Das Ende der 20-jährigen Party

Elbow-Sänger Guy Garvey: Mit 40 vermisst er seine Saufkumpanen und denkt über das Alter nach
Die britische Band Elbow verzaubert mit "The Take Off And Landing Of Everything".

Noch vor einem Jahr war sich Elbow-Sänger Guy Garvey sicher: Ich weiß, wer ich bin, was ich will und wie mein Leben weitergeht. Doch vor ein paar Monaten fand er sich plötzlich in New York wieder, und brütete über die Frage: „Was will ich jetzt vom Rest meines Lebens?“.

Der Grund: Nach acht Jahren hatte er sich von seiner Freundin, der britischen Autorin Emma Jane Unsworth, getrennt. Im Interview mit dem KURIER erzählt er, wie das die Texte des neuen Elbow-Albums „The Take Off And Landing Of Everything“ beeinflusst hat. Und zwischendurch jede Menge Anekdoten über aufblasbare Ratten und den betrunkenen Willem Dafoe.

KURIER: Sie haben Ihrem neuen Album mit „The Take Off And Landing Of Everything“ einen recht kryptischen, unkonkreten Titel gegeben. Wie kam es dazu?
Guy Garvey: Wir haben den Song „The Take Off And Landing Of Everything“ ganz zum Schluss geschrieben. Und ich weiß nie, was so ein Text bedeutet, bis er fast fertig ist. Denn ich fange immer damit an, Lautmalerisches über die Musik zu singen. Daraus entstehen dann Sätze und Geschichten. Erst viel später realisiere ich dann, wovon ein Text handelt. Und das kann dann schon recht schockierend sein.

Was war an „The Take Off And Landing of Everything“ schockierend?
Ach ja, der Song. Da geht es eigentlich darum, etwas loszulassen. Der Zusammenhang mit der Phrase „The Take Off And Landing Of Everything“ ist die falsche Annahme, dass das Ende einer guten Sache etwas Schlimmes ist. Ich bin nicht notwendigerweise dieser Meinung. Das Ende einer guten Sache signalisiert nur, dass es Zeit für eine Veränderung ist. Das Album ist eine Feier der Dauer, aber auch des Endes meiner langjährigen Beziehung. Denn ich finde, das Ende einer Liebesbeziehung kann genauso befriedigend sein wie der Beginn – weil man dann wieder Frieden miteinander schließen kann.

Sie haben viele der neuen Songs in New York geschrieben. Sind sie dorthin gegangen, um sich von dem Ende der Beziehung abzulenken?
Zum Teil schon. Aber ich liebe New York auch sehr. Dort fühlt es sich die ganze Zeit so an, als ob jeden Moment jemand um die Ecke kommt, der etwas in Umlauf bringt, das die Welt verändern wird. Ich war an meinem 28. Geburtstag das erste Mal dort. Ich bin um 6 Uhr früh aufgewacht, habe mir ein Taxi geschnappt und gesagt: „Für 20 Dollar in diese Richtung!“ Gerade als die Sonne aufging, kam ich dann unten im Village an. Und das Erste was ich sah, war ein sehr betrunkener Willem Dafoe. Er hat mich sogar begrüßt, hat mir gewunken. Und ich dachte: Wow, wie cool. Das Zweite war eine 25 Meter hohe aufblasbare Ratte. Denn dort haben sie bei einem gewerkschaftlichen Protest keine 40 Leute, die sich mit Pfosten und Postern als Streikposten aufstellen. Sie mieten stattdessen diese Ratte und blasen sie vor dem Gebäude auf, in dem das Unrecht geschehen ist. Ich habe dem Typen, der sie aufgeblasen hat, einen Kaffee gekauft und gefragt, was los ist. Er sagte, sie haben eine Frau gefeuert, weil sie schwanger geworden ist. Und . . . wovon sind wir eigentlich ausgegangen?

Vom Grund, warum Sie zum Schreiben nach New York gegangen sind.
Ah ja. Na ja, New York ist einfach sehr inspirierend. Ich liebe die Einstellung der Leute, die Lebensart die Gebäude und die Architektur. Aber am meisten, dass dort jede Art von Rasse und Klasse vertreten ist. Und nicht nur vertreten - vielmehr führen alle eine friedliche Koexistenz.

