Erinnerungen an Udo Jürgens

"Mir ist bewusst, dass ich ein Ausnahmeleben führe": Udo Jürgens am Klavier, wie er uns in Erinnerung bleiben wird.
Warum der Superstar vor 80 Leuten mehr Lampenfieber hatte als vor 20.000.

Ich habe seit Sonntagnachmittag, als die Nachricht sich im ganzen deutschen Sprachraum wie ein Lauffeuer verbreitete, mit niemandem gesprochen, der nicht betroffen reagiert hätte. Betroffen, dass Udo Jürgens tot ist.

Es wird noch eine Zeit dauern, bis wir ermessen können, wen wir da wirklich verloren haben. Das Wort Jahrhundertkünstler ist in den Nachrufen oft gefallen, aber kann man den Komponisten Udo Jürgens wirklich mit Lehár oder George Gershwin in einem Atemzug nennen? Und den Entertainer mit Frank Sinatra, Sammy Davis und Peter Alexander?

Er ist noch allzu präsent

Solche Vergleiche herzustellen, ist schwierig, weil diese Künstler in unterschiedlichen Kulturkreisen und Schaffenszeiten tätig waren. Auch ist es noch sehr früh, die Frage zu beantworten, weil Udo Jürgens allzu präsent ist. Unsterblich kann man erst sein, wenn man gestorben ist. Und das ist er noch nicht in unseren Köpfen und Gefühlen.

Aber dass Udo Jürgens ein genialer Komponist und Interpret war, der den Vergleich mit anderen Genies nicht zu scheuen braucht, steht fest.

In meinem Haus, zwei Stockwerke über mir, wohnt Brigitta Köhler, eine sympathische, elegante Dame. Sie war Udo Jürgens’ erste Liebe und mit ihm bis zuletzt in Freundschaft verbunden – ihre Person gehört auch zur Haupthandlung seiner Familiengeschichte "Der Mann mit dem Fagott". Sie hat ihn zuletzt vor drei Wochen in seinem Konzert in der Stadthalle gesehen und ihn danach getroffen, erzählte sie mir gestern.

Ein schweres Jahr

"Udo war überglücklich", erinnert sie sich, "weil er noch keine Tournee erlebt hat, die so gelungen begann. Er fühlte sich sehr gut, aber man muss auch bedenken, dass er ein schweres Jahr hinter sich hatte. Da waren die Feiern zum 80. Geburtstag, er hat ein neues Haus in der Schweiz bezogen und eine Tournee vorbereitet." Und doch: "Der Tod kam überraschend, mir war nicht bekannt, dass er etwas am Herzen hatte".

Brigitta Köhler sieht es als Fügung, dass er am Gipfel seines Erfolgs gestorben ist. "Was er zuletzt geleistet hat, war nicht zu steigern." Sie kannte Udo seit 1953, fünf Jahre lang waren sie ein Paar, ehe die Beziehung auseinander ging, "weil ich erkannte, dass die Musik bei ihm immer an erster Stelle stehen wird".

Er hatte keine Allüren

Erinnerungen an Udo Jürgens
Ich selbst habe Udo Jürgens – und Brigitta Köhler war oft dabei – mehrmals getroffen und war immer beeindruckt von diesem Mann. Er kam zwei Mal als Gast einer Radio- bzw. einer Fernsehsendung, die ich gestaltete. Schwierig waren immer nur die Verhandlungen mit dem Management, er selbst hatte keine Allüren, war freundlich, geradezu bescheiden und blickte mit großer Demut zurück: "Mir ist bewusst, dass ich ein Ausnahmeleben führe", sagte er einmal, "das hat Schattenseiten, etwa dass ich nirgendwo ohne beobachtet zu werden, hingehen kann. Aber das Glück überwiegt." Und dann sagte er noch, dass er glücklich sei, die Gefahren, die in seinen jungen Jahren gelauert hätten, überwunden zu haben. "Ich war durch Alkohol und andere Blödheiten gefährdet, aber ich habe mich da selbst herausgezogen."

