"Einstein On The Beach": Oper zum Selberdenken

Kritik: Die Berliner Erstaufführung des legendären Werks von Regielegende Robert Wilson

Es lässt sich kaum ein ungewöhnlicherer Ohrwurm denken als jener, mit dem einen " Einstein On The Beach" in die Nacht hinausschickt.

"One, two, three, four/One, two, three, four, five, six/One, two, three, four, five, six, seven, eight."

Und das immer und immer wieder.

Nein, "Einstein On The Beach" ist wahrlich keine normale Oper: Komponist Philip Glass und der gefeierte Avantgarde-Regisseur Robert Wilson haben auf alles verzichtet, was Musiktheater sonst so ausmacht. Eine Handlung etwa, oder ein Libretto, das man verstehen kann (oder muss). Oder offizielle Pausen: Man kann kommen und gehen, wann man will. Das abstrakt-minimalistische Werk hat bei seiner Uraufführung 1976 die Frage ganz neu gestellt, wie Musik und Theater funktionieren. Und fast vier Jahrzehnte später zeigte am Montag die erste Aufführung von "Einstein On The Beach" in Berlin überdeutlich, warum das Werk legendär ist.

Dramafrei

Wie weit weg, wie unfreundlich eigentlich, scheint hier das gnadenlose Gefühlsspülprogramm, durch das einen die Oper sonst rüttelt: spülen, schleudern, schleudern, schleudern, spülen, bei der Oper gibt es kein Entkommen – man kriegt von Orchester, Sängern, Bühnenbild sekundengenau mitgeteilt, was man zu fühlen hat.

"Einstein On The Beach": Oper zum Selberdenken
Theater Director Robert Wilson poses during a photocall to present the film 'Absolute Wilson' running in the Panorama section at the 56th Berlinale International Film Festival in Berlin in this February 13, 2006 file photo. Wilson collaborated with composer Phillip Glass on the 1976 opera "Einstein on the Beach" which is on a rare North American and European tour. REUTERS/Christian Charisius/Files (GERMANY - Tags: ENTERTAINMENT HEADSHOT SOCIETY)

Bei "Einstein On The Beach" aber, welche Erleichterung, ist man mit sich alleine. Endlich kein Drama, Baby! Stattdessen: So abstrakte wie eindrucksvolle Bilder, die mit Bedeutung aufzuladen (oder auch nicht) einem selbst überlassen bleibt.

Ein absurdes Gerichtsverfahren, der Morgentanz der Büroangestellten mit ihrem Mittagessen im Papiersackerl, ein flachgedrückter Zug, der auf die Bühne fährt – und dann wieder ab.

Dazu Wortfetzen-Monologe, die viel zu erzählen scheinen, aber nichts sagen müssen, die berühren, ohne ein Gefühl vorzugeben.

Fasziniert beobachtet man ein Lichtrechteck beim Aufrichten und nach oben aus der Sicht entfleuchen, und das reicht für ein fast parsifaleskes Erlösungserlebnis: Der Lichtraum wird hier zur Zeit. Überhaupt, die Zeit: Die wird gehörig auf den Kopf gestellt. Glass hat das Verständnis dessen, wie Musik funktioniert, gleichsam umgekippt: Er dreht eine Handvoll Töne im Kreis, immer und immer wieder, mal entrückt-abstrakt, mal rasant-wurlig in den tiefsten Tiefen des Synthesizers wühlend.

Und erst über die Dauer, aus Differenz und Wiederholung, ergibt sich daraus all die Spannung, die bei "Einstein On The Beach" die Aufmerksamkeit über mehr als vier Stunden hält: Nirgendwo anders sorgt ein einzelner Ton, der addiert oder subtrahiert wird, für ein so profundes Aufhorchen wie bei Glass.

Lichtarchitektur

Auch die Choreografien von Lucinda Childs leben von Wiederholung: Tänzer teilen den Bühnenraum immer wieder in die selben Bereiche, wiederholen Schritt um Schritt. Zum Finale dann malochen die Darsteller, wie bei Fritz Langs "Metropolis", an einer überdimensionalen Lichtarchitektur. Zuletzt folgt noch ein berührender Monolog über die Liebe, der nichts dazu beitragen muss, diese besser zu verstehen.

Und, letztendlich, Standing Ovations für ein Werk, das nichts an Magie und Schönheit eingebüßt hat.

KURIER-Wertung:

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