Ein Spektakel zum Staunen in Bregenz

Ein Spektakel zum Staunen in Bregenz
KURIER-Kritik: Die Bregenzer Festspiele zeigen Giordanos "André Chénier", nicht gerade eine der populärsten Opern, auf dem See. Ein Risiko, das sich lohnt.

Die wichtigste Frage, die sich Opernliebhaber nicht nur aus künstlerischen, sondern auch aus geografischen Gründen stellen, zuerst: Lohnt sich heuer die Reise nach Bregenz? Die klare Antwort: Ja! Vielleicht sogar mit zwei Rufzeichen.
Wer als einer von 7000 Besuchern auf der Tribüne sitzt und sieht, was die Festspiele aus Umberto Giordanos "André Chénier" machen, wird die Reise nach Bregenz, das ja nicht gerade ums Eck ist, retrospektiv als Hupferl empfinden. Da kann die Fahrt zu einem der zahlreichen Sommertheater rund um Wien viel mühsamer sein.

Die Premierengäste ertrugen Temperaturen, die sich angeblich im Plusgrade-Bereich befanden, und putzten mit Küchenrollen, die ihnen in die Hand gedrückt wurden, brav ihre nassen Sitze - bis wenige Minuten vor dem ersten Ton hatte es nämlich geregnet, als sei der liebe Gott böse auf die Regierungsspitze, die sich in Bregenz befand. An der Begeisterung und am großen Schlussapplaus änderten die widrigen Umstände nichts.

Apropos widrige Umstände: "André Chénier" ist zwar ein Werk, das regelmäßige Opernbesucher ganz gut kennen, weil es für Startenöre zum Pflichtrepertoire zählt, ein Reißer ist diese Revolutionsoper von Giordano aber nicht. Es gibt feine Ensembleszenen und Wunschkonzert-Arien im Puccini-light-Stil (wenn auch vor den meisten Werken jenes Komponisten entstanden). Das Libretto von Luigi Illica (der mit dem echten Puccini bei "La Bohème", "Tosca" und "Madama Butterfly" zusammenarbeitete) hat aber den Anspruch, die gesamte französische Revolution auf die Bühne zu bringen, was sich nicht ausgehen kann. Übrig bleibt ein Staccato-artiges Hüpfen zwischen Historie und
Liebesgeschichte.

Massenszenen

Keith Warner, der Regisseur, macht das Maximum daraus und sogar noch ein bissl mehr. Er setzt Heerscharen an Akrobaten, Tänzern, Choristen, Turmspringern etc. ein und sorgt für ein Spektakel zum Staunen. Mit manchen Beteiligten muss man Mitleid haben: Etwa mit der zum Tode verurteilten Idia Legray, die gut eine halbe Stunde im kalten Wasser schwimmen muss.

Auf der Bühne gibt es schicke Salons, prachtvolle Kostüme, Revolutionäre, die immer böser werden, und zwischendrin den Dichter Chénier auf einer Nebenbühne, zwischen seinen eigenen Zeilen wandelnd. Er kämpft um die Ernsthaftigkeit der Liebe und der Dichtkunst und geht am Ende mit seiner Maddalena in den Tod. Die Revolution frisst wieder ihre Kinder. Daher passt auch die Bühne von David Fielding, die dem Gemälde "Der Tod des Marat" von Jean-Jacques David nachempfunden ist, ideal. Der radikale Revolutionsführer wurde 1793 von Charlotte Corday in seiner Badewanne erstochen.
Manches ist überinszeniert, man weiß nicht, wohin man zuerst schauen soll - aber wahrscheinlich muss man bei diesen gigantischen Dimensionen sogar so viele Effekte einbauen. Seltsam ist das permanente Stiegensteigen der Protagonisten, selbst beim Liebesduett.

Top-Akustik

Die musikalische Gestaltung von Ulf Schirmer mit den Wiener Symphonikern ist höchst dramatisch, dann wieder zart lyrisch. Mit der perfekten Tonanlage klingt alles ausbalanciert.

Zwei Zwischenspiele hat Intendant David Pountney von David Blake dazukomponieren lassen, um der Bühnentechnik mehr Zeit zum Umbau zu geben - die passen leider nicht dazu.
Bei den Sängern hat Bariton Scott Hendricks als Carlo Gérard die besten Voraussetzungen und macht auch viel daraus - einige Male agiert er etwas grob und vordergründig. Tenor Héctor Sandoval begeistert mit leidenschaftlichem Spiel, hat alle Höhen für den Chénier, klingt in der Mittellage aber etwas guttural. Norma Fantini ist eine gute Maddalena mit dunklem Timbre und leichtem Hang zum Tremolieren. Die Bersi (Tania Kross) und alle kleineren Partien sind seriös besetzt. Auf nach Bregenz zur Ehrenrettung für "André Chénier".

KURIER-Wertung: ****
* von *****

Fazit: Großer Erfolg, Freitag in ORF 2

Das Werk
Umberto Giordanos "André Chénier", 1896 in Mailand uraufgeführt.

Die Regie
Keith Warner sorgt für ein Spektakel und die attraktivste Bregenzer Seebühnenproduktion seit Langem.

Der Dirigent
Ulf Schirmer und die Wiener Symphoniker changieren zwischen großer Dramatik und feinen Lyrismen.

Die Sänger

Ein gutes, aber lange nicht ideales Ensemble.

Die TV-Gala
Freitag, 22.7., 21.20 Uhr, ORF 2

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