Dieser "Wozzeck“ lässt andere Opern alt aussehen

William Kentridge setzt diesmal auch Farben ein.
William Kentridge inszenierte im Haus für Mozart das Alban-Berg-Werk.

Am Anfang war das Chaos (und der Wahn-begabte Mensch macht es im Verlauf der Geschichte nicht besser, aber dazu später). Auf der Bühne des Hauses für Mozart sieht man eine G’stättn. Einen Ort, wo man sich nicht freiwillig niederlässt. Einen Weg aus Brettern, ein paar Stühle, Möbel übereinandergestapelt, fast wie auf einem Mistplatz.

In dieses Chaos stellt der südafrikanische Künstler William Kentridge seinen Wozzeck. Das Abbild eines Geschundenen, der zum Mörder und Selbstmörder wird. Der in diesem Setting, neben all den durchgeknallten Typen, wie der einzig Normale wirkt. Ein kleiner Soldat, ein Opfer und/oder Täter, so klar ist das nicht.

Dieser Wozzeck geht zu einem Projektor und startet das erste Video. Film ab für ein Opern-Kunst-Werk, das viele andere Produktionen alt aussehen lässt.

Die Regie

Jahrelang hat sich Kentridge mit der Geschichte von Georg Büchner beschäftigt. Und mit Alban Bergs Geniestreich. Während so manch anderer Regisseur eine Produktion nach der anderen aus dem Handgelenk schüttelt, ist bei Kentridge alles lange vorbereitet, mit Kohle gezeichnet, gefilmt, animiert, übermalt, analysiert, neu gedeutet, dennoch aus der Vorlage entwickelt, beleuchtet und letztlich auf die Bühne gebracht.

Ein eigenständiges Kunstwerk, in all seiner Vergänglichkeit. Daher wäre es eigentlich am besten, man würde sich jede der Aufführungen bei den Salzburger Festspielen ansehen, um möglichst viel davon zu behalten (und auch, um mehr und mehr zu verstehen).

Was Kentridge aber zu sagen scheint, ist schon bei der ersten Ansicht klar: Er erzählt die Geschichte von Wozzeck, Marie und ihrem Kind nicht nur als tragisches Liebesdrama, sondern als apokalyptisches Szenario vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges. Das ist schon insofern plausibel, als Berg seine Oper mitten in den Wirren eben dieses Grauens zu komponieren begann.

Kentridge nimmt die Bühne (Sabine Theunissen) als Rahmen, nützt sie raffiniert, macht aus dem anfänglichen Chaos ein solches des Krieges, der Menschen und Häuser zerstört. Man sieht filmisch Schlachtfelder und Landkarten, die zu bluten beginnen. Man sieht Kampfflieger und einen Zeppelin. Versehrte schleppen sich hin und her. Und auch Géricaults Bild "Köpfe von Hingerichteten" wird zitiert. Hier gibt es keinen Ausweg und kaum noch Licht (das von Urs Schönebaum eingesetzte ist in seiner Schwäche ganz stark).

Exzellent ist auch die Personenführung in dieser Produktion, die die Bezeichnung Gesamtkunstwerk verdient. Die Soldateska quält Wozzeck bösartig und zynisch, Marie geht die Affäre mit dem Tambourmajor bereitwilligst ein und agiert hier fast wie eine Lulu. Und ihr Kind ist eine Puppe mit Gasmaske, von zwei Spielern geführt. Die beiden sind auch während der toll inszenierten Zwischenspiele pantomimisch präsent.

Dieser "Wozzeck" von Berg/Kentridge ist vielleicht noch intensiver, kraftvoller, dichter als die "Lulu", die in Amsterdam, New York und London zu sehen war. Was Musik-Theater alles kann, hier wird es deutlich.

Die Musik

Das Dirigat von Vladimir Jurowski am Pult der Wiener Philharmoniker ist präzise, stets kontrolliert, dramatisch, die Geschichte nie verharmlosend, die Schroffheit statt der Ästhetik betonend. Das ist eine höchst solide Leistung (wenn auch "Wozzeck" noch eindringlicher, mitreißender klingen könnte).

Matthias Goerne ist ein Wozzeck, mit dem man von Anfang an mitfühlt und hofft, dass er bis zum Ende stimmlich durchhält. Mit seinem ausdrucksstarken Bariton gestaltet er die zarteren Passagen sehr schön, in den Momenten, in denen es auch auf Kraft ankommt, war er, als er etwa an der MET für Thomas Hampson einsprang oder an der Wiener Staatsoper, um einiges präsenter.

