"Don Giovanni": Mit Mozart ins Stundenhotel
Dass die Oper " Don Giovanni" in einem Hotel spielt, ist nicht zwingend logisch, aber schon gar nicht neu. Wenn, dann muss es so konsequent gelöst sein wie bei Regisseur Keith Warner im Mozartjahr 2006 im Theater an der Wien. Bei der damaligen (famosen) Produktion war der Titelheld Hoteldirektor und Leporello Concierge.
Im Vergleich dazu ist das Hotel, das man bei den Salzburger Festspielen seit Sonntag auf der Bühne des Hauses für Mozart sieht, wie ein Stundenhotel. Das gilt aber nicht nur für das von Rolf Glittenberg konzipierte Einheitsbühnenbild mit holzgetäfelter Lobby, ein paar Sitzmöbeln, Bar und Stiegen, mutmaßlich aus den 20er- oder 30er-Jahren: Die ganze Aufführung hat zu wenig Klasse. Auf Tripadvisor gäbe es für diesen Schauplatz bestimmt hämische Kommentare.
Viel Schatten, kaum Licht
Das bedeutet nicht, dass an der Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, der seinen Mozart/Da-Ponte-Zyklus nach dem Misserfolg mit "Così fan tutte" nun mit "Don Giovanni" fortsetzt, alles schlecht wäre. Manche Szenen sind fabelhaft gespielt, etwa der Tanz von Don Giovanni mit Zerlina bei "La ci darem la mano": Wie er nebenbei ein Serviermädchen zu verführen versucht, zeigt, wie hormongesteuert er ist. Oder die Register-Arie des Leporello, der alle verführten Damen fotografisch dokumentiert und der Donna Elvira seine dicken Fotobände als Beweis zeigt, woraufhin diese sich übergibt. Auch dass Elvira schon vor der Höllenfahrt im Nonnenkostüm erscheint, ist eine feine Idee.
Die Vorgänge sind aber nicht nur im übertragenen Sinn schlecht ausgeleuchtet. Insgesamt wirken die Personen und Einfälle in diesem "Don Giovanni"-Hotel, in das die Gäste zu Beginn mit Koffern einchecken, aus dem man aber bald wieder auschecken will, zufällig und nicht konsequent genug ausgeführt.
Warum das Haus des Komtur, das Schloss des Don Giovanni, die Location für Zerlinas Hochzeitsgesellschaft und der Friedhof ein und der selbe Ort sind, erklärt sich nicht. Don Giovanni ist ein plakativer Vorstadt-Casanova, der von einer Beach-Party in Rimini oder einem Blondinen-Zeltfest in der Provinz kommen könnte. Leporello passt nicht zu ihm, er wirkt wie eine Karikatur, eine Mischung aus Clown und Intellektuellem. Donna Anna und Don Ottavio sind szenisch ebenso konturarm wie Zerlina und Masetto. Der Donna Elvira der Anett Fritsch nimmt man die Liebende immerhin ab.
Selten hat man auf einer Bühne so viele fesche Menschen in einer "Don Giovanni"-Aufführung gesehen, diese Äußerlichkeit reicht aber nicht. Es fehlt die Substanz.
Aber was scheint uns Bechtolf inhaltlich sagen zu wollen? Offenbar, dass Don Giovanni eine faustische Figur ist (auch nicht ganz neu), immer wieder treten Teufelchen auf. Dass er in unserer Gesellschaft, zumindest als Projektion, nicht umzubringen ist – wohl deshalb lässt Bechtolf Don Giovanni bei der Scena ultima auf der Bühne liegen und dann sogar auf(er)stehen, die anderen streicheln und einem Dienstmädchen nachstellen. Und dass der Tod des Komtur auch ein Befreiungsschlag für Donna Anna ist: Sie ist es diesmal, die das Messer hält, das ihren Vater ermordet, wobei ihr Arm von Don Giovanni geführt wird.
Stückwerk
Das sind alles Ansätze, die aber nur Stückwerk bleiben und kein Ganzes ergeben. Manche Passagen, wie etwa die "Batti, batti"-Arie der Zerlina, bei der Masetto gar nicht auf der Bühne ist, oder das Auftauchen des Komtur beim Ständchen, sind unverständlich. Die Friedhofsszene mit dem weiß geschminkten Komtur, der seine eigene Büste in der Hand hält, ist recht unspektakulär.
