Ein Triumph: "Die Sache Makropulos"

Ein Triumph: "Die Sache Makropulos"
Die Premiere der Oper von Leos Janácek wurde zum bisher größten Erfolg der Salzburger Festspiele 2011. Angela Denoke brilliert in einer Traumpartie.

Wie wäre das Leben wohl, wenn es nicht vergänglich wäre? Wenn wir nur ein Elixier einnehmen müssten, um weitere 300 Jahre auf der Welt zu bleiben? Hätte das wirklich nur Vorteile?

Denken wir nicht an Krankenversicherungen, Pensionsmodelle oder Zielgruppen für die Werbewirtschaft, sondern ganz egoistisch: Würden wir unsere Freunde noch ertragen? Unsere über die Jahrhunderte zwingend wechselnden Partner? Unser Schnitzel? Wie würden wir verlogene Politiker beurteilen? Und wie das aktuelle Fernsehprogramm?

Um solche - oder zumindest so ähnliche - Fragen dreht sich die Oper "Die Sache Makropulos" von Leoš Janáček, die auf einer Komödie von Karel Čapek basiert.
Der griechische Arzt Hieronymus Makropulos sollte im 16. Jahrhundert dem Habsburger-Kaiser Rudolf II. einen lebensverlängernden Trank brauen, musste diesen aber an seiner Tochter Elina ausprobieren. Sie ist die Einzige, die bestätigen kann, dass er seine Wirkung nicht verfehlte: Sie lebt nämlich seit 337 Jahren. Das ist die Vorgeschichte zu einem Meisterwerk über zutiefst menschliche Themen.

Die Oper selbst spielt in Prag zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Elina Makropulos, die im Lauf der Zeit immer wieder ihre Identität wechselte, taucht als Emilia Marty, Opernsängerin, bei einem Erbschaftsprozess auf, der seit 100 Jahren läuft. Nach und nach stellt sich heraus, dass sie viele historische Details darüber weiß. Dass es ihr darum geht, das Rezept für das Elixier, das sie einst einem Liebhaber überließ, wiederzubekommen, weil ihre Zeit abläuft.

Leben im Moment

Sie ist aber längst an den Männern verzweifelt, hat das Beziehungsgesülze satt, kann die Kindereien nicht ertragen - und verzichtet am Ende auf das Papier und weitere 300 Jahre. Die Sterblichen haben es ja doch besser, weil sie im Hier und Jetzt leben.

Wie Angela Denoke diese äußerlich jung gebliebene Frau spielt, mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Weisheit, aus Angewidertheit und einem Rest von Neugierde, ist ein Ereignis.

Die wahrscheinlich größte Singschauspielerin unserer Tage beeindruckt wieder mit einer intensiven Rollenstudie. Es ist faszinierend, ihr zuzuschauen und zuzuhören: Ihr Sopran ist kraftvoll, dramatisch, aber nie schrill, sie verbindet enorme Ausbrüche und feinste Lyrismen und scheint mit dem tschechischen Sprachduktus keinerlei Mühe zu haben. Angela Denoke ist die ideale Janáček-Interpretin.

Aber auch die restlichen Sänger sind gut gewählt: der Tenor Raymond Very als Albert Gregor, eine der Streitparteien im Prozess; sein Widersacher Jaroslav Prus, gesungen vom mächtigen Bassbariton Johan Reuter; Jochen Schmeckenbecher als Rechtsanwalt Kolenatý; Peter Hoare als sein Gehilfe Vitek; Jurgita Adamonyte als Krista; Ales Briscein als Janek; und vor allem Ryland Davies als liebenswerter Hauk-Šendorf, Ex-Liebhaber von Emilia Marty.
Sie alle treffen den Janáček-Ton, der diesfalls von gehetztem Staccato über Parlando bis zu großen Bögen reicht. Und sie bilden ein Ensemble, das sich in den Dienst der Regie von Christoph Marthaler stellt. Diese ist ironisch, aber sehr ernsthaft - eine seiner besten Arbeiten seit Langem, viel besser als der "Tristan" in Bayreuth oder seine jüngsten Produktionen in Wien.

Noch vor der Ouvertüre lässt er zwei Damen - die hinreißende Silvia Fenz und Sasha Rau - in einem Nebenkammerl der Bühne von Anna Viebrock, die einen Gerichtssaal darstellt,
über Sinn und Unsinn des ewigen Lebens diskutieren. Man hört sie nicht, sondern kann nur mitlesen. Dieser pantomimische Kunstgriff bildet einen idealen Einstieg ins verknappte Janáček-Werk - im Original von Čapek wird darüber lange räsoniert.

Die Momente der Ruhe - in "Makropulos" gibt es weniger Zwischenspiele als in anderen Janáček-Opern - nützt Marthaler zu seinen bekannten repetitiven Einschüben. Entzückend ist die Idee, dass Silvia Fenz, die Älteste auf der Bühne, immer wieder Blumen mit Visitkarten diverser Liebhaber bekommt. Anita Stadler lässt er den Gerichtssaal abstauben - Marthaler hat sie bei den Proben in eben diesem Job beobachtet und engagiert.

Die Wiener Philharmoniker spielen Janáček auf höchstem Niveau, mit großer Präzision, dunklen Farben, feinster Herausarbeitung der leitmotivischen Zusammenhänge und harmonischen Brüche. Das Dirigat von Esa-Pekka Salonen könnte emotionaler, sinnlicher, klangorientierter sein. "Makropulos" war die dritte und letzte szenische Opern-Neuproduktion der Festspiele 2011 - und die insgesamt beste.

Fazit: Ein Triumph mit Janáček

Das Werk: "Die Sache Makropulos" (Text und Musik von Leoš Janáček) wurde 1926 in Brünn uraufgeführt.

Die Protagonistin: Angela Denoke feiert 13 Jahre nach der Salzburger "Katja Kabanowa" (auch damals in der Regie von Marthaler) wieder einen Triumph mit Janáček.

Der Dirigent: Esa-Pekka Salonen setzt am Pult der Wiener Philharmoniker mehr auf präzise Gestaltung als auf Emotion.

Die Regie: Marthaler erzählt die Geschichte zurückhaltend, linear, seriös und doch ironisch.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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