Dank Asmik Grigorian gibt es endlich einmal eine junge, verführerische Marie. Sie spielt famos, verfügt über eine schöne Höhe, aber kaum Dramatik in der Stimme. Gerhard Siegel (Hauptmann), John Daszak (Tambourmajor), Mauro Peter (Andres) und alle anderen sind gut besetzt.

In einer erster Festspiel-Zwischenbilanz lässt sich sagen: Musikalisch war bisher "Lady Macbeth von Mzensk" dank Dirigent Mariss Jansons eindeutig am besten, sängerisch die "Aida" dank Riccardo Muti – dieser "Wozzeck" ist szenisch die beste Produktion, weil die Regie selbst zum Kunstwerk wird, die Thematik überhöht und eine leider ewig gültige Geschichte über Macht und Moral erzählt, ohne dabei in klischeehafte Banalisierungen zu verfallen.

Von Denise Wendel-Poray

Die Menschheit hat heute genau vor dem Angst, was Georg Büchner in den 1830ern im "Woyzeck" beschrieben hat, sagt William Kentridge. Der südafrikanische Starkünstler hat nun für die Salzburger Festspiele Alban Bergs auf Büchner basierende Oper "Wozzeck" inszeniert, die Premiere stand am Dienstagabend im Haus für Mozart auf dem Programm. In allen Vorstellungen dirigiert Vladimir Jurowski die Wiener Philharmoniker, die Titelrolle singt Matthias Goerne. Ausgangspunkt für die Inszenierung war, dass Büchners Werk eine Vorahnung des Ersten Weltkriegs war, so William Kentridge im KURIER-Interview.

KURIER: Ihre fünfte Musiktheaterproduktion, Bergs "Wozzeck", feiert nun in Salzburg Premiere – zwei Jahre nachdem Ihre Version der Oper "Lulu" des Wiener Komponisten in Amsterdam zu sehen war. Sehen Sie diese beiden Projekte als miteinander verwandt an?

William Kentridge: Nun, meine Liste von Produktionen beginnt, sehr wienerisch auszusehen: "Zauberflöte", "Winterreise", "Lulu" und "Wozzeck". Und es stimmt, dass die letzten zwei kurz nacheinander folgen. Doch obwohl es eine Verbindung zwischen ihnen gibt, fühlt es sich viel weniger wie ein gemeinsames Projekt an, als ich erwartet hätte. Es gibt bei den zwei Opern von Berg Ähnlichkeiten in der Musik und im Stil, aber sie unterscheiden sich stark in Umfang und Atmosphäre. Visuell ist das "Wozzeck"-Projekt im Außen angesiedelt: Landschaften und ländliche Gegenden, während "Lulu" innen spielt: die kosmopolitische Stadt und ihre Räume. "Wozzeck" besteht aus winzigen Fragmenten, "Lulu" hat ausgedehnte Motive.

Wie drücken Sie diese Unterschiede in Ihrer visuellen Sprache aus?

"Lulu" wurde durch Tuscheporträts und -zeichnungen dargestellt, bei "Wozzeck" waren es die Körnung und die Schmutzigkeit der Kohle, es war viel "schmutziger". Tuschezeichnungen haben mit Zerrüttung und Zusammenfügung zu tun, du machst eine Tuschezeichnung auf mehreren Blatt Papier und ordnest sie auf verschiedene Art und Weise an. Bei "Wozzeck" begann es viel mehr als Landschaft. Für mich hat die Art, Landschaften zu zeichnen, etwas mit der Rauchigkeit von Kohle für Himmel und Wolken zu tun.

Ist das nicht auch die visuelle Sprache, die Sie in Schuberts "Die Winterreise" angewendet haben, die zum ersten Mal 2014 bei den Wiener Festwochen von Pianist Markus Hinterhäuser und Bariton Matthias Goerne aufgeführt wurde?

Das Projekt "Winterreise" ist tatsächlich zwischen den zwei Opernprojekten angesiedelt. Und die Projektionen von "Winterreise" sind eine Mixtur aus Tuschezeichnungen und Kohle, da haben Sie recht. Zuerst dachte ich, "Wozzeck" wäre viel näher an "Winterreise", und dass wir im Wesentlichen dieselben menschenleeren Landschaften verwenden würden. Aber die Zeichnungen für "Wozzeck" wurden wieder anders. Manchmal stellen sie die Umgebung dar, in der eine bestimmte Szene stattfindet, aber sehr oft sind sie Projektionen der Gedanken der Charaktere.

Im Vergleich zu jener von Schuberts "Wanderer" ist Wozzecks Reise eine brutal realistische.

