"Eine Reise durch meinen Kopf"

"Eine Reise durch meinen Kopf"
Für manche ist er der beste DJ der Welt. Stefan Kozalla alias DJ Koze veröffentlicht sein zweites Studioalbum "Amygdala". Der Hamburger über Ängste, Party-Strapazen und den Untergang des deutschen HipHop.

Scheiße fühlt sich das an“, seufzt Stefan Kozalla etwas genervt ins Telefon. Damit meint er den Promotion-Wahnsinn, der mit der Veröffentlichung seines neuen Albums einhergeht. „Jetzt beginnt erst die richtige Arbeit: Die Sau muss ja schließlich auch durch das Dorf getrieben werden.“ Mit der Sau meint der Hamburger sein aktuelles Werk „Amygdala“ – benannt nach dem menschlichen Gehirnzentrum, das wesentlich an der Entstehung der Angst beteiligt ist. Mit diesem Titel hat sich Kozalla auch ziemlich was eingebrockt: „Es vergeht kein Interview ohne die Frage ‚Wovor haben Sie den Angst?’. Ich habe vor vielen Sachen Angst - vor Interviews, Menschen, einer Schaffenskrise und Krankheiten. Aber in in erster Linie hatte ich Angst, keinen Titel für das Album zu finden (lacht)".

"Eine Reise durch meinen Kopf"
Tja, Kozalla ist immer für einSpäßchengut – das belegen zahlreiche, aufYouTubezu findende Videos. Zum Niederknien sind auch seine DJ-Sets. Kein Wunder also, dass er seit Jahren die DJ-Bestenliste imDe:Buganführt, einem Magazin für elektronische Musik.
Es sind die musikalischen Brüche, die in seinen Sets auftauchen. Die Kontrastpunkte, die für magische Momente und einmalige Nächte im Club sorgen. Den richtigen Track zum richtigen Zeitpunkt spielen - das kann er, der DJ "Kosi" Koze.

Keine Hektik

Die 13 Tracks auf seinem Album, das auf seinem eigenen Label Pampa Records erscheint, sind dann alles andere als klassische Clubware: Das Tempo ist gedrosselt und überschreitet die 120 Beats per Minute-Marke nur ein einziges Mal - beim Stück "La Duquesa".

Es gibt keine aufgeregten Synthesizer-Sounds und keine hektischen Hi-Hats. Stattdessen groovt sich Koze über 70 Minuten durch ein gut abgeschmecktes House-Album – versehen mit einer ordentlichen Prise Pop und Soul. "Es ist eine Reise durch meinen Kopf, eine farbenfrohe Reise durch verschiedene Stimmungen und Tempi“, sagt Kozalla über sein Album.

Generell müsse für ihn ein Album einen langen Atem haben und ein Statement sein. „Es sollte weniger auf den schnellen, direkten Effekt setzen, sondern im besten Fall auch noch in den nächsten fünf Jahren fresh klingen.“ Das wird es auch, denn "Amygdala" ist ein Grower – es braucht Zeit, fordert Aufmerksamkeit und wächst nach jedem Hörvorgang. Dafür sorgen die vielfältigen Sounds, die verwendeten Samples und zahlreichen Kollaborationen. Mit dabei: Apparat, Matthew Dear, Ada, Caribou und Dirk von Lowtzow. Der Tocotronic-Frontmann sucht „Das Wort“. Dazu schlurft die Bassdrum gemütlich vor sich hin, werden kleine Pausen eingelegt und wird Lowtzows Stimme von Kozalla gedehnt: „Looooooovvve“.

Wie ist es zu der Zusammenarbeit mit Lowtzow und Co gekommen? War es ein schwieriger Prozess?
Nein, es war überhaupt kein schwieriger Prozess. Ich hatte während des Produktionsprozesses Lust, mich zu öffnen und mit Leuten zusammenzuarbeiten – vor allem gesangsmäßig. Und dann habe ich einfach auf Menschen zurückgegriffen, mit denen ich sowieso in Kontakt stehe. Für Caribou habe ich Remixe angefertigt, mit Matthew Dear tausche ich mich regelmäßig aus, Ada wohnt in Hamburg und veröffentlicht auf meinem Label (Pampa Records). Den Dirk von Lowtzow mag und schätze ich. Zum Teil waren sie bei mir im Studio, zum Teil ging es mit hin- und herschicken. Sie waren alle sehr uneitel, alle haben was aufgenommen und gesagt: "Mache damit was du willst" – auch wenn du nur ein Wort verwendest.

Gibt es Kollaborationen, die es nicht auf das Album geschafft haben?
Ich habe mit Ada eine schöne Cover-Version von einem Dinosaur Jr.-Song gemacht und ein Stück mit Dave Aju. Diese Tracks waren einfach nicht am Album integrierbar. Auch andere Ideen haben es nicht auf „Amygdala“ geschafft. Das macht aber nichts, denn jetzt habe ich da wieder einen Fundus an Musik und daraus werde ich sicher noch was machen. Ich arbeite ja nach so einem Weinkeller-Prinzip: Arbeiten, schleifen, liegen lassen und nach einer Zeit wieder hervorholen und weiterbearbeiten.

Die Sounds auf "Amygdala" setzen sich aus Samples und selbst im Studio eingespielten Melodien zusammen. Diese findet Kozalla auch immer wieder auf der Straße. "Ich sammle die ganze Zeit Sounds, laufe mit einem kleinen Diktiergerät herum und hab schon lange den Überblick verloren, welche Aufnahmen woher stammen. Ich bearbeite diese dann im Studio, sample sie, lege Effekte drüber, pitche sie rauf, runter und bastle mir daraus neue Töne.

