Die modernste Opernbühne der Welt

© Gordon Welters Die Decke im Zuschauerraum wurde um fünf Meter gehoben, die Akustik verbessert.
Berlins Staatsopern-Intendant Matthias Schulz über den 400-Millionen-Umbau und die Zukunft des Genres.

Die Berliner Staatsoper Unter den Linden, eines der renommiertesten Opernhäuser der Welt, öffnet nach einer Umbauzeit von sieben Jahren wieder ihre Pforten. Am Samstag gibt es am Vorplatz ein Gratiskonzert für 50.000 Besucher. Am 3. Oktober können Gäste im Opernhaus, das um 400 Millionen Euro renoviert wurde, Schumanns "Szenen aus Goethes Faust" sehen. Generalmusikdirektor Daniel Barenboim dirigiert. Intendant des Hauses (bis April 2018 gemeinsam mit Jürgen Flimm, danach alleine) ist Matthias Schulz.

KURIER: Sie haben erfolgreich die Stiftung Mozarteum und damit auch die Mozartwoche geleitet und sind nun für das historisch bedeutendste Opernhaus in einer Metropole verantwortlich. Wenn Sie Ihre Rollen in Berlin und Salzburg vergleichen – wo liegen die größten Unterschiede?

Matthias Schulz: In Salzburg hatte ich die Rolle, dem zu Bürgerlichen und zu Katholischen etwas entgegenzusetzen. Das bringt in Berlin so nichts, weil das Umfeld völlig anders ist. Hier besteht eher die Gefahr, dass alles in einer pseudo-hippen Einheitssauce aufgeht. Ich sage das, obwohl zeitgemäßes, mutiges Theater für mich natürlich eine große Bedeutung hat. In Salzburg ist man sich dessen, was man hat, kulturell sehr bewusst und kann auch mal über das Ziel hinausschießen. In Berlin geht das eher in die andere Richtung. Hier ist es eher selbstverständlich, dass man an 365 Tagen die besten Künstler zu Gast hat. Das wird manchmal nicht genügend deutlich gemacht. Wobei mir, aus Salzburg kommend, dieses Understatement ganz gut gefällt. Für mich konkret geht es jetzt einmal darum, dieses unglaubliche Haus zu bespielen, das mit so viel Liebe renoviert wurde.

Was ist so unglaublich daran?

Dieses Haus atmet 275 Jahre Geschichte, auch mit großen Brüchen. Am Anfang war es der Stolz Preußens, dann ist es dreimal zerstört worden. 1843 ist es niedergebrannt, da hat sich bei einem Militärballett eine glimmende Patrone im Vorhang verfangen, über Nacht hat es zu brennen begonnen. Das müssen apokalyptische Bilder gewesen sein. 1941 und 1945 wurde es von Bomben getroffen. In den 1950er-Jahren erfolgte der Wiederaufbau durch den DDR-Architekten Richard Paulick – dieser Zustand war jetzt auch das Vorbild für die Renovierung.

Mit zahlreichen Neuerungen ...

Natürlich, es gibt drei große Unterschiede. Erstens die Decke im Zuschauerraum. Sie wurde um fünf Meter angehoben, dadurch wurde das Raumvolumen um ein Drittel vergrößert und damit auch die Nachhallzeit. Es wurde ein Element aus Kunstkeramik eingebaut mit einem Hohlraum dahinter. Jetzt gibt es eine perfekte Balance zwischen Textverständlichkeit und Klangentfaltung.

Der zweite große Unterschied?

Das ist die Bühnenerweiterung nach hinten. Der Zuschauerraum hat die Ausmaße von vor 275 Jahren in etwa behalten. Aber die Bühne ist immer angewachsen. Die österreichische Firma Waagner Biro hat die Bühnentechnik völlig neu gemacht, allein da sind 50 Millionen hineingeflossen. Es ist so wunderbar geworden, dass die angestrebte Dezibelzahl beim Fahren der Hubpodien nochmals unterschritten wurde. Wir können jetzt innerhalb von Sekunden, völlig lautlos, eine neue Welt erschaffen. Dazu kann man die gesamte Szenenfläche kippen. Das gibt es sonst noch nirgends.

Und die dritte Änderung?

Ein neues, unterirdisches Bauwerk, ein riesiger Gang, der das Probebühnenzentrum mit der Bühne verbindet. Man kann nun von der Probebühne 1 per Lift ein sechs Meter hohes Bühnenbild fast als Ganzes direkt auf die Bühne bringen. Früher musste man das in 20 Teile zerlegen und über die Straße ruckeln. Der logistische Vorteil ist gewaltig: Man kann vormittags etwas proben und abends etwas anderes spielen.

Wofür brauchen Sie das überhaupt? Sie spielen ja nicht so viele verschiedene Werke. Oder soll es künftig in Richtung Repertoiresystem gehen?

Ein solches Haus verpflichtet, viel zu spielen. Wir haben einen Semistagione-Betrieb mit etwa 25 Werken pro Spielzeit. Im ersten Jahr bringen wir acht Opernpremieren heraus. Diese Frequenz soll auch so bleiben.

Wie viele Spieltage gibt es?

In der ersten Saison noch weniger, weil wir nach der Schumann-Premiere wieder zwei Monate schließen müssen, um alles fertig zu bekommen und erst ab Dezember regelmäßig spielen. In Zukunft sollen es 150 Opernabende werden plus Konzerte plus Ballett plus Tourneen der Staatskapelle plus Aufführungen im Apollosaal, dem historischen Orchesterprobesaal.

Wie viel hat der Umbau gekostet? Ursprünglich waren 235 Millionen Euro vorgesehen.

Der aktuelle Stand ist meines Wissens 400 Millionen. Es gab viele Schwierigkeiten beim Umbau, auch durch das Grundwasser, das in Berlin sehr hoch ist. Man kann vermutlich nicht ausschließen, dass noch die eine oder andere Million dazukommt. 200 Millionen kommen vom Bund, drei Millionen vom Freundeskreis, den ganzen Rest zahlt das Land Berlin.

Wie geht das in einer Stadt, die zwar sexy, aber arm ist?

Der Spruch stammt vom ehemaligen Bürgermeister Klaus Wowereit. Mittlerweile ist Berlin noch mehr sexy und nicht mehr so arm.

Die Berliner Staatsoper war zuletzt nicht zwingend unter den Tophäusern der Welt. Wo sehen Sie in Zukunft ihren Platz?

Es geht darum, um die besten Künstler zu werben, interessante Konstellationen, neue Regienamen zu finden, sicherzustellen, dass nicht nur bei den Neuproduktionen superinteressante Dirigenten am Pult sