"Faule Kredite": Griechen-Krise als Krimi

"Faule Kredite": Griechen-Krise als Krimi
Interview: Wut, Sparpakete, enthauptete Banker: Schriftsteller Petros Markaris zeichnet in seinem jüngsten Buch ein Psychogramm Griechenlands

Trotzdem: Souvlaki können wir uns noch leisten", witzelt eine Romanfigur in Petros Markaris neuestem Buch. Der derzeit erfolgreichste griechische Autor vermag wie kein anderer zu beschreiben, wie sich die Griechen inmitten ihrer schweren Krise fühlen.

KURIER: In Ihrem Krimi werden Banker geköpft. War das für Sie ein naheliegendes Thema - in der augenblicklichen Stimmungslage in Griechenland?

Petros Markaris:
Man kann die Stimmungslage in Griechenland mit "alle gegen alle" beschreiben. Nicht, weil unbedingt alle gegen alle kämpfen, sondern eher, weil jeder die Schuld für das Desaster den anderen in die Schuhe schiebt. Mal sind die Politiker schuld und werden angepöbelt, dann das Klientelsystem, oder diejenigen, die regelmäßig und jahrelang die Steuerhinterziehung fast als eine Art "Sport" betrieben haben. Wahr ist aber auch, dass wir alle einen Teil der Schuld tragen. Nicht, weil alle zehn Millionen Griechen korrupt sind, wie viele Europäer und vor allem viele Deutsche glauben, sondern weil wir jahrzehntelang dieses politische System und dessen Staatsführung toleriert haben.

"Faule Kredite": Griechen-Krise als Krimi

Ihr Krimi-Kommissar Kostas Charitos ist selbst ein Betroffener der Sparmaßnahmen, der Sympathien für die Anliegen der Demonstranten hegt, selbst aber nicht demonstrieren geht. Ist er ein Fatalist?
Ich würde die Haltung von Charitos nicht als fatalistisch, sondern als realistisch bezeichnen. Die Generation von Charitos ist in einem armen Land aufgewachsen. Sie kommt aus Dörfern, in denen Ende der Vierziger-, Anfang der Fünfzigerjahre große Armut herrschte. Sie kennt also die Armut aus erster Hand und kann damit viel besser umgehen.
Wenn Sie heute mit Leuten auf der Straße ins Gespräch kommen, die über fünfzig sind, dann werden Sie dieselbe Haltung erkennen wie bei Charitos. Die Vierziger und die jüngeren Generationen reagieren ganz anders. Sie haben die Armut nicht erlebt und haben große Angst vor ihr. Sie sind durch die Krise völlig verunsichert und reagieren fast hysterisch.

Gehören Sie auch zu den "Empörten"?
Sie würden heute keinen einzigen Griechen treffen, der nicht empört wäre. Meine Empörung richtet sich gegen ein politisches System, das das Land in den Abgrund geführt hat. Sie richtet sich gegen einen maroden Staatsapparat, der enorme Ressourcen auffrisst und dessen Sanierung im Schildkrötentempo vorangeht. Meine Empörung richtet sich aber auch gegen die Europäer, die lange gezögert haben, die keine klare europäische Politik haben, sondern immer mehr mit dem Blick auf die eigenen Wähler Politik machen. Andererseits kann ich aber trotz alledem immer noch lachen, was ich als Beweis für meinen gesunden Menschenverstand werte.

Warum gibt es außer den drei großen politischen Familien keine nennenswerten politischen Kräfte im Land? Sind tatsächlich sie es, die die Schuld an der Misere tragen?
Griechenland hat mit dem Referendum von 1974 die Monarchie abgeschafft, aber die politischen Familiendynastien behalten. Das Land wurde in diesen vergangenen 37 Jahren des sogenannten "neuen Regimes" (Republik Hellas) insgesamt 28 Jahre lang von drei Familien regiert: von den Familien Papandreou, Karamanlis und Mitsotakis, die immer noch in der Politik tonangebend sind. Alle Politiker, die im
Laufe dieser Jahre für den Vorsitz einer der zwei großen Parteien gegen ein Familienmitglied kandidiert haben, haben die Wahl verloren. Selbstverständlich trug diese Realität zur Verkrustung des politischen Systems in Griechenland bei.

Wird es denn noch schlimmer werden? Wird die Gewalt noch zunehmen?
Es ist bereits schlimmer geworden. Das neue Sparpaket trifft die Leute sehr hart. Am härtesten trifft es aber den Mittelstand - und das ist eben der schwache Punkt des Sparprogramms. Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Land zu ruinieren: Entweder durch Pump und Verschwendung, das haben die Griechen gemacht; oder durch Sparen, bis einem das Blut ausgeht. Die Gewalt nimmt derweil zu und das ist extrem beunruhigend. Andererseits beschränkt sich aber diese Gewalt auf Athen und wird auch von kleinen, aber sehr gewalttätigen Gruppen, betrieben.

Wer zieht die zur Verantwortung, die nicht 300 Euro Steuern hinterzogen haben, sondern 300 Millionen?
Wer zieht auch jene zur Verantwortung, die überhaupt keine Steuern zahlen, und wiederum diejenigen, die ihr Geld außer Landes gebracht haben? Die Banken von der Schweiz bis Zypern machen sehr gutes Geschäft mit dem Geld, das dem Land fehlt. Anstatt dieses marode System zu sanieren, versucht man es in Athen mit immer mehr Steuern.

Muss Griechenland erst korrekt und sparsam zu einer Art Schweiz werden, damit es wieder ein funktionierendes Land werden kann?
Griechenland eine Art Schweiz? Da kann ich nur lachen. Ich wäre zufrieden, wenn Griechenland es so weit bringen würde, eine Art Zypern zu werden. Alles andere wäre Illusion.

Zur Person: Petros Markaris

"Faule Kredite": Griechen-Krise als Krimi

Krimiautor
Erst als er schon fast 60 Jahre alt war, schrieb der studierte Volkswirt, Dramatiker, Drehbuchautor und Gesellschaftskritiker Petros Markaris (74) seinen ersten Krimi - und hatte damit sofort international durchschlagenden Erfolg. Seine Krimischöpfung, der clevere, durch und durch griechische Kommissar Kostas Charitos, machte Markaris zum
Bestsellerautor.

Leben
Die Mutter Griechin, der Vater Armenier, wuchs Markaris in Istanbul auf, studierte in
Österreich (und spricht und schreibt hervorragend Deutsch) und lebt seither in Athen.
Neuerscheinung Markaris jüngstes Buch "Faule Kredite" ist DAS Buch zur Krise in
Griechenland und ist ab Donnerstag im Buchhandel erhältlich.

Kommissar

Charitos, selbst ein Opfer der Sparzwänge bei der griechischen Polizei, hat darin in Athen einen Mörder zu jagen, der bevorzugt Banker enthauptet.

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