Es - Von Stephen King

Porträt von Stephen King mit Brille vor dunklem Hintergrund.
Dieser Roman kommt mit der Intensität einer sich langsam aufbauenden Sturmflut daher. Langsam, aber bedrohlich erkennt man am Horizont von Anfang an das Grauen.

Dieser Roman kommt mit der Intensität einer sich langsam aufbauenden Sturmflut daher. Langsam, aber bedrohlich erkennt man am Horizont von Anfang an das Grauen. Stephen Kings „Es“ hat tatsächlich etwas von einer Naturgewalt, und wenn die Welle dann nach knapp 700 Seiten endlich auf die Kleinstadt Derry im Bundesstaat Maine trifft, scheint die Apokalypse nah.

In Derry herrscht das Böse: Alle 27 Jahre erwacht das seit Urzeiten hier existierende „Es“, mordet mit Vorliebe Kinder und treibt Erwachsene in den Wahnsinn. 1957 bieten sieben Freunde, die sich selbst „Klub der Verlierer“ nennen, dem Monster die Stirn. Sie verbünden sich, stellen „Es“ in den Tiefen der Kanalisation, verwunden es schwer und glauben an seinen Tod. Die Kinder vergessen, was passiert ist, sechs von ihnen verlassen die Kleinstadt. Nur Mike bleibt in Derry und übernimmt das Amt des Wächters. 1985 meldet das namenlose Grauen sich wieder zurück, Mike kontaktiert seine Freunde aus der Kindheit und die stellen sich erneut, erwachsen und desillusioniert, dem mächtigen Feind.

Stephen King wurde oft als Schreiber von Schund bezeichnet. Vielleicht, weil kaum einer seiner zahlreichen Romane ohne wandelnde Leichen, Aliens oder sonstige Horrorfiguren auskommt; das Blut spritzt aus vielen seiner Seiten. Aber seine Texte sind auch sozialkritisch. Er stellt sich auf die Seite von Minderheiten, Schwachen und sozial Benachteiligten. Und seine Texte sind komplex. „Es“ beispielsweise wechselt so virtuos zwischen 1957 und 1985 hin und her, dass die Ereignisse sichfür den Leser ebenso vermischen wie für die Protagonisten.

Rückblenden innerhalb von Rückblenden sind nichts Ungewöhnliches, innere Monologe führen tief in die Psyche ein – Schund geht anders. Dann ist da Kings großartige Charakterzeichnung. Nur wenige Sätze genügen, um ein klares, eindringliches Bild der Figuren zu entwerfen. „Es“ gehört zur Gruppe jener Romane, die sich abwechselnd mit einer „idealisierten“ Kindheit und einer desillusionierten Erwachsenenwelt beschäftigen.

Es - Von Stephen King
Ein Königreich für ein Bild!

Der Motor aller spannenden Ereignisse im Roman ist der Glaube an eine übernatürliche Kraft. Und der fehlende Glaube (der Erwachsenen) führt unweigerlich ins Verderben. Nur wenigen Autoren gelingt es, die Leiden und Freuden der Kindheit so intensiv zu gestalten: der erste Kuss, selbstlose Freundschaften, die unbändige Lust, Fahrrad zu fahren, die Fantasie, die einen Aspirator in eine Säurepistole verwandelt. King ist ein wahrer Meister dieser schrecklich-schönen Erinnerungen, die alle, die sich ihrer eigenen Kindheit entsinnen, tief treffen.

Dieses Thema griff der 1947 in Portland geborene „King“ of Horror übrigens immer wieder auf: etwa im Roman „Atlantis“ von 1999 oder in der berührenden Erzählung „Die Leiche“, die unter dem Titel „Stand by Me“ wie so vieles von King erfolgreich verfilmt wurde.

2003 wurde der in Maine lebende Autor, zum Entsetzen mancher Kritiker, mit dem renommierten National Book Award ausgezeichnet. Nicht wenige seiner Romane sind tatsächlich etwas eintönig in ihrer Fixierung auf den „Horror“ – oder auch einfach langwierig. Aber mit „Es“ zeigt uns Stephen King – einmal ironisch, einmal brutal realistisch –, dass die wahren Monster keine Vampire und Werwölfe sind, sondern die Menschen selbst.

 

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