Die Doktorarbeit eines Gangsters

Monolith und Milliardär des Hip-Hop: Dr. Dre hat nach 16 Jahren sein drittes und letztes Album veröffentlicht.
Dr. Dre, der Superstar des Hip-Hop, veröffentlicht sein seit 16 Jahren angekündigtes Album.

Es gibt ihn noch, den amerikanischen Traum – vom afroamerikanischen Getto-Rapper zum Milliardär. In Tagen, in denen unbewaffnete Schwarze von Polizisten auf der Straße erschossen und immer wieder neue Rassismus-Fälle bekannt werden, ist das nur mehr schwer vorstellbar. Einer, der den "black american dream" in vollen Zügen realisierte, ist Andre Romell Young, besser bekannt als Dr. Dre. Der Erfolgslauf des einstigen Gangster-Rappers und nunmehrigen Unternehmers erreichte am 8. Mai 2014 seinen Höhepunkt. Er verkaufte seine Kopfhörer-Marke Beats inklusive dazugehörigem Musik-Streaming-Service an Apple – für 3,2 Milliarden Dollar.

Als frisch gebackener Krösus hätte sich der 50-Jährige in die Frühpension verabschieden und sein seit Jahren angekündigtes Album für immer verwerfen können. Aber damit wäre seine Karriere als Künstler unvollendet geblieben – und so etwas nagt am Ego. Nun ist Schluss damit, denn 16 Jahre nach der ersten Ankündigung ist Dr. Dres drittes Solowerk exklusiv auf iTunes und bei Apple Music erschienen (ab 21. August ist es auch als CD und Vinyl im Fachhandel erhältlich). Das schlicht nach seinem Geburtsort benannte "Compton" ist sein finales Werk, seine ewig herumliegende Doktorarbeit und der Soundtrack zu "Straight Outta Compton". Ein Film, der Dr. Dres Anfänge als Rapper, Produzent und seine Zeit bei den Gangsta-Rap-Pionieren N.W.A ("Niggaz Wit Attitudes") verhandelt, läuft ab 28. August im Kino. Zu sehen sind darin auch die Streitigkeiten unter den Crewmitgliedern, die 1991 zur Auflösung von N.W.A führten.

Gästeliste

Dieses Ende war zugleich der Beginn von Dr. Dres erfolgreicher Laufbahn als Solokünstler. Mit seinem Debütalbum "The Chronic" (1992), das auf soulige Elemente und sanfte Melodien setzt, rief einen neuen Hip-Hop-Stil ins Leben: G-Funk. Es folgte "2001" (1999) mit elf Millionen weltweit verkauften Exemplaren, das Dr. Dre zum einflussreichsten Rapper zwischen New York und Los Angeles aufsteigen ließ. Er fungierte als Mentor, baute immer wieder junge Künstler auf und machte sie zu Superstars: Snoop Dogg, 50 Cent und Eminem. Seine jüngste Entdeckung ist Kendrick Lamar, den er zum angesagtesten Rapper der Gegenwart entwickelte. Lamar ist übrigens am Samstag, den 22. August, beim Frequency Festival ist St. Pölten zum ersten Mal live in Österreich zu sehen.

"Compton" beginnt mit einem euphorischen Intro: Über den futuristischen Sound wird eine alte Nachrichtensendung gelegt, die über die Wandlung von Compton, einem Stadtteil von Los Angeles, berichtet: vom erhofften schwarzen Mittelstandsparadies zum Gewalt-Getto. Danach folgen 15 Songs, in denen Dr. Dre die aktuellen Fälle von Polizeiübergriffen gegen Afro-Amerikaner in den USA thematisiert. Zu diesem politischen Vortrag hat er alle seine Freunde eingeladen. Die Gästeliste liest sich wie eine Crème de la Crème der Hip-Hop-Szene: Kendrick Lamar, Snoop Dogg, Eminem, The Game und Ice Cube. Dr. Dre selbst kommt in den Songs nur selten zu Wort.

Die Doktorarbeit eines Gangsters
Dr. Dre, neues Album, Compton

Sehnsucht

Soundtechnisch setzt er auf eine Mischung aus herrlich groovendem Oldschool-Hip-Hop und gerade angesagten Klängen. Die eingängigen Melodien, die noch große Teile seines Erfolgsalbums "2001" bestimmten und Hits wie "Still D.R.E." prägten, fehlen diesmal. Dafür gibt es tief drückende Bässe, grimmige Rock- und Funkelemente, nervöse, rastlose Hi-Hats und bedrohliche Klänge. Sie schaffen ein Szenario, das zu Dr. Dres aktuellen Botschaften passt. Der Milliardär ist wütend – auf Polizei, Politik, seine Landsleute und er verurteilt die rassistisch motivierten Gewalttaten gegen Michael Brown in Ferguson und Eric Garner auf Staten Island. "One Shot One Kill" (mit Snoop Dogg) oder das gegen Ende der Platte zu findende "Medicine Man" (mit Eminem) nehmen darauf Bezug.

Die besten Momente hat das okaye, aber nicht bahnbrechende Album zu Beginn: "Talk About It", "Genocide" (mit Kendrick Lamar) und "It’s All on Me", in dem Dr. Dre – begleitet von einem sehnsüchtigen Soul-Sample – aus seinem früheren Leben in den Gettos von Compton rappt. Während Dre seit Jahren sein eigenes Märchen lebt, bleibt jungen Afro-Amerikanern oft nur eines: der Kampf ums Überleben.

Gewinnspiel: KURIER verlost für "Straight Outta Compton" (Filmstart: 28. August) 2x2 Karten. Eine eMail mit dem Betreff "F*** The Police" an kult(at)kurier.at genügt. Teilnahmeschluss ist der 25. August. Die Gewinner werden per eMail verständigt. Viel Glück!

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