Bertrand de Billy: "Dann ist die Zukunft tot"

Placido Domingo und Davinia Rodriguez
Dirigent Bertrand de Billy über Trump, Macbeth, Macht und Oper. Plus: Kritik zur Premiere im Theater an der Wien

Gleich auf zwei Arten muss Macbeth im Theater an der Wien sterben: Das Opernhaus zeigt die Verdi-Oper mit zwei verschiedenen Finalszenen – und in unterschiedlicher Besetzung. Am Freitag hatten Roberto Frontali und Adina Aaron als die Macbeths in der einen Fassung Premiere (siehe unten); heute folgen Placido Domingo und Davinia Rodriguez. Es inszenierte Intendant Roland Geyer, am Pult der Wiener Symphoniker: Bertrand de Billy.

KURIER: Macbeth kann nur sterben, wenn sich ein Wald bewegt, und dann auch nur von jemandem umgebracht werden, der nicht von einer Frau geboren wurde. Da war vielleicht nur noch eines unwahrscheinlicher: Dass Donald Trump US-Präsident wurde.

Bertrand de Billy: (lacht) Ich habe nach der Wahl dem Intendanten ein SMS – im Spaß! – geschrieben, ob wir nicht Macbeth eine blonde Perücke aufsetzen sollten. Aber das ist schon erschreckend, weil es weitergehen wird. Es gibt bald Wahlen in Frankreich, in Österreich. Die etablierten Politiker sollten irgendwann verstehen, was sie an sich ändern sollten. Egal, in welchem Land man Politiker debattieren sieht: Man will das nicht mehr so haben.

Kultur ist ja hier ein Nebenaspekt, sie muss sich aber dennoch Fragen stellen: Etwa jene, wie erfolgreich die einst – nicht zuletzt von der Oper – angestrebte Verfeinerung des Menschen durch die Kultur so war.

Ja! Und: Die Kultur ist nicht mehr im Zentrum. Dort ist Macht, Wirtschaft. Aber wenn Kultur und Bildung nicht mehr im Zentrum stehen, wenn man der jüngeren Generation nicht mehr die Chance gibt, an der Zukunft teilzunehmen, ist diese Zukunft schon im Vornherein tot.

Muss die Kultur mehr auf die Aktualität ihrer Themen hinweisen? Man kann kaum irgendwo so viel über Machtgier lernen wie bei "Macbeth".

Es hat nur einen Sinn, wenn man in der Kultur über die Vergangenheit in die Zukunft sieht. Der Chor zu Beginn des vierten Aktes von Macbeth – "Patria oppressa": Das ist ein Flüchtlingschor, ein ewiges, ein modernes Thema. Und die zweite Arie von Lady Macbeth, "La luce langue": Darin hört man in der zweiten Fassung der Oper schon Anklänge von "Don Carlo", genauer gesagt das Thema von König Philip, das für dessen Macht steht. Bei Verdi ist es die Frau, die Macbeth dazu bringt, nach Macht zu streben. Die Besessenheit von Macht ist ihr wichtiger als die Macht selbst. Trump, in seiner ersten Rede nach der Wahl, war auch ganz anders: Die Aggression war weg. Er wollte die Macht. Und jetzt weiß vielleicht nicht einmal er selbst, was passiert. Genau wie bei Macbeth: Wenn der an die Macht kommt – Anfang des zweiten Aktes – sagt er auch erstmal: Und jetzt?

"Und jetzt" ist eine Frage, die sich auch für die Oper stellt. Wie steht es denn um die Lebendigkeit des Genres?

Man spielt, leider, zu oft das selbe. Ein Haus muss nicht konservativ oder modern sein. Das ist nicht mehr die Frage. Aber es muss das Niveau stimmen, auf allen Ebenen. In "Opernhaus" steckt das W.ort "Haus". Wenn ich ein Haus baue, brauche ich zuerst ein Fundament. Das muss halten! In der Oper geht es um die ganz großen Sänger – aber auch um die kleinen Rollen, um den Nachwuchs, um die Arbeit. Man muss jungen Menschen die Gelegenheit geben, ihren Job zu lernen.

Aber Lehrjahre brauchen kleinere Opernbühnen.

Sollten in Deutschland die kleinen Opernhäuser wirklich schließen, ist das später der Tod für die großen Häuser. Die jungen Menschen müssen wachsen.

Wenn ich nur einen "Macbeth" anhören komme (Termine bis 24. 11.), welcher ist der bessere?

(lacht) Ganz allgemein gesprochen: Alles, was Verdi später komponiert hat, ist besser. Aber wir machen ja nicht zwei komplett unterschiedliche Fassungen, nur das Finale ist anders, und da sind beide spannend. Ich hoffe, das vermischt sich nicht.

Die Kritik zu "Macbeth": Sex und Crime in Schottland

Sie sind beide fast ständig präsent auch dann wenn sie es nicht sein sollten: Bei Verdis „Macbeth“ rückt Roland Geyer das spätere Königspaar in den Mittelpunkt seiner Inszenierung am Theater an der Wien. Der Intendant zeigt in seiner dritten Opernregie ihre Abhängigkeiten, wie die machtgierige Lady Macbeth den Titelhelden in einen blutigen Reigen von Mord und Intrigen treibt und dabei raffiniert mit Sex ködert.

Dafür dient ein dunkel gestylter Raum (Johannes Leiacker) mit einigen roten Vorhängen und einem dreh-, heb- und versenkbaren, innen verspiegelten Zylinder als Zentrum. Er dient als Varietebühne, Tisch, Bett, Thronpodest. Die tanzenden Hexen sind androgyn kostümiert, halb Frauen, halb Männer, halb mit Bärten. Hat die Regie durchaus reizvolle Ansätze so streut man immer wieder wenig erhellende Entbehrlichkeiten ein: Die zweite Hexenszene wird als Albtraum des Titelhelden in einer gewaltigen Videosequenz mit Horrorgrauslichkeiten á la Hieronymus Bosch gezeigt. Zuvor und danach nackte Frauen, eine davon wird von Macbeth erwürgt. Weiters: Echte Ratten, ein Kinderwagen mit einem Totenkopf darin.

Roberto Frontali singt den Titelhelden kraftvoll, meist zu lautstark und teils zu wenig differenziert. Adina Aaron als Selbstmord begehende, erotische Lady Macbeth wirkt in den lyrischen Momenten besser als in den dramatischen. Stefan Kocan ist ein Banco mit sehr kultiviertem Bass. Höhensicher: Arturo Chácon-Cruz (Macduff). Wieder wunderbar: der Schoenberg Chor.

Harte Ausbrüche, auch an der Obergrenze des Phonpegels, und mitreißende Steigerungen sind bei den Wiener Symphonikern unter Bertrand de Billy zu vernehmen aber auch ein subtiler, nicht immer ganz austarierter Feinschliff.

Und das zuerst sehr zurückhaltende Publikum jubelte letztlich doch, wobei Geyer etliche Buhs abbekam! Heute folgt die zweite Premiere mit Plácido Domingo in der Titelpartie.

(von Helmut Christian Mayer)

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