Filmfestspiele: Superhelden in Venedig

Filmfestspiele: Superhelden in Venedig
Zum Auftakt: "Birdman" von Star-Regisseur Alejandro Iñárritu und "Messi“ von Alex de la Iglesia.

Die 71. Filmfestspiele von Venedig starteten am Mittwochabend mit Superhelden. Einer davon heißt „Birdman“, der andere „Messi“.

„Birdman“ nennt sich der neue Film des mexikanischen Star-Regisseurs Alejandro Iñárritu, ist eine überaus witzige Tragikomödie mit Michael Keaton und der Eröffnungsfilm der Mostra. Die spanische Doku „Messi“ meint natürlich Lionel Messi, Superstar des internationalen Fußballs, und läuft in der Nebenschiene „Giornate degli Autori“. Beide Filme eint die Thematik des männlichen Überfliegers.

Lachen

Bis heute konnte man noch über keinen Iñárritu-Film lachen. Doch das hat sich nun radikal geändert. Berühmt für seine tonnenschweren Melodramen wie „Babel“ oder „Biutiful“, hat der Mexikaner nun offensichtlich seinen Humor entdeckt. „Birdman“ funktioniert bestens als komischer Kommentar auf Hollywoods Blockbusterkino der Superhelden und spielt gekonnt mit dem Verhältnis zwischen Kunstanspruch und Kommerz.

Michael Keaton brilliert als abgehalfteter Schauspieler namens Riggan Thomson, der einst als Superheld „Birdman“ die Millionen an den Kinokassen scheffelte. Doch diese Tage sind vorbei. Nun möchte Thomson sein Talent als Künstler unter Beweis stellen. Sein Plan: Die Broadway-Inszenierung eines Raymond-Carver-Stücks, mit sich selbst in der Hauptrolle. Natürlich läuft während der Proben alles schief und der Tag der Premiere rückt immer näher. Noch dazu lässt ihn die Rolle seines Superhelden nicht los: Immer wieder erklingt die Stimme von „Birdman“ in seinem Kopf, und zuletzt erscheint ihm der gefiederte Superheld als Alter-Ego sogar auf der Toilette.

Umwerfend

Michael Keaton, in seinem wirklichen Leben ebenfalls ein Ex-Superheld (nämlich „Batman), entfaltet eine ungeahnte Bandbreite an Situationskomik. Besonders lustig jene Szene, in der er sich versehentlich aus dem Theater aussperrt und dann in Unterhose und Socken über den knallvollen Times Square marschieren muss. Auch Edward Norton und Naomi Watts als seine selbstverliebten Kollegen sind einfach umwerfend. „Ich habe mich total davor gefürchtet, eine Komödie zu drehen“, verkündete Iñárritu bei der Pressekonferenz im Abschluss an seinem Film: „Aber ich wollte endlich auch einmal am Set lachen.“

Das ist ihm sichtlich gelungen. Trotzdem bleibt Iñárritu ein Angeber-Regisseur: Andauernd muss er mit seiner Kamera um die Schauspieler herumwirbeln, um seine Inszenierungskunst zu beweisen. Seine Figuren sind nicht ganz so komplex, wie sie gerne wären. Und auch die Musik, so toll sie ist – bleibt eine Spur zu aufdringlich. Man kann sich beim Zuschauen nicht des Gefühls erwehren, dass der Regisseur permanent seine Anwesenheit in Erinnerung rufen muss. Hätte er einfach einen Gang zurück geschaltet, es wäre immer noch mehr als genug gewesen. In jedem Fall aber ist „Birdman“ durchgehend unterhaltsam – und bislang Iñárritus bester Film.

Kitschoper

Das kann man von der Doku seines spanischen Kollegen Alex de la Iglesia nicht behaupten. „Messi“ ist zwar ein Love-Fest für jeden Fan, aber ansonsten eine haltlose Kitschoper. Der Regisseur inszenierte die Kindheit Messis mit (wenig talentierten) Schauspielern nach, was nicht unbedingt zum Gelingen seines Films beiträgt. Ansonsten kommen eine Menge Fussballexperten, Journalisten, Kindheitsfreunde und Kollegen zu Wort, die alle über das Genie von Messi diskutieren. Am spannendsten noch alte Filmaufnahmen von Messi als jungen Buben, der sein erstes Interview gibt und seine Liebe zu Diego Maradona gesteht.

Pathetische Musik und das Dauergequatsche der Experten macht das Zusehen zunehmend anstrengend. Trotz allem aber bleibt man schließlich hängen: An dem Traum eines kleinen Argentiniers, der sich selbst als Kind Hormonspritzen verpassen musste, damit er nicht zu wachsen aufhörte. Und der schließlich zum weltbesten Fussballer aufstieg.

Nicht nur Venedig braucht seine Superhelden.

Die Wettbewerbsfilme der 71. Filmfestspiele von Venedig im Überblick

Die 71. Filmfestspiele von Venedig eröffnen Mittwochabend. Als einzige österreichische Teilnehmer treten Ulrich Seidl, Veronika Franz – langjährige Filmkritikerin des KURIER – und ihr Co-Regisseur Severin Fiala an. Von Seidl läuft der Essay-Film "Im Keller" im Wettbewerb außer Konkurrenz. Seine Langzeit-Partnerin und Drehbuch-Co-Autorin Franz zeigt, gemeinsam mit Fiala, ihr Spielfilmdebüt: "Ich seh Ich seh" ist ein Horrorfilm, der in der renommierten Reihe Orizzonti läuft. Ein Gespräch über Horror, Keller und rote Teppiche.

