Die Zeit der Samstagabend-Shows ist vorbei
Der letzte Vorschlag des ZDF war, er solle ein Gipfeltreffen zwischen Hansi Hinterseer und Eva Hermann moderieren. Das reichte. Der deutsche Schriftsteller und TV-Moderator Roger Willemsen hat sich seither vom Fernsehen zurückgezogen. "Und das Fernsehen sich von mir." Zu erzählen hat er immer noch einiges über dieses Medium, dem (zu Unrecht) nachgesagt wird, es sei vom Aussterben bedroht. Allen voran die große Samstagabend-Show. Womit die Unkenrufer wiederum völlig recht haben, wie Willemsen findet.
KURIER: Glauben Sie, dass es die Samstagabend-Show noch lange geben wird?
Roger Willemsen: Nein. Das Lagerfeuer ist erloschen. Und es war auch schon bei "Wetten, dass..?" erloschen.
Ist es überhaupt noch möglich, heute eine Show zu machen, die die ganze Familie vor dem Fernsehapparat versammelt?
Nein. Das parzelliert sich heute in Gruppen. Und man kann sagen, dass das Fernsehen nur, wenn es sehr selten Dinge anbietet, so etwas wie Ereignisse schaffen kann. Und die Ereignisse sehen in der jüngeren Zeit nicht mehr wie die große Show aus, sondern wie Dschungelcamp.
Das heißt, wenn Thomas Gottschalk nun bei "Wetten, dass..?" in Pension geht, dann geht die Show selbst auch in Pension?
Ich glaube, man wird versuchen, diesen leblosen Körper noch weiter zu beatmen. Und am Ende wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass Gottschalk, nachdem die ARD -Show schiefgeht, wieder zum ZDF zurückkommt und versucht, den Corpus zu exhumieren.
Und für welchen Moderator wird sich das ZDF bis dahin entscheiden?
Man wird sich eine variable Lösung ausdenken, in der Michelle Hunziker eventuell das bleibt, was sie jetzt schon ist, und die Männer zugeordnet werden. Das wär` ja mal ganz nett.
Ihre Einschätzung zum internationalen Vergleich: Ist das ein Deutschland-Phänomen, dass man versucht, die große Familienshow aufrechtzuerhalten, oder gibt es das anderswo noch?
Ich glaube wirklich, das ist ein deutsches Phänomen. Man will nostalgisch mit Zeiten verbunden sein, in denen das Fernsehen noch Tradition hatte. Diese Traditionen sind nicht nur in Internet-Zeiten weitgehend erloschen. Sie sind auch im Fernsehen selber verglüht. Heute heißen die Shows "Das Supertalent" und "Deutschland sucht den Superstar" und sind Freakshows.
Und woraus besteht die Faszination eines solchen Fernsehens?
Das nennt man in der Psychologie Konträr-Faszination. Leute sehen sich das nicht aus Zustimmung an, sondern weil sie sich gruseln. Bei "Wetten, dass..?" war immer noch ein Rest von Zustimmung. Man konnte sich bei dieser Sendung noch erwischen lassen, während die Leute bei anderen Sendungen sagen: Ich habe zufällig dieses und jenes gesehen oder ich habe mal reingezappt. Ich glaube, da ist das Rezeptionsverhalten grundsätzlich ein anderes.
Apropos "Deutschland sucht den Superstar": Ist bei den Castingshows ein Ende abzusehen?
Ich habe mich schon bei der letzten Staffel geirrt, in dem ich behauptet habe, der Stern sinke. In Wahrheit steigt er immer noch. Auch wenn jeder weiß, dass das eine geradezu infame Maschine des Pseudo-Star-Produzierens ist, die genau das, was sie verspricht, in keinem Fall bisher gehalten hat. Nämlich Stars zu produzieren. In Wahrheit geht der Verschleiß weiter, und er dehnt sich sogar auf weitere Sender aus.
Und der zweifellose Unterhaltungswert dieser Sendungen?
Den gibt es, ohne Frage. Aber er liegt eben in einem Fall, nämlich bei Dieter Bohlen, in der wenig sympathischen Haltung des "Gott sei Dank bin ich nicht so wie jene dort", und auf der andere Seite, etwa bei Sarah Connor, gibt es noch eine Basisauseinandersetzung mit dem, was an Musik Musik
ist.
Immer wieder werden die großen Showmaster wie Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff heraufbeschworen: Waren die tatsächlich besser oder ist das reine Nostalgie?
Das ist Nostalgie mit gutem Grund. Die beherrschten zum Beispiel Sprache in einer anderen Weise, als das heute der Fall ist. Die waren erkennbare Individuen. Sie können bei vielen Moderationen, die heute gesprochen werden, keine Zuordnung mehr machen, wer sie gesprochen hat, wenn Sie sie ausschreiben. Die Diktion eines Kulenkampff oder eines Frankenfeld würden Sie immer noch erkennen können. Die hatten ein anderes Verhältnis zur Sprache und zu dem, was man subtilen Witz nennen könnte. Sie waren weniger marktschreierisch.
Sie hatten auch für alles mehr Zeit.
Das Fernsehen ist eben, was seine Effekte angeht, zu einem Trommelwirbel geworden. Wenn man sieht, wie in der Regie Non-Ereignisse hochgejazzt werden. Das Supertalent, etwa: Schwarz-Weiß-Einfärbung, Zeitverzögerung, Slowmotion, Wiederholung, Schockbilder im Publikum. Da weiß man einfach, dass eine Grenze erreicht ist. Die nähern sich dem Video-Clip. Daher kommt auch unsere Nostalgie: die Hoffnung nach einem friedlichen Fernsehparadies, wo man sich Zeit nimmt, wo die Herrschaften noch höflich sind und wo nichts beginnt mit "Genitalien spielen Flohwalzer".
Aber diese Illusion wird das Fernsehen nicht bedienen können?
Nein. Schon deshalb nicht, weil das so wäre, als würden wir uns die agrarische Urlandschaft aus dem Heimatroman des 19. Jahrhunderts wieder wünschen. Die gibt es auch nicht mehr. Die Beschleunigung hat stattgefunden. Man kann nicht daran vorbei, dass die Aufmerksamkeitsspanne viel kürzer ist.
Also drei Stunden "Wetten, dass..?" sind nicht mehr drin?
Nein, das geht sich nicht mehr aus.
Publizist: Roger Willemsen, 1955 in Bonn geboren, ist Publizist und Fernsehmoderator. Der Philosoph und Literaturwissenschaftler begann seine TV-Karriere 1991.
Glotze: Zuletzt moderierte er den Literaturclub des Schweizer Fernsehens. "Die Dosis Fernsehen reicht, mehr als einmal im Monat möchte ich in der Glotze nicht erscheinen."
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