"Koloraturen sind etwas Irreales"

Edita Gruberova als unglückliche Alaide in Bellinis „La Straniera“ im Theater an der Wien
Die Ausnahmekünstlerin singt im Theater an der Wien die Titelpartie in Bellinis "La Straniera".

Unglaublich, aber wahr. Am 7. Februar feiert sie ihr 45-jähriges Bühnenjubiläum an der Wiener Staatsoper. Zuvor aber ist Edita Gruberova im Theater an der Wien zu erleben, wo sie ab heute, Mittwoch, die Titelpartie in Vincenzo Bellinis "La Straniera" singt. Gruberova alterniert dabei mit Marlis Petersen (ab 16. 1.), die Inszenierung stammt von Christof Loy.

KURIER: Sie haben die "Straniera" in Christof Loys Inszenierung bereits in Zürich gesungen. Ändert sich für die Wiener Aufführungen für Sie etwas?

Edita Gruberova: Im Theater an der Wien kann man diese Partie viel weicher singen, da das Haus kleiner und intimer ist. Aber die Rolle bleibt natürlich gleich anspruchsvoll. Vor allem die Schlussszene, da muss man schon Koloraturen aufbieten. Aber ich suche mir meine Rollen immer nach der finalen Szene aus.

Warum denn das?

(Lachend) Was wäre denn das für ein Finale, wenn ich nichts zu singen hätte. Ich habe mir etwa Donizettis "Maria di Rohan" angeschaut. Eine gute Oper, aber am Ende singen nur der Tenor und der Bariton, die Sängerin der Titelrolle kann nur zuhören. Das ist nichts für mich.

Sie haben auch dank Ihrer atemberaubend leicht wirkenden Koloraturen Musikgeschichte geschrieben. Was ist das Geheimnis, solche Töne zu singen?

Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit. Man braucht eine gute Technik und man muss immer wieder Neues lernen. Ich habe vor sieben, acht Jahren eine Gesangspädagogin getroffen, die hat zu mir gesagt: "Das ist ja alles sehr gut, aber immer ein bisschen daneben." Sie hatte Recht. Also habe ich meine Technik umgestellt, damit gewisse Töne nicht einfach so aus mir heraussprudeln, sondern erst dann, wenn es angebracht ist.

Zurück zur "Straniera". Das Werk wird nicht oft gespielt ...

... weil die Handlung etwas wirr ist. Aber die Musik ist voller Emotionen. Mir wurde oft vorgeworfen, ich sei eine Koloraturen-Maschine. Aber das stimmt nicht, Koloraturen sind etwas Irreales, dennoch sollte man sie mit Leben erfüllen. Das versuche ich in jeder meiner Partien.

Wenn Sie an Ihre Anfänge vor 45 Jahren in Wien zurückdenken – was empfinden Sie?

Nostalgie und eine große Dankbarkeit. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich am 8. Dezember 1969 in Wien angekommen bin. Direkt von Bratislava. Der Zug hatte Verspätung. Ich konnte nicht gut Deutsch. Überall lag Schnee, und ich bin mit dem Taxi zur Oper zum Vorsingen gefahren. Gemeinsam mit dem Taxifahrer habe ich mir den Weg zum Bühneneingang freigeschaufelt ...

Um doch noch vorzusingen ...

Ja, die Olympia aus "Hoffmanns Erzählungen" und die Königin der Nacht aus der "Zauberflöte" – mir ist in der Eile und der Aufregung nichts Besseres eingefallen. Aber so schlecht dürfte ich nicht gewesen sein. Denn am 7. Februar 1970 habe ich meine erste Königin der Nacht in der Staatsoper gesungen. Mir haben die Knie gezittert, denn ich war im Olymp. Dann kam die Zerbinetta aus der "Ariadne", die ich vorher gar nicht gekannt hatte. Und so ging es weiter und weiter ...

Und auf welche Partien darf sich das Publikum bei Ihrer Jubiläumsgala am Ring freuen?

Auf die Belcanto-Klassiker, die mich fast mein Leben lang begleitet haben. Natürlich Donizettis Lucia, Bellinis Elvira aus den "Puritani", Donizettis Anna Bolena und die Elisabetta aus Donizettis "Roberto Devereux", die meine Lieblingspartie ist.

Welche Rollen kommen nach der Gala in Wien als Nächstes?

Die Anna Bolena im Oktober. Sonst ist nichts fixiert. Intendant Roland Geyer spielt im Theater an der Wien nicht so oft Belcanto. Und an der Staatsoper glaube ich, hat man wegen meines Alters nicht so viel Vertrauen. (Lachend) Insofern wird die Gala eine Art Vorsingen für mich.

Könnten Sie sich überhaupt vorstellen, ohne Gesang zu leben?

Wenn ich eine Zeit lang nicht singe, werde ich unruhig. Also lerne ich neue Partien wie Donizettis Gemma di Vergy. Außerdem habe ich meinen Garten, der mich sehr glücklich macht. Ich bin eine Gärtnerin aus Leidenschaft.

Biografie
Edita Gruberova (68) zählt seit Jahrzehnten zu den großartigsten Sängerinnen im Opernfach.

Werk
"La Straniera" ("Die Fremde") wurde 1829 in Mailand uraufgeführt und erzählt eine tragische Liebesgeschichte.

Produktion
Regie: Christof Loy. Dirigent: Paolo Arrivabeni. RSO-Wien. Mit u. a.: Gruberova (14., 18., 22., 26. 1.), Marlis Petersen (16., 24., 28. 1.), Dario Schmunck (14., 18., 22., 26. 1.), Norman Reinhardt (16., 24., 28. 1.).

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