KURIER: Herr Seidl, haben Sie geahnt, dass in Ihrer langjährigen Partnerin, Drehbuch-Co-Autorin und Regieassistentin Veronika Franz auch eine Regisseurin steckt?

Ulrich Seidl: Nein. Allerdings hat es allmählich angefangen. Zuerst gab es ein kleineres Projekt, den Doku-Film "Kern". Dass noch etwas nachkommen wird, war klar.

Veronika Franz: Er hätte gar nicht wissen können, dass eine Regisseurin in mir steckt, weil ich es selber nicht wusste. Es ist ein Unterschied, ob man mit 25 oder 30 entscheidet, auf die Filmakademie zu gehen, oder ob man sich, wie ich, ein Leben lang mit Film beschäftigt. Der Schritt dazu, es dann selber zu machen, war ein Prozess. Ich habe sehr viel durch meine Arbeit mit Ulrich gelernt.

KURIER: Wenn man lange mit Ulrich Seidl zusammenarbeitet – ist es dann logisch, dass man als Spielfilmdebüt einen Horrorfilm macht?

Franz: (lacht) Selbstverständlich! Ich finde, Ulrich macht auch Horrorfilme, und zwar auf ganz andere Weise. Nicht Blut- und Beuschel-Filme, sondern über Dinge, die Horror im Alltag sind.

Seidl: Ich würde nie behaupten, dass ich Horrorfilme mache. Das schreiben manche Journalisten. Eher erzähle ich von der Hölle im Alltag.

Franz: Werner Herzog hat über deine Filme gesagt: "Ich habe noch nie in meinem Leben so in die Hölle geschaut." Da könnte man schon argumentieren, dass das in gewisser Hinsicht Horrorfilme sind.

Seidl: Ja, aber das steht bei mir nicht am Anfang. Ganz im Gegensatz zu eurem Film: Ihr habt euch ja explizit vorgenommen, einen Horrorfilm zu machen.

KURIER: Worum geht es?

Franz: Der Film spielt in einem allein stehenden Haus am Land und handelt von einer Mutter, die nach einer Operation einbandagiert nach Hause zu ihren Zwillingsbuben kommt. Sie sieht unheimlich aus und verhält sich anders als früher. Die Buben beginnen zu bezweifeln, dass diese Frau ihre Mutter ist.

KURIER: Herr Seidl, Sie sind mit Ihrer Produktionsfirma auch der Produzent von "Ich seh Ich seh". Worin bestand Ihre Funktion?

Seidl: Den Film zu unterstützen – immer im Sinn der beiden Regisseure, aber auch mit der finanziellen Verantwortung gegenüber unserer Produktionsfirma. Ich habe bei den Vorentscheidungen – der Wahl der Drehorte, der Auswahl der Zwillingsbuben – mitgesprochen, aber nie beim Dreh selber. Ich bin nicht hinter ihnen gestanden und habe Ezzes gegeben. Erst danach habe ich mir die Muster angeschaut, und wir haben die Ergebnisse besprochen.

KURIER:Und was Sie gesehen haben, hat Ihnen gefallen?

Seidl: Nicht immer. Der Film hat einen Prozess gemacht und ist im Schnitt und in der Postproduktion immer besser geworden.

KURIER: Wie viel "Seidl" steckt in "Ich seh Ich seh"?

Franz: Severin (Severin Fiala, der Co-Regisseur, Anm.) und ich haben eine Einstellung im Film, die nennen wir immer das "Seidl-Bild": Da sieht man, wie die Zwillinge am Bett sitzen und synchron Würstel essen. (lacht)

KURIER: "Im Keller" läuft im Hauptwettbewerb außer Konkurrenz. Worum geht es?

Filmfestspiele: Superhelden in Venedig
Film: Im Keller
Seidl:"Im Keller" ist ein dokumentarischer Essayfilm und hat den Keller in vielerlei Hinsicht zum Thema. Ich habe einmal festgestellt, dass die Österreicher sehr gerne ihre Zeit im Keller verbringen. Da gibt es den Arbeitskeller und Bastelkeller, aber auch die Kellersauna oder die Kellerbar. Viele Leute gehen in den Keller, wenn sie so sein wollen, wie sie wirklich sind. Dort ist man ungestört. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass der Keller der Ort der Dunkelheit, der Angst und des Verbrechens ist.

KURIER: Wäre es denkbar, dass Sie beide ein Drehbuch schreiben und dann Veronika Franz die Regie übernimmt?

Seidl: Ich glaube, das funktioniert nicht. (schmunzelt)

Franz: Dazu ist unsere Zusammenarbeit zu hierarchisch. (lacht) Ich schreibe für ihn, und er entscheidet, was er davon haben will und was nicht. Die Zusammenarbeit mit meinem Co-Regisseur hingegen ist gleichberechtigt.

KURIER: Nun treten Sie gemeinsam bei den Filmfestspielen an...

Franz: Darauf sind wir schon sehr stolz. Wir gehen binnen 24 Stunden zwei Mal über den roten Teppich – bei den Orizzonti gibt es auch einen roten Teppich. Das ist etwas Besonderes.

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