Mehrmals traf ich ihn in der legendären "Broadway Piano Bar" unseres gemeinsamen Freundes Bela Koreny. Es war klar, dass Udo Jürgens sich jedes Mal ans Klavier setzen würde. Doch uns allen fiel auf, dass er vor seinen Auftritten in der kleinen Bar, die gerade 80 Menschen fasste, extrem nervös war und lange brauchte, bis er zum Klavier ging, um einige seiner großen Hits zu spielen. Nachher erzählte er, dass er vor 80 Leuten viel nervöser sei als vor 20.000 in einer großen Halle: "Weil den 80 Leuten schau ich in die Augen, aber die 20.0000 in der Halle, die seh ich nicht."

Der Buchstabe "I"

Kennen gelernt habe ich Udo Jürgens vor mehr als 30 Jahren durch Paul Hörbiger, dessen Sohn Thommy die Texte zu einigen seiner erfolgreichsten Lieder verfasst hat. Bevor er sie schrieb, gab ihm Udos damaliger Manager Hans R. Beierlein den Rat: "Du musst für die Lieder Worte nehmen, in denen der Buchstabe ,I’ möglichst oft vorkommt, der Udo singt gern was mit ,I’."

Thommy Hörbiger lieferte dem Star dann die Texte zu "Merci Chérie", "17 Jahr, blondes Haar" und "Immer wieder geht die Sonne auf". Über einen Mangel an "I’s" hatte sich Udo Jürgens nicht zu beklagen.

Udo und die hohen Töne

Als ich Udo Jürgens einmal auf die vielen "I’s" in seinen Liedern ansprach, gestand er, dass er als junger Sänger das Problem hatte, hohe Töne mit einem anderen Buchstaben als mit "I" zu singen. "Das ist schwer zu erklären", sagte er, "weil normalerweise Sänger gerne ein ,A’ hoch singen. Aber bei mir war’s das ,I’". In späteren Jahren war’s ihm dann egal, welcher Buchstabe es ist, "aber damals war das noch wichtig".

Ich fragte meine Nachbarin gestern auch, ob Udo Jürgens mit ihr je über den Tod gesprochen hätte, und Brigitta Köhler antwortete: "In erster Linie hat er an die Zukunft gedacht und immer Pläne gehabt. Aber er hatte auch dunkle Seiten, Ängste und Albträume. Und er hat sich vor seinem 80er gefürchtet, weil beide Eltern etwa in diesem Alter gestorben sind."

Udo Jürgen Bockelmann wurde am 30. September 1934 in Klagenfurt geboren. Er wuchs nach dem Krieg auf Schloss Ottmanach in Kärnten auf und brachte sich das Klavierspielen selbst bei.

Ein Gruppenführer der „Hitlerjugend“ verpasste ihm eine Ohrfeige, die eine lebenslange Verminderung der Hörfähigkeit auf einem Ohr zur Folge hatte. Er studierte Musik am Mozarteum in Salzburg.

Nr. 1 mit Merci Chérie

1966 erlangte er für Österreich Platz 1 beim „Eurovision Song Contest“ mit Merci Chérie. Damit schaffte er den internationalen Durchbruch. Udo Jürgens schrieb insgesamt 1000 Lieder, darunter 17 Jahr blondes Haar, Sag ihr, ich lass sie grüßen, Griechischer Wein, Buenos días Argentina, Was ich dir sagen will, Mein Bruder ist ein Maler, Ich war noch niemals in New York, Ein ehrenwertes Haus, Aber bitte mit Sahne, Mit 66 Jahren, Vielen Dank für die Blumen, Mitten im Leben...

Er komponierte auch für Frank Sinatra (der das Lied Sammy Davis jr. überließ), Shirley Bassey, Bing Crosby und Al Martino. Insgesamt wurden 100 Millionen Tonträger von Udo Jürgens verkauft, womit er der erfolgreichste Komponist im deutschen Sprachraum war.

Privates

Von 1964 bis 1989 war er mit Panja Meier verheiratet, die die Kinder John (1964) und Jenny (1967) zur Welt brachte. 1999 heiratete er Corinna Reinhold, 2006 erfolgte die Scheidung. Udo Jürgens war österreichischer und Schweizer Staatsbürger. Er war erst im Vorjahr in eine Villa in der Gemeinde Meilen am Zürichsee, umgezogen.

Familiengeschichte

Seine Familiengeschichte beschreibt Udo Jürgens in dem Roman Der Mann mit dem Fagott, der auch verfilmt wurde.

Er starb am 21. Dezember 2014 während eines Spaziergangs in Gottlieben im Kanton Thurgau im Alter von 80 Jahren an Herzversagen.

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