Dokumente von Tradition und Aufbruch

Marianne Strobl, "Industrie-Photograph", Photoinstitut Bonartes
Eine Ausstellung in Wien widmet sich der Industrie-Fotografin Marianne Strobl.

Fuhrwerke mit langer und kurzer Ladefläche, mit Leitergestellen, Flechtkörben, Kisten: Wer die Fotografien heute sieht, muss wohl oder übel an das Ehepaar Bernd und Hilla Becher denken, das ab den späten 1950er Jahren Wassertürme, Förderkräne und dergleichen in ähnlich nüchterner, serieller Weise fotografierte.

Dokumente von Tradition und Aufbruch

Der Abschwung der österreichischen Industrie hält nach Ansicht der Bank-Austria-Konjunkturexperten an. Trotz einer leichten Aufwärtsbewegung des vom Institut ermittelten Einkaufsmanagerindex im Oktober werde eine Fortsetzung dieser Entwicklung signalisiert. Jedoch bremse sich das hohe Tempo der Produktionsrückgänge etwas ein. In der Industrie gebe es den stärksten Job-Abbau seit einem Jahrzehnt.

Marianne Strobls Fuhrwerk-Serie entstand allerdings schon 1894 auf der "Internationalen Ausstellung für Volksernährung, Armeeverpflegung, Rettungswesen und Verkehrsmittel" im Wiener Prater. Sie markierte den Start einer außergewöhnlichen Fotografinnen-Karriere, die eine kleine Ausstellung im Wiener Photoinstitut Bonartes (1010, Seilerstätte 22, bonartes.org, Besichtigung nach Ameldung) nun bis 26. Jänner 2018 aufrollt: Die Tiefenbohrung in eine mangels Kunstanspruch lange übersehene Auftragsfotografie führt hier interessante Erkenntnisse über Österreichs Geschichte zutage.

Über Strobls persönliche Biografie konnte Kuratorin Ulrike Matzer trotz intensiver Recherchen wenig herausfinden: 1865 in Schlesien zur Welt gekommen, übersiedelte sie in den 1890er Jahren nach Wien und eröffnete ein Fotoatelier im Prater.

Propaganda

Dokumente von Tradition und Aufbruch
Marianne Strobl, "Industrie-Photograph", Photoinstitut Bonartes
Ihr Mann, ein Vermessungstechniker, hatte wohl Anteil daran, dass sie Aufträge von Bauherren erhielt. Eisenbahntunnels, Kanäle und andere fortschrittliche Anlagen wurden von Strobl für Publikationen festgehalten, die als "Imagebroschüren" unzureichend beschrieben wären: Insbesondere das Album zum Gaswerk Wien-Leopoldau sei eine "Propagandaschrift" für Bürgermeister Karl Lueger gewesen, sagt die Kuratorin, die auch einige Originalbücher und -Einbände mit in die Schau nahm.

Da sich Strobl bald als Spezialistin für Blitzlicht-Fotografie etablierte, kamen ihr auch allerhand Aufträge in Innenräumen zu: Von Höhlenexpeditionen über die Kunstgewerbeausstellungen, die im heutigen MAK die neuesten Jugendstil-Interieurs präsentierten, bis zu Dokumentationen von städtischen Wohnheimen, Villen und Hotels reicht das umfassende Oeuvre, das in der Schau präsentiert wird.

Strobls nüchterne, zugleich technisch brillant ausgeführte Fotografie fasziniert dabei weniger als Ausdruck einer individuellen Vision, sondern als Spiegel eines sonst schwer fassbaren Fortschrittsdenkens der Zeit um 1900: Wie da die Stahlkonstruktionen und Heizöfen aufblitzen, während sich daneben die Auftraggeber fast wie einem niederländischen Gildenporträt rangbewusst aufstellen – all dies ist höchst aufschlussreich für eine Zeit, die sich lange nicht zwischen Tradition und Aufbruch entscheiden konnte.

Kommentare