"Eine Beleidigung für die Intelligenz"

Siri Hustvedt schreibt, seit sie dreizehn ist. "Und ich wollte nie etwas anderes"
Die Schriftstellerin Siri Hustvedt über Sexismus und "dumme Männer mit dummen Ideen"

Siri Hustvedt kehrt in ihrem neuen Roman "Die gleißende Welt" (Rowohlt, 23,60 €) wieder in die New Yorker Kunstwelt zurück, die bereits Thema ihres Romans "Was ich liebte" war. Ihre Protagonistin, die Künstlerin Harriett Burden, ist Witwe eines berühmten Galeristen und hat das Gefühl, in der öffentlichen Wahrnehmung nichts als die Frau an der Seite eines erfolgreichen Mannes zu sein. Sie beginnt ein heimliches Experiment: eine Karriere als Installationskünstlerin, die sich hinter dem angeblichen Werk dreier Männer versteckt. Der KURIER sprach per eMail mit Siri Hustvedt über Sexismus in der Kunstwelt.

KURIER: Das größte Problem mit Frauen in der Kunst sei, dass sie nicht malen können, behauptet der Maler Georg Baselitz. In Ihrem Buch geht’s um Frauenfeindlichkeit im Kunst-Biz. Ist die Kunstwelt sexistischer als der Rest der Welt?

Siri Hustvedt: Armer Baselitz. Er braucht offensichtlich Aufmerksamkeit. Abgesehen davon ist das Thema interessant. "Die gleißende Welt" stellt die Frage: Wie sehen wir, was wir sehen? Es gibt keine Wahrnehmung ohne Erwartungshaltung, und Sexismus spielt, gemeinsam mit anderen Vorurteilen, eine wichtige Rolle darin, wie wir nicht nur die Kunstwelt, sondern die Welt im Allgemeinen erleben. Unlängst haben kalifornische Forscher eine Studie über Wein publiziert. Sie sagten ihren Testpersonen, die eine Flasche koste hundert Dollar und die andere zehn Dollar. Es handelte sich in Wahrheit um den selben Wein, aber den Testpersonen schmeckte der hundert-Dollar-Wein besser. Das Interessante daran ist, dass sich die Hirn-Scans der beiden Gruppen deutlich unterschieden. Das bedeutet, dass die Erwartung, die hundert-Dollar-Flasche sei besser, das Ergebnis beeinflusste. Das kann man auf Kunst übersetzen. Kann man Rembrandt vorurteilsfrei betrachten? Ist nicht auch Größe ein immanenter Teil dessen, was wir erleben? Wenn wir dahinter kommen, dass ein Rembrandt kein Rembrandt ist, verbannt das Museum das Bild etwa nicht ganz rasch in den Keller, obwohl es sich nicht im Geringsten verändert hat?

Baselitz behauptet auch, Frauen bestünden die "Marktprüfung" auf dem Kunstmarkt nicht. Und der Markt habe immer recht. Ihre Protagonistin Harriet Burden versucht, den Markt mit einer falschen Identität auszutricksen.

Wenn Baselitz recht hat, dann ist Louise Bourgeois eine weit bessere Künstlerin als er, denn ihre Arbeiten sind viel teurer als seine. Absurde Logiken bedingen absurde Schlüsse. Der Markt verändert sich ständig, der Künstler mit ihm. Wer hat dann recht? Wurde Botticelli, den man Jahrhunderte lang ignorierte, im 19. Jahrhundert plötzlich besser, weil seine Bilder teurer wurden? Diese Art von Denken ist eine Beleidigung für die Intelligenz.

Fiktive Persönlichkeiten zu kreieren, ist eine weit verbreitete Strategie weiblicher Künstlerinnen der 70er: Cindy Sherman oder Martha Wilson spielten in ihrer Fotokunst mit Rollen, um historische Klischees auseinander zu nehmen. War die feministische Avantgarde eine wichtige Inspiration für Sie?

Ja, ich bewundere diese Künstlerinnen, aber ich wurde auch stark von dem Philosophen Søren Kierkegaard beeinflusst. Der war zwar nicht gerade ein Feminist, aber seine ironischen, unter Pseudonym geschriebenen Texte waren zentral für "Die Gleißende Welt", ebenso wie Margaret Cavendish’s gleichnamiges Buch aus dem 17. Jahrhundert. Ironie und Humor sind fantastische Werkzeuge, um Klischees und Vorurteile zu zerlegen.

Ihr Roman beschäftigt sich auch mit der Frage, was es bedeutet, als Künstlerin im Schatten eines berühmten Mannes zu stehen. Ein Schicksal, das viele Frauen im Lauf der Kunstgeschichte teilten, von Camille Claudel bis Lee Krasner.

Ich habe an all diese Frauen gedacht und einige von ihnen in meinem Buch zitiert. Wenn eine Frau Kunst macht, dann ist es sehr oft so, dass man den nächstliegenden berühmten Man nimmt, um ihn dafür zu rühmen.

Kennen Sie die Schwierigkeit, als Künstlerin mit einem berühmten Partner zusammen zu sein? (Hustvedt ist mit dem Schriftsteller Paul Auster verheiratet, Anm.)

Wissen Sie, das letzte Mal, als ich nachschaute, war ich ganz und gar nicht besorgt über mein Schicksal. Meine Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt. "Die Gleißende Welt" wurde für etliche Preise, unter anderem den Man Booker Prize nominiert, der nun erstmals auch Amerikanern verliehen werden kann. Es ist nicht so, dass ich, wie die arme Harriet im Buch, unbekannt darniederliege. Ich habe außerdem eine akademische Karriere, die mich sehr befriedigt. Ich wurde vor Kurzem erst als Lektorin für Psychiatrie an die Weill Cornell Medizin-Uni hier in New York bestellt, ich publiziere in wissenschaftlichen Zeitschriften und halte Vorträge. Ich bin glücklich mit meiner Arbeit und fühle mich anerkannt. Das ist wunderbar. Ich kenne allerdings viele Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, deren Arbeit keine Öffentlichkeit bekommt, und das stimmt mich sehr traurig.

Hatten Sie selbst jemals das Gefühl, Ihre Arbeit werde anders beurteilt, weil Sie eine Frau sind?

Jede Frau wird irgendwann einmal mit Sexismus konfrontiert. Demzufolge muss auch jede Frau, die Kunst macht, mit Sexismus umgehen. Manchmal ist es ein sehr offener, wie im Fall von Baselitz, mit dem kann man leichter umgehen. Dumme Männer mit dummen Ideen sind leicht zu entlarven. Aber Sexismus ist oft verstohlen, versteckt in Herablassung und Vorwand, kommt in einer spöttischen, einschüchternden Überheblichkeit daher. Die Spielregeln sind für Männer und Frauen andere, wie wir wissen. Wenn eine Frau aggressiv ist, dann gilt das als ungehörig, von einem Mann erwartet man das geradezu, bewundert es. Ich habe gelernt, ganz besonders in philosophischen und wissenschaftlichen Diskussionen (die meist von Männern dominiert werden), dass man, wenn man unter Druck kommt, und diesen mit Scharfsinn und Wissen zurückgibt, Respekt zurückbekommt. Manchmal widerwilligen, aber immerhin.

Haben Sie jemals daran gedacht, unter Pseudonym zu schreiben?

Ja. Und wer weiß, ob ich es nicht schon getan habe?

Wann haben Sie beschlossen, Schriftstellerin zu werden?

Ich habe mich mit dreizehn dafür entschieden und ich wollte nie etwas anderes.

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