Die TV-Familienshow hat ausgedient

Die TV-Familienshow hat ausgedient
"Wetten, dass ..?" ist der Dino unter den Hauptabendshows. Das Fernsehen als Familienevent hat ausgedient. Die Zukunft liegt in Spartensendungen.

Die Kinder wurden gebadet, der Vater kühlte das Bier ein. Die Mutter wusch die letzten Teller vom Nachtmahl ab, die Oma packte die Manner-Schnitten aus. Die Familie nahm Platz vor dem Farbfernseher, auf dem Familienfotos und Mitbringsel aus Venedig standen. Die Fernbedienung war noch nicht erfunden. Die brauchte man auch nicht. Denn jetzt kam Kulenkampff und dem widersetzte sich niemand. Nicht einmal Thomas Bernhard. Wenn "Einer wird gewinnen" kam, ging Bernhard daheim in Ohlsdorf zum Nachbarn Hennetmair fernschauen.

Es waren die 1970er-Jahre und Fernsehen war ein Familienevent, ein Gesellschaftsfaktor, über den man am nächsten Werktag mit den Arbeitskollegen sprach. Heute erhebt höchstens noch Show-Dino "Wetten, dass ..?" den Anspruch darauf, dass am nächsten Tag Menschen aller Altersklassen aus dem gesamten deutschen Sprachraum über Qualität der Gäste, Gottschalks Outfit oder den Spannungsfaktor dieser oder jener Wette sprechen.

Unterstellte Homogenität

Fernsehen als große Erzählung, die alle hören wollen. "In jeder Kultur gibt es den Bedarf nach einer großen Erzählung. Der wurde ab den sechziger Jahren durch diese Art der Fernsehshows gedeckt", sagt Frank Hartmann, Professor für Geschichte und Theorie der Visuellen Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar. "Das Wesen dieser Sendungen: Man verpackte darin eine unterstellte Homogenität. Das Zusammen- vor-dem-Fernseher-sitzen."

Ob dieses familiäre Konstrukt tatsächlich so omnipräsent war, wie uns das Fernsehen das vormachte? "Subkulturelle Formen wurden aus den Medien immer herausgehalten. Die Annahme der vor dem Fernseher versammelten lieben Familie war eine symbolisch hergestellte Medieneinigkeit", sagt Hartmann. In Österreich habe der "Mundl" dieses Bild der lieben Familie früh aufgebrochen.

Ähnlich sieht das der britische Medienwissenschaftler und Fernsehproduzent John Ellis. Fernsehen werde als intimer, alltäglicher Teil des häuslichen Lebens wahrgenommen, analysiert er in seinem Aufsatz "Fernsehen als kulturelle Schrift." Die Sendeanstalten würden sich das Publikum in einer spezifischen Weise vorstellen: Vater, Mutter, Kind. Die Verbreitung dieser Konzeption von Familie sei erstaunlich - denn die Annahme einer Kernfamilie treffe nur auf einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung zu. Wie werden Fernsehmacher in Zukunft mit dem Thema Familie umgehen? "Ich wäre nicht gerne Programmintendant", sagt Hartmann.

Die Probleme liegen nicht nur in der Frage, ob es die klassische Familie heute noch gibt. Das Freizeitangebot ist breiter, das Fernsehen per se hat größere Konkurrenz von anderen Medien, die Sender untereinander kämpfen um Quoten. Um die Fernbedienung braucht keiner mehr streiten - heute hat jeder Haushalt mehrere Empfangsgeräte. Andererseits haben sich auch Lebensstrukturen verändert. Fünf Uhr Dienstschluss, Samstagabend Kuli oder Carrell und sonntags in die Kirche - so strukturiert ist kaum mehr ein Leben.

Keine Familienshow

Welche Antworten die Fernsehmacher darauf finden? "Es wird künftig keine generationsübergreifenden Shows mehr geben", sagt Manfred Teubner, Unterhaltungsschef des ZDF." Die TV-Welt wird immer mehr aufgeteilt." "Wetten dass ..?" sei das letzte Überbleibsel einer Fernsehwelt, die Generationen vor dem TV-Gerät versammelt habe. Wie sich die Show mit neuem Moderator weiterentwickelt "wird man sehen." Jeder Unterhaltungschef beschäftige sich mit der Familienshow. Teubner: "Wenn ich auch nur ansatzweise eine zündende Idee hätte, würde ich es Ihnen sagen."

Unterhaltungsklassiker

Die Frau mit der durchsichtigen Bluse hat Fernsehgeschichte geschrieben. Die 17-jährige Leonie Stöhr wurde in der TV-Spielshow "Wünsch Dir was" mit Dietmar Schönherr und Vivi Bach 1970 für etwas länger als Andy Warhols "15 Minuten" berühmt. Ihr transparentes Oberteil war ein echter Skandal und "Wünsch dir was" war eine jener Unterhaltungsshows, die jeder schaute.

Der Klassiker der Samstagabend-Show war die ARD-Quizsendung "Einer wird gewinnen", die Hans-Joachim Kulenkampff von 1964 bis 1969 und von 1979 bis 1987 präsentierte. Kulenkampff war der charismatische Doyen der TV-Moderatoren, der mit allwissendem, ein wenig spöttischem Blick eine Komplizenschaft zu seinem Publikum suchte und fand.
Anders war da schon Rudi Carrell, der ab den frühen 70er-Jahren mit Sendungen wie "Am laufenden Band" unterhielt. Carrell war der Typ "frecher Clown", der sein holländisches Idiom samt Grammatikfehlern zur Marke machte.

Heute noch Kult ist das ursprünglich Donnerstagabend ausgestrahlte "Dalli Dalli", dessen Neuauflage der NDR derzeit mit Kai Pflaume Samstagabend probiert. Und dabei auf den hohen Nostalgiefaktor der Sendung setzt. Man weiß eben noch, wie Hans Rosenthal, der kleine Mann mit der sanften Stimme, mit der Stoppuhr in der Hand zum "Dalli-Klick" lud und besondere Leistungen mit einem Luftsprung belohnte.

TIPP: Das Jüdische Museum München zeigt bis 6. November die Ausstellung "Das war spitze! Jüdisches in der deutschen Fernsehunterhaltung". Die Schau unternimmt eine mentalitätsgeschichtliche Reise in deutsche Wohnzimmer und nähert sich populären Persönlichkeiten wie Hans Rosenthal.

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