Das Dirigat von Christoph Eschenbach, der sich im Dunkeln in den Graben schleicht, sodass die Oper applauslos beginnt (und überraschenderweise mit gar nicht wenig Applaus für ihn endet), ist eine Spur besser als zuletzt bei "Così", aber immer noch zu wenig differenziert, nicht ausbalanciert, alles gleich dramatisch (und somit undramatisch) gelöst. Tempo allein macht keine Gestaltung aus. Die Wiener Philharmoniker spielen farbenreich, nicht alles gelingt präzise, man darf an "Don Giovanni" 2002 unter Nikolaus Harnoncourt gar nicht denken.
Inhomogen
Gut ist der Philharmonia Chor Wien, die Sängerbesetzung hingegen inhomogen. Ildebrando D’Arcangelo attackiert als Don Giovanni viel zu sehr und singt selbst sensible Stellen, als handle es sich um das Duett mit dem Komtur. Als Leporello war er bedeutend besser besetzt. Tomasz Konieczny ist ein Wotan-geeichter Commendatore, dessen Timbre für diese Partie aber doch recht hell ist. Luca Pisaroni wiederum singt zu nobel für den Leporello (vielleicht sollte er mit D’Arcangelo tauschen). Andrew Staples ist ein Don Ottavio mit guter Höhe, aber nicht besonders schönem Timbre und berührt in keiner Phase.
Bei den Damen ist Anett Fritsch als Donna Elvira, dramatisch und präzise in den Spitzentönen, eindeutig die Beste, Valentina Nafornita eine eindimensionale Zerlina, Lenneke Ruiten nicht nur angesichts der großen Salzburger Vorbilder eine stimmlich blasse, enttäuschende Donna Anna.
"Don Giovanni" bei den Salzburger Festspielen, da war doch mal was vor vielen Jahren ...
Fazit: Eine enttäuschende Opernpremiere
Das Werk Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“, 1787 in Prag uraufgeführt, Libretto von Lorenzo da Ponte. Bei den Salzburger Festspielen entsteht gerade ein Mozart/Da-Ponte- Zyklus in der Regie von Sven-Eric Bechtolf. 2015 wird „Figaro“ neu inszeniert.
Die Produktion Bechtolf siedelt die Geschichte in einem Hotel an, sein Don Giovanni ist ein hormongesteuerter Durchschnittstyp. Das Dirigat von Christoph Eschenbach ist undifferenziert, die Besetzung inhomogen. Eine Spur besser als 2013 „Così“, aber immer noch äußerst durchschnittlich. Daher:
KURIER-Wertung:
Wer sich selbst einen Eindruck über die Salzburger Neuproduktion von Mozarts „Don Giovanni“ machen möchte, kann dies am 3. August via ServusTV tun. Und das in zweifacher Hinsicht.
So ist im Fernsehen ab 18 Uhr „Don Giovanni – Der Countdown“ zu sehen. Im TV bekommen die Zuseher vor und nach der Vorstellung sowie in der Pause exklusive Backstage-Eindrücke – und erleben die Opern-Aufführung ohne Unterbrechung in erstklassiger Qualität. Der Vorhang zu Meisterwerk hebt sich um 19 Uhr.
Eine andere spannende Variante bietet das Internet. So liefert servustv.com eine Live-Dokumentation für jene, die wissen wollen, was sich während der Vorstellung hinter der Bühne tut: Wer sorgt für das richtige Timing bei den Auftritten der Sänger? Wie verbringen die Wiener Philharmoniker ihre Pause? Bei diesen und vielen weiteren Ereignissen rund um die Aufführung sind die Zuseher auf servustv.com dabei. Regie führen die preisgekrönten Dokumentarfilmer Volker Heise und Britt Beyer („24h Jerusalem“). Die Zuschauer können jederzeit zwischen der Opern-Live-Übertragung und den Backstage-Impressionen wählen.
Andere Eindrücke liefert noch bis Freitag täglich die Doku „Don Giovanni“ – Entstehung einer Festspieloper“ ab 18.20 Uhr. Probenberichte und Interviews inklusive.
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