Die Wolfshaut - Von Hans Lebert

Die Wolfshaut - Von Hans Lebert
"Die Wolfshaut" gilt als eine der ersten literarischen Auseinandersetzungen mit den Mechanismen der kollektiven Verdrängung.

Eine fremde, unheimliche Welt eröffnet Hans Leberts Roman "Die Wolfshaut". Der Schauplatz scheint gewöhnlich, ein fiktives, wohl in der Steiermark angesiedeltes Bergdorf mit dem sprechenden Namen "Schweigen". Hinter dem Alltag aus Wirtshaus, Waldarbeit und Lokalpolitik aber öffnen sich Abgründe: Ein dunkles Geheimnis ist in Schweigen begraben, eines, das seinen Ursprung im Naziterror des zweiten Weltkrieges hat. Denn die Geschichte beginnt 1952 – in der Zeit danach. Die Menschen vergessen und verdrängen, sie wollen ihre Ruhe haben und nicht an die Gräuel der Vergangenheit erinnert werden. Ein Außenseiter ist es, der dies nicht zulassen will: Johann Unfreund, ein Matrose, der erst mehrere Jahre nach Kriegsende in die "gottverlassene Gegend" seiner Kindheit zurückkehrt. Abgeschieden lebt er in der Töpferei seines Vaters, der aus unklaren Gründen Selbstmord beging. In der Ruine einer Ziegelei am Waldesrand, nicht weit von seinem Zuhause, entdeckt Johann Unfreund einen Toten. Ratlos attestiert der Amtsarzt einen Herzschlag, aber ein zweiter Todesfall entpuppt sich als Gewaltverbrechen. Das Dorf Schweigen, umtost von einem nicht enden wollenden Sturzregen, wird von Angst heimgesucht. Wer ist der Mörder? Johann Unfreund selbst, der nach seinem Vater fragt? Der zweite Außenseiter des Dorfes, der von allen gequälte Fotograf Maletta, der sich einzig mit seinen Fotografien umgibt? Oder gar der Wolf "Bauernschreck" aus einer lokalen Sage? Während der Regen in starken Schneefall übergeht, gräbt Unfreund weiter in der Vergangenheit.

"Die Wolfshaut" wird hier zum Kriminalroman, der Schicht für Schicht von der Zwiebel des alten Verbrechens abschält: Kurz vor Kriegsende wurden in der Ziegelei Zwangsarbeiter umgebracht. An der Tat beteiligt war Unfreunds Vater, dessen Gewissen ihn in den Selbstmord trieb. Die Mitschuldigen, zum Beispiel der zum Landtagsabgeordneten aufsteigende ehemalige Ortsgruppenleiter Habergeier, haben solche Skrupel nicht. Das Verbrechen an den Unschuldigen bleibt – zumindest teilweise – ungesühnt.

Die Wolfshaut - Von Hans Lebert
Ein Königreich für ein Bild!

Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nannte "Die Wolfshaut" den "ersten radikal modernen Roman der österreichischen Nachkriegsliteratur". Seine Wurzeln liegen aber in der expressionistischen Dichtung: Wie bei Alfred Döblin oder Hans Henny Jahn bricht die Welt auf in Leberts Buch, zeigt die Emotionen der Protagonisten in düster leuchtenden Farben, eingebunden in Naturmystik und Weltenzorn. Da wird der Wind zu einem Kutscher, der mit der Peitsche knallt, die Wolken über das Land hetzt und dazu ein Fuhrmannslied pfeift. Da geht die Langeweile wie ein Gespenst "zwischen den Stacheldrahtzäunen um", da tragen Berge die "Farbe der Verwesung", da wird schließlich das alte Verbrechen zumindest durch eine metaphorische Sintflut gestraft: 100 Tage prasseln Regen oder Schnee auf Schweigen ein, um Dorf und Menschen aufzuweichen.

"Die Wolfshaut" war ihrer Zeit voraus: 1960 erschienen, wollte sich damals kaum jemand mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Von Schriftstellern und Kritikern gelobt, wurden Roman und Autor dennoch schnell vergessen. Erst die Neuauflage von 1991 brachte Leberts Text wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Zwei Jahre später starb der 1919 in Wien geborene Autor in Baden. Sein Buch "Die Wolfshaut" bleibt ein echter Jahrhundertroman: Er weist zurück in die Vergangenheit und gilt als eine der ersten literarischen Auseinandersetzungen mit den Mechanismen der kollektiven Verdrängung, greift aber mit seiner sprachlichen Kraft auch weit in die Zukunft hinaus.

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