Ein fehlender Puzzlestein im Bildgedächtnis

Im Böhmischen Prater, 1938 (Bildausschnitt)
Eine Entdeckung: Das Wien Museum zeigt den Nachlass des Fotografen Robert Haas.

Die letzte Fotoreportage, die Robert Haas in Wien anfertigte, entstand im Juni 1938 im Böhmischen Prater in Favoriten. Das Bild eines Burschen mit Schirmmütze, das nun als Plakatsujet der Ausstellung „Robert Haas – der Blick auf zwei Welten“ im Wien Museum dient (bis 26.2.2017), entstand damals, dazu Fotos von Eis essenden Kindern und Vätern. Aber man sieht auch Hakenkreuz-Wimpel vom Karussell flattern, und in einem Bild leert ein Mann in NS-Uniform ein Glas.

Österreich war nach dem „Anschluss“ kein Ort mehr für den 1898 geborenen Elektrotechniker, der sich in der Zwischenkriegszeit nicht nur als Fotoreporter, sondern auch als Grafiker einen Namen gemacht hatte. Im September 1938 emigrierte Haas zuerst nach London, dann nach New York. Die meisten Bilder vom Böhmischen Prater wurden nie ausgearbeitet, die Negative fanden sich mit tausenden weiteren im Haus seiner Tochter in einer Kleinstadt im Bundesstaat New York.

Schatz am Dachboden

Für den Fotohistoriker Anton Holzer, der gemeinsam mit Frauke Kreutler die aktuelle Schau kuratierte, war die Entdeckung des Nachlasses das, was für andere die Hebung eines Goldschatzes ist. Zwar hatte Haas, der 1997 starb, zu Lebzeiten versucht, sein fotografisches Werk an Museen zu übergeben – irgendwann aber gab er mangels Erfolg auf.

Die Fachleute aus Wien stießen auf die Bilder und Korrespondenzen, als sie eine Ausstellung zur Wiener Fotografin Trude Fleischmann (2011) gestalteten – sie war eine Mentorin und enge Freundin von Haas gewesen. In der Folge kaufte das Wien Museum den Nachlass an.

Ein fehlender Puzzlestein im Bildgedächtnis
Wien Museum/Sammlung Robert Haas/Honorarfrei zur Ausstellung
Die vorzüglich gestaltete Schau erzählt nun viel über einen fotografischen Könner, der in seinem Werk das Anliegen sozial engagierter Dokumentationsfotografie mit formalen Innovationen vereinen konnte – unkonventionelle Aufnahmen von Details wie dem Gitternetz eines Mistkübels (1934) verweisen auf Avantgardisten wie László Moholy-Nagy; die Aufnahmen von Industrie-Strukturen in Donawitz (1937) liegen ganz im damaligen Trend der „Neuen Sachlichkeit“.

Haas’ Fotos entstanden meist nicht als Selbstzweck, sondern im Rahmen von Aufträgen. 1936 und 1937 war er auch offizieller Fotograf der Salzburger Festspiele, wobei sein Interesse nicht nur Stars wie Marlene Dietrich (Bild) oder Arturo Toscanini galt, sondern auch den Autos und Golfschlägern der Festspiel-Klientel.

Emigration

An einer Hörstation in der Ausstellung ist schließlich Haas’ eigene Schilderung seiner Flucht aus Österreich im September 1938 zu hören. Dass er es schaffte, auch sein Archiv außer Landes zu bringen, sei außergewöhnlich, erklärt Kurator Holzer. Auf das schöpferische Werk hatte die Emigration freilich massiven Einfluss: Hielt sich Haas zunächst mit Porträt-Aufträgen über Wasser, so näherte er sich bald der US-amerikanischen „Straight Photography“ an, lichtete die weite Landschaft des Westens ebenso ab wie die endlosen Fensterbänder der Wolkenkratzer New Yorks.

Ein fehlender Puzzlestein im Bildgedächtnis
Wien Museum/Sammlung Robert Haas/Honorarfrei zur Ausstellung
Mit der Farbfotografie konnte Haas nichts anfangen, erzählt seine Tochter im KURIER-Gespräch: In späteren Jahren bildete die Grafik und die eigene Druckerei den Lebensmittelpunkt. Dass sein fotografisches Werk einmal publik gemacht werden könnte, nannte Haas aber noch im hohen Alter einen „Traum“. Er hat sich spät, aber doch erfüllt.

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