Ja. Und es gibt einen Ausgangspunkt für diese Produktion, nämlich die Annahme, dass Büchners "Woyzeck" aus 1837 eine Vorahnung des Ersten Weltkrieges ist, der 80 Jahre später stattfinden würde – in der Zeit, in der Berg die Oper schreibt. Wozzecks Halluzinationen – "Da rollt abends ein Kopf! Ein Feuer! Ein Feuer! Es fährt von der Erde in den Himmel…", dann "Still, alles still, als wäre die Welt tot" – werden Vorahnungen. Die Filmprojektionen für "Wozzeck" verweisen auf die Schwarz-Weiß-Fotografien des Krieges von 1914 bis 1918: Da sind Landschaften, Köpfe auf dem Boden, Flugzeuge, Maschinengewehre, Gasmasken, Suchlichter, Stacheldraht, Zeppeline, eine ganze Palette an Bildern, die die herannahende Katastrophe andeuten.

Obwohl ihre Leben anders verlaufen, wurden die Heldinnen von Bergs Opern, Marie und Lulu, in Armut geboren – und sie sterben in Armut. Anders als Lulu wird Marie zwar nie Komfort und Reichtum erfahren, aber ihre tragischen Schicksale sind identisch: Prostitution und brutaler Tod durch Erstechen.

Dieser "Wozzeck“ lässt andere Opern alt aussehen
ABD0039_20170805 - SALZBURG - ÖSTERREICH: Asmik Grigorian (Marie) bei der Fotoprobe der Oper "Wozzeck" von Alban Berg am Freitag, 04. August 2017 im Haus für Mozart in Salzburg. Vom 21. Juli bis 30. August finden die Salzburger Festspiele 2017 statt. - FOTO: APA/NEUMAYR/LEO
Sie sind verwandet, und es gibt die grundlegende Ähnlichkeit darin, dass sie beide ein Statement abgeben: Ich bin meine Natur, nichts wird das ändern – und ich akzeptiere mich als das, was ich bin. Marie sagt zu Wozzeck, sie würde ein Messer in ihrer Brust dem vorziehen, dass ihr vorgeschrieben wird, wie sie ihr Leben zu leben hat. Lulu sagt zu Schön: Du wusstest genau, wer ich war, als du mich aufgenommen hast, du mochtest an mir, dass ich alle meine vorigen Männer verriet, aber nun erträgst du es selber nicht. Lulu ist selbstsicher darin, wer sie ist. Es gibt eine Ähnlichkeit in Stärke und Entschlossenheit. Aber darüber hinaus sind sie sehr verschieden. Lulu verwendet ihre Sexualität, um zu sein, wer sie ist, für Marie hingegen ist Sex, z.B. mit dem Tambourmajor, ziemlich freudlos.

Wie helfen Sie den Sängern dabei, ihre Rollen zu finden?

Ich versuche nie, die Figuren psychologisch zu analysieren, etwa: Lasst uns erarbeiten, wer Marie in Beziehung zu ihrem Vater ist! Für mich geht es mehr darum, die physische Dimension zu erfassen. Wenn zum Beispiel Maria zum Tambourmajor sagt "Lass mich allein": Zieht sie ihn dabei zugleich am Gürtel zu sich – oder stößt sie in weg? Was macht sie genau? In diesen minimalen Entscheidungen erschließt sich mir eine Figur.

Büchner gab dem stammelnden Soldaten Woyzeck eine Stimme, 80 Jahre später gab Berg Büchners unvollendetem Werk eine Stimme. Geben Sie mit Ihrer Inszenierung dem Zwischenraum dieser beiden Werke auch eine Stimme?

Dieser "Wozzeck“ lässt andere Opern alt aussehen
The South African artist William Kentridge poses for the media on May 11, 2016 at Martin Gropius Bau exhibition hall, in Berlin, Germany. His exhibition "No it is!" goes from May 12th until August 21th, 2016. / AFP PHOTO / dpa / Jörg Carstensen / Germany OUT
Das hoffe ich, ich versuche, eine stimmige Welt zu schaffen, in der beide Werke eine Stimme finden können, aber ich setze dem keine vorgegebene Interpretation auf. Jetzt muss man sehen, was die Zeichnungen und die Musik einander und auch den Sängern zu sagen haben, und dann diese Zusammenstellung von Assoziationen darauf wirken lassen, was die Produktion zu sagen hat.
Dieser "Wozzeck“ lässt andere Opern alt aussehen
Gerhard Siegel (Hauptmann), Matthias Goerne (Wozzeck), Jens Larsen (Doktor)

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