"Eine Variation über das Wort Wille"
Bei ihrer Lebensgeschichte, schrieb Selma Lagerlöf einmal an ihre Freundin Sophie Elkan, handele es sich um "eine einzige lange Variation über das Wort Wille. Es ist wirklich so, als sei bei mir nichts angeboren, sondern als hätte ich meine Begabung selber erschaffen, in dem ich sie mir herbeigewünscht habe."
Lagerlöf war schon Zeit ihres Lebens ein "Nationalmonument", wie es Holger Wolandt in seiner neuen Biografie "Selma Lagerlöf – Värmland und die Welt" – ausdrückt. Mir ihren Romanen enorm erfolgreich, lebte sie als Gutsherrin auf Mårbacka, dem elterlichen Hof in Värmland, empfing wichtigen Besuch aus aller Welt und pflegte in der Öffentlichkeit das Bild der Märchenerzählerin. Unter Bezugnahme auf vor einigen Jahren erstmals veröffentlichte private Briefe wagt Wolandt nun einen neuen Blick auf die Schriftstellerin.
Ein früher Brief an ihre Mutter zeigt etwa, wie sie um die Finanzierung ihres Lehrerinnenstudiums, das ihr der Vater, ein Alkoholiker, verbieten wollte, kämpfte: "Was ich brauche, sind, wie Ihr wisst, 440 Kronen für die Pension und für die täglichen Ausgaben, und das gedenke ich durch Stunden zu verdienen (…), und dann brauche ich noch für Reisen und Kleider, und das muss Papa mir bezahlen."
Selma Lagerlöf schloss ihr Studium 1885 ab und trat eine Lehrerinnenstelle im südschwedischen Landskrona an. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt sie, die sich immer als hässlich empfand, mit unkonventionellem Kurzhaarschnitt. Es waren die "vielen ernsten und ausgezeichneten Frauen" von Landskrona, die sie in ihren frühen Jahren besonders prägten, befand sie später. Ihre Kollegin Elisa Malmros, die eine Abendschule gegründete hatte und im karitativen Nähverein aktiv war, unterstützte sie, indem sie Gelegenheitsgedichte für festliche Zusammenkünfte schrieb.
Eifersuchtsdrama
Als besonders wichtig erwies sich die Begegnung mit Sophie Elkan 1893, kurz nachdem ihr mit dem Roman "Gösta Berling" der Durchbruch gelungen war: Sie verliebte sich in die jüdische Schriftstellerkollegin aus Göteborg. Deren amouröses Interesse galt aber einem belgischen Lehrer. Letztlich einigten sich die beiden Frauen auf eine Hands-off-Regelung und entwickelten eine intime Freundschaft, die in etwa 3500 erhaltenen Briefen dokumentiert ist. Die Beziehung zwischen Lagerlöf und Elkan war von Eifersucht geprägt: Als Lagerlöf 1901 Valborg Olander kennenlernte, die sie einmal in einem Brief als "Schriftstellergattin" bezeichnete, war Elkan alles andere als erfreut. Probleme gab es immer wieder auch bei der Abstimmung der Buchveröffentlichungen: Die beiden Freundinnen hatten die Abmachung getroffen, nicht zugleich zu veröffentlichen.
Dabei war Lagerlöf weitaus erfolgreicher. Die Einnahmen von "Nils Holgersson" ermöglichten ihr es, 1907 einen Hof in Falun zu erwerben, und Mårbacka, das 1889 versteigert worden war, zurückzukaufen. Lagerlöf dachte bei der Schriftstellerei auch immer an das Geld. Zahlreiche Personen waren finanziell von ihr abhängig. Bekannt ist, dass gegen Ende ihres Lebens 70 Personen zu beschenken waren, wenn auf Mårbacka Weihnachten gefeiert wurde.
1907 hatte sie die Verantwortung für einen Buben namens Nils Holgersson übernommen. An Sophie Elkan schrieb sie: "Es war ganz seltsam, ihn zu sehen, es war, als müsse er eine Unmenge Dinge über Vögel und Vierfüßler wissen, wenn er nur darüber hätte sprechen wollen. Nur, in Wirklichkeit war es ein kleiner hässlicher und aufgeweckter Bauernjunge." Nils Holgersson (1901–1985) wanderte später nach Amerika aus, kehrte aber nach Schweden zurück.
Ihren letzten Brief schrieb Selma Lagerlöf am 16. Februar 1940 an ihre Großnichte Stella Rydholm. Darin heißt es unter anderem: "In letzter Zeit geht es mir (...) etwas besser und ich kann mich halbwegs auf den Beinen halten. Mein Gedächtnis ist recht schlecht, aber das gehört wohl zum Alter." Selma Lagerlöf starb am 16. März 1940 an den Folgen eines Schlaganfalls. Sie war 81 Jahre alt.
KURIER-Wertung:
INFO: Holger Wolandt: „Selma Lagerlöf – Värmland und die Welt. Eine Biografie.“ Verlag Urachhaus. 320 Seiten. 23,60 €
1859 Selma Lagerlöf kommt auf dem Gut Mårbacka zur Welt
1881–1885 Besuch des Lehrerinnenseminars
1885–1895 Arbeit als Lehrerin
1891 "Gösta Berling" erscheint
1906/’07 "Nils Holgersson" erscheint
1909 Literaturnobelpreis (als erste Frau)
1914 Als erste Frau zum Mitglied der schwedischen Akademie gewählt
1925–1928 Erscheinen der "Löwenskölds"-Trilolgie
1940 Selma Lagerlöf stirbt auf Mårbacka
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