Dirigent Goetzel über Türkei und Österreich: "Immer wieder zuhören"

Der österreichische Dirigent Sascha Goetzel und das Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra
Der Wiener Dirigent Sascha Goetzel über die Türkei und kulturelle Brücken.

"Die Fledermaus als Wiener in der Staatsoper zu dirigieren – das ist natürlich ein Wahnsinn." Dirigent Sascha Goetzel lacht. Das Werk "hat man vielleicht schon im Bauch der Mutter gehört, natürlich liebt man das. Wenn man dann selbst im Graben steht, schwingen Gefühle und Energien mit, die weit über das hinausgehen, was man selber begreifen kann."

Der Österreicher Goetzel, Jahrgang 1970, dirigiert derzeit in Wien La Bohème, zum Jahreswechsel dann die Fledermaus, im kommenden Jahr u.a. den Rosenkavalier. Es sei "eine riesengroße Ehre, diese Produktionen musikalisch leiten zu dürfen. Es steckt die ganze Tradition des Hauses da drinnen, aber gleichzeitig hat man als Dirigent eher jüngerer Generation die Aufgabe, frischen Wind hineinzubringen."

Den Wind hat Goetzel außerhalb Österreichs aufgefrischt. Seit neun Jahren ist er Chefdirigent beim Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra, eines privat finanzierten jungen Klangkörpers in der türkischen Metropole.

Brücken bauen

In einem Land also, das derzeit in politischem Aufruhr ist – und in dem kein demokratischer Stein auf dem anderen bleibt. "Bis jetzt hat das keinen Einfluss auf unseren Konzertbetrieb, auf unsere Programmierung. Es sind alle Konzerte ausverkauft", sagt Goetzel. "Die allgemeine Stimmung hat sich logischerweise nach dem Putschversuch verändert. Ich hoffe, dass man sehr schnell einen Konsens findet. Und dass wir mit der Musik helfen können, dass die Menschen wieder aufeinander zugehen."

Goetzel ist überzeugt, dass "über die Brücke der Kunst die Menschen einander doch immer wieder zuhören". Das zeige auch die lange gemeinsame Geschichte Österreichs und der Türkei, die weit über die viel zitierten Belagerungen Wiens hinausgehe. "1699, in Karlowitz, wurde Frieden geschlossen – und es wurden Künstler ausgetauscht", sagt Goetzel. "Die Kultur spricht von der Seele des Menschen. Da können wir Künstler sehr viel positives bewirken. Dafür stehe ich auch." So mache er im Dezember ein Österreichisch-Wienerisches Festival in Istanbul. "Wir können, ohne jemanden belehren zu wollen, aufzeigen, dass wir als Menschen sehr wohl sehr viele Berührungspunkte haben. Alles andere müssen wir der Politik anvertrauen."

Er wolle weiter in der Türkei arbeiten: "Ich bleibe, wenn es mir erlaubt wird, auch um meine Musiker nicht alleine zu lassen."

Goetzel hat auch die erste Opernwerkstatt der Türkei gegründet, wo bis Ende der Saison ein Rosenkavalier erarbeitet werden soll. "Dafür bauen wir sogar unseren Konzertsaal um", sagt Goetzel. Denn es gebe "fantastische junge Stimmen" in der Türkei, die Vorbereitung für den internationalen Markt brauchen.

"Gemeinsame Kulturräume zu schaffen", um den Flüchtlingen zu begegnen, könne auch in Österreich "immens wichtig" werden, sagt der Dirigent. Dort soll man "Kultur gemeinsam genießen, und da meine ich alles: Essen, Konzerte aller Genres ... Dann ist die Sprache nicht mehr das Entscheidende, dann kommt der Mensch wieder in den Mittelpunkt."

Im Ausland zu arbeiten – zuletzt war Goetzel auch erster Gastdirigent beim Kanagawa Philharmonic Orchestra in Japan – sei für einen Dirigenten immens wichtig. "In Istanbul kann ich mir Saison für Saison neues Repertoire erarbeiten. Das sind die richtigen Wege, um heranzuwachsen." Wenn man hingegen in Wien gleich mit internationalen Spitzenorchestern arbeite, "kann ich denen nicht weiterhelfen. Karajan hat immer gesagt: In den ersten 15 Jahren braucht man einen Dirigenten gar nicht beurteilen."

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