Wie immer haben Sie auch einiges an Sozialkritik in die Texte gepackt. In „Charge“ singen Sie: „Wir lernen nichts aus der Geschichte“ . . .
Na ja, je älter man wird, desto weniger singt man über die Drogen, die man genommen hat, oder den Sex, den man gehabt hat. Und dann nehmen alle an, dass man das nie gehabt und getan hat.

Aber Sie haben es natürlich getan, oder?
Selbstverständlich. In allen Variationen und Intensitäten . . . ha ha ha. Aber mit dem Song sage ich, dass man die älteren Leute respektieren soll. Dass die Jungen nicht denken sollten, die Alten wollen einem alles wegnehmen, was Spaß macht. Inspiriert hat mich dazu ein alter Mann, der immer in den Bars in Manchester rumhing. Er war so um die 70, immer gut gekleidet mit adretten Schuhen und Seidenanzügen. Aber er war ein verdammter Grantscherm. Nur wenn man sich auf ihn einließ und ihm länger zuhörte, kam man drauf, dass er faszinierende Geschichten zu erzählen hatte, weil er aus einem interessanten Leben schöpfen konnte.

„The Blanket Of Night“ beschreibt ein Liebespaar, das flüchtet. War die Tragödie vor Lampedusa der Auslöser dafür?
Nein, das war kein bestimmtes Ereignis. Es war allgemein dieser schockierende Mangel an Einfühlungsvermögen, den die Leute in der Debatte um die Flüchtlinge – zumindest hier in Großbritannien – an den Tag legen. Tausende Leute sterben bei dem Versuch, ihre Lebenssituation zu verbessern, werden als Leichen angeschwemmt. Das ist eine Katastrophe. Deshalb habe ich diese Story von einem Paar, das seine Heimat verlässt und versucht, illegal wo anders Fuß zu fassen, als Liebesgeschichte aufgebaut – als Liebesbrief an jeden, der der Armut entfliehen will.

Woran, glauben Sie, liegt dieser Mangel an Einfühlungsvermögen?
Vielleicht weil es weit entfert passiert. Wenn man diesen Leuten persönlich begegnen würde . . . ich bin sicher, dann würden wir sie aufnehmen. Wenn man in der Straße jemanden trifft, der in einer Notsituation Hilfe braucht, schaut man ja auch nicht weg. Aber weil die Tragödie wo anders passiert, können sich die Leute nicht mit den Opfern identifizieren. Und ich denke auch, dass es vielleicht ein viel zu großes Problem ist. Sie wissen doch, dass wenn man ein Problem hat, manche Leute es abschwächen und sagen: Aber wenigstens musst du nicht hungern, oder wenigstens musst du nicht das und das. Wenn man diese Logik fortführt, ist die einzige Person, die es sich erlauben kann, unglücklich zu sein, die offiziell unglücklichste Person auf der Erde. Und alle anderen müssten glücklich sein. Vielleicht ist das Flüchtlingsproblem in einer ähnlichen Art und Weise einfach zu viel, um sich empathisch damit auseinanderzusetzen.

Der Song „My Sad Captains“ wurde von dem Shakespeare-Drama „Antonius und Kleopatra“ inspiriert. Wie kamen Sie darauf?
Die Zeile „My Sad Captains“ ist ein Zitat daraus. Ich finde, „Antonius und Kleopatra“ deshalb faszinierend, weil es bei Shakespeare die einzige Liebesgeschichte ist, die sich mit einem Paar im mittleren Alter auseinandersetzt. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, geht es in dem Song eigentlich darum, dass ich meine Saufkumpanen vermisse. Manche von ihnen sind schon verstorben, manche sind weggezogen. Und viele haben Kinder und gehen nicht mehr so viel aus. In Wirklichkeit beweine ich das Ende einer 20-Jährigen Party. Aber ich bin mit 40 nach der Trennung zwar an einem unerwarteten Wendepunkt in meinem Leben angekommen , ich kann es aber trotzdem genießen. Ich habe immer noch keinen normalen Job, habe Zeit für meine Freunde. Und ich habe neue Interessen entwickelt: Ich bin zu einem Vogel-Liebhaber geworden, schau mir die Tiere gern in freier Wildbahn an. Außerdem liebe ich Filme und ins Kino gehen. Und ich lese wieder viel mehr Poesie - immer mit einem guten Glas Brandy in der Hand.

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