Spielen Sie auch die zu hörenden Instrumente selber ein?
Ich spiele auch selbst Instrumente ein – zum Beispiel das Ballaphon beim „Track ID Please“. Auch die Streicher und Bässe werden von mir selbst eingespielt – aber halt mit selbstgebastelten Sounds. Ein Instrument kann ich keines spielen, aber virtuoses spielen ist beim Produzieren auch nicht so wichtig - es ist nicht der Schlüssel zu einem guten Musikstück. Wesentlich ist aber, dass man die Melodien fühlt, schlüssige Sound-Ideen formulieren kann und durch Reduktion magische Momente erzeugt.

Macht Ihnen das Auflegen im Club noch Spaß?
Der Beruf DJ ist total schön und anstrengend zugleich. Ich bin sehr dankbar, dass ich fremde Länder, nette Menschen kennenlernen und Teil von ganz besonderen Veranstaltungen sein darf. Aber gleichzeitig ist das ein Beruf, der sehr energieaufwändig und kräfteraubend ist. Je älter man wird, desto mehr geht es an die Substanz.

Was treibt Sie dabei an?
Trotz all den Strapazen hat das Auflegen nicht an Zauber verloren. Dabei passiert ja oft etwas Magisches, wenn man völlig vogelfrei auf der Schatten- oder Rückseite der Gesellschaft, verloren in einem Raum-Zeit-Kontinuum ohne Regeln und Gesetze feiert. Das alles ist fantastisch und macht es auch schwer, mal früher vom Club nach Hause zu gehen. Man kann diesbezüglich routinierter werden, erkennen, welcher Abend jetzt wirklich magisch oder nur okay ist. Kurzum: Bei einer miesen Party muss man nicht der Letzte sein, der nach Hause geht.

Sie sind ja auch nicht mehr der Jüngste. Wie halten Sie das körperlich aus?
Bei mir geht das Auflegen nur mehr in Blöcken. Ich bin ein Akkord-Arbeiter. Wenn ich ich auf Tour-Modus bin, lege ich sehr viel auf. Dazwischen brauche ich aber immer wieder meine Pausen. Diese Auszeiten sind für mich sehr wichtig. Jedes Wochenende zwei, drei Mal auflegen, feiern, daneben noch produzieren und Familie haben, halte ich körperlich gar nicht aus. Ich muss einfach haushalten mit meinen Kräften.

Wie sieht die Regenerationsphase aus?
Ich wechsle vor allem nicht den Standort. Das ist schon mal tierisch befriedigend. Die Atome und Moleküle müssen sich ja auch mal setzen. Sich von 'A' nach 'B' zu bewegen ist sehr unnatürlich: Am Freitag Portugal, am Samstag Griechenland und sonntags dann Finnland – das hinterlässt Spuren. Dafür ist der Mensch nicht gedacht.

Sie haben ihre musikalische Karriere in 90er-Jahren mit HipHop begonnen. Wie ist ihre Meinung zur derzeitigen HipHop-Szene in Deutschland?
Ich liebe HipHop nach wie vor. Der deutsche HipHop hat aber in den letzten Jahren eine faszinierende, anachronistische Entwicklung gemacht. Man hatte alles schon mal geil und auf einem gewissen Qualitätslevel. Die Zeit damals mit Absolute Beginner, Freundeskreis, Stieber Twins, Eins Zwo, Fünf Sterne Deluxe war großartig. Das war alles High-End-Quality, mit intelligenten Raps und tollen Sounds. Das wurde über die Jahre leider obsolet. Jetzt gibt es nur mehr dämlichen Drama- und dummen Ghetto-Rap. Das ist beeindruckend, seltsam und erschreckend zugleich. Ich konzentriere mich daher auf die schönen Sachen, die veröffentlicht werden. Derzeit freue ich mich zum Beispiel sehr über die neue Kendrick Lamar-Platte.

Was möchten Sie in den kommenden Jahren mit ihrem Label Pampa Records erreichen?
Den Privatkonkurs, wenn das irgendwie möglich wäre (lacht).

Für was steht das Label Pampa Records?
Wir definieren uns über die Sachen, die wir nicht machen. Das Label versammelt einen kleinen Künstlerkreis, eine Bande von Außenseitern, die schon ewig Musik machen. Alles arrivierte Künstler: Die Vögel, Ada, Robag Wruhme, der schon seit 20 Jahren Musik macht, oder Mense, der die Goldenen Zitronen produziert hat. So ganz langsam kommen auch weitere neue Künstler dazu.

Tausendsassa. So könnte man Stefan Kozalla kurz und treffsicher beschreiben. Der Hamburger, der sich gerne hinter Pseudonymen wie Adolf Noise oder Monaco Schranze versteckt, ist vielen vor allem als DJ Koze ein Begriff. Als 15-Jähriger ist er auf den HipHop-Zug aufgesprungen. Anfangs lernte er Platten aufzulegen und zu scratchen. Auch bei DMC-Meisterschaften hat er mitgemacht, wo er es dann auch zum Vizemeister gebracht hat. „Das war damals eine Religion für mich“, sagt der Hamburger im Interview. Vom DJ ist es dann nicht mehr weit zur eigenen HipHop-Gruppe. Fishmob hieß diese Formation, die in den 1990er Jahren die deutsche HipHop-Szene bereicherte. Danach rief Kozalla das Pseudonym Adolf Noise ins Leben, seine - wie er sagt - „psychedelische und experimentelle Spielwiese“. Von Adolf Noise ging es verstärkt in Richtung Tanzmusik und Club. Es folgten Alben mit der Band International Pony und sein Debüt-Album als DJ Koze: "Kosi Comes Around".

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