte, hat 2006 ein Drehbuch geschrieben und 2010 mit "Zehn", einen ambitionierten Erzählband vorgelegt.

Endvierziger

Schreiben kann sie auch

Und nun diese Geschichte, die sie die "Coming-of-age-Story eines Endvierzigers" nennt. Ein Entwicklungsroman ist Tim Wilkinsons Geschichte durchaus. Im Unterschied zu einem Heranwachsenden aber muss sich Tim nicht zum ersten Mal im Leben zurecht finden, sondern alles, was er bisher erlebt hat, hinterfragen.

Raffiniert macht Potente ihn zur Identifikationsfigur und erst nach und nach merkt man, dass er kein sympathischer Typ ist. Dass er sich nie Gedanken darüber gemacht hat, was seine Frau den ganzen Tag macht. Dass er Affären hatte und sich für seinen heranwachsenden Sohn nie besonders interessiert hat.

Und auch Tim muss erfahren, dass alles nicht so war, wie er dachte. Beim Betrachten der Familienfotos im Lauf der Jahre merkt er, dass im Hintergrund immer wieder sein angeblich bester Freund auftaucht. Tim wird draufkommen dass er "ein Vollidiot war." Er wird einiges durchmachen. Irgendwann wird er nicht mehr wissen, wie das Gesicht seiner Frau aussieht.

Schwerenöter

Potente schafft für ihren Spät-Entwickler-Roman ein sehr amerikanisches Ambiente: Burger, Diners, "Lazyboy" genannte Fauteuils; puertoricanische Stripteasetänzerinnen, ältliche, kettenrauchende Kellnerinnen namens Shirley, die zu kurze Röckchen tragen, und fette, schwitzende Schwerenöter namens Larry.

Man merkt, dass Potente vom Film kommt: Hier wird nicht gefaselt, hier ist Action. Und sehr oft sagt jemand "Fuck it". Sie beschreibt Farben – in Kalifornien ist viel türkis, grindige Motelzimmer sind braun, ein in den 80ern eingerichtetes Haus ist beige. Der Soundtrack dazu – eine Guns-N’-Roses-Cover-Band zum Biertrinken, zum Wohnungzerstören Rage Against the Machine – passt perfekt.

KURIER-Wertung:

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