Eine Geschichte von vertanen Chancen

Alfred Hayes (1911– 1985) war Schriftsteller, Journalist und mehrfach Oscar-nominierter Drehbuchautor
Alfred Hayes' fast vergessener Roman „In Love“ berichtet vom Ende einer Liebe ohne Zukunft

Es ist eine sehr vage Liebesgeschichte – fast zögert man, sie so zu nennen. „In Love“ ist eine Geschichte von vertanen Chancen.

New York, in den 1940ern. Schummrige Bars, grauer Asphalt, ebensolche Gesichter. Ein namenloser Mann lernt eine wesentlich jüngere Frau kennen. Beide haben bereits ein Leben hinter sich. Sie hat jung geheiratet, ist Mutter einer fünfjährigen Tochter, wartet antriebslos auf eine zweite Chance auf Liebe.

Von ihm, dem Ich-Erzähler, erfahren wir wenig. Als Typ einsamen Wolf stellt man ihn sich vor. Rauchend, Hutträger. Ein Hauch von Philipp Marlowe. Als Mitdreißiger wird er beschrieben, damals galt das wohl schon als nicht mehr ganz jung.

Er erzählt so distanziert von dieser Liebe, dass man sich fragt, ob es überhaupt eine war. Essen gehen, miteinander schlafen, hin und wieder ein Ausflug. Absichten für die Zukunft gibt es wohl keine. Die Gespräche mit ihr hätten ihn oft gelangweilt, erinnert er sich. Sie muss das gespürt haben, denn arglos erzählt sie ihm eines Tages, ein reicher Mann habe ihr viel Geld für eine Nacht geboten. Selbstverständlich werde sie nicht annehmen.

Es wird dennoch mehr daraus, die Beziehung zum Erzähler zerbricht. Erst jetzt wird ihm klar, welche Chance er vertan hat: Er hat sie wohl geliebt.

Alfred Hayes erzählt von einer Liebe ohne Ziel. Lakonisch, und doch mit einem Anflug von Melancholie, beschreibt er das kleine Leben eines einsamen, vielleicht nicht mehr liebesfähigen Mannes und dieser leidlich hübschen, aber früh vom Schicksal gestreiften Frau, die antriebslos auf eine Zukunft wartet. In einer winzigen, unaufgeräumten Wohnung, wo das Obst in einer Schale auf dem Couchtisch vor sich hingammelt.

An Raymond Carver oder John Cheever fühlten sich amerikanische Rezensenten angesichts dieses ursprünglich 1953 erschienenen, nun wiederentdeckten Kleinodes erinnert. Schriftsteller, die heute ungleich berühmter als Alfred Hayes sind.

Denn Alfred Hayes (1911– 1985) schien lange Zeit in Vergessenheit geraten. Der Schriftsteller, Journalist und mehrfach Oscar-nominierte Drehbuchautor wurde in London geboren, und studierte in New York City, wo er als Reporter arbeitete. Im Zweiten Weltkrieg kam er mit der Army nach Europa und ließ sich in Rom nieder, wo er als Drehbuchautor arbeitete. Er war unter anderem Mitautor von Roberto Rossellinis Film Paisà (1946) und von Vittorio de Sicas „Fahrraddiebe“ (1948). Insgesamt fünf Romane schrieb Hayes, dazu Kurzgeschichten und Gedichte. Er starb 1985 in Kalifornien.

Eine Geschichte von vertanen Chancen
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Sechzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen wurde seine Erzählung „In love“ wieder entdeckt.

Atmosphärisch dicht berichtet Hayes in dieser bis auf die Knochen von unnötigen Details befreiten Story, wie es ist, wenn man seine vielleicht einzige Chance verpasst. Bei einem zweiten Versuch will das Paar ein romantisches Wochenende am Meer verbringen und landet in einem in einem leeren Hotel in Atlantic City, wo die Möbel mit weißen Leintüchern abgedeckt sind– sie sind die einzigen Besucher hier. Es ist Nachsaison. Im dunklen Hotelzimmer starrt sie auf das graue Meer. Er sieht ihre Melancholie, kann deren Last aber nicht ertragen. Ihre Lustlosigkeit wird zu Gereiztheit, er ist sich indessen sicher, dass er sie mit seinen schlechten Launen nie behelligt hat. „Die Geier hackten im Verborgenen auf meine Leber“. Hier endet diese Beziehung, von der niemand wusste, wo sie hin führen soll.

Hayes hatte als Dichter und Drehbuchautor das exakt richtige Gespür für Stimmung und Timing. Seine kurze Erzählung darüber, wie banal das Ende der Liebe ist, hallt noch lange nach.

Alfred Hayes: „In Love“. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Nagel & Kimche. 144 Seiten. 17,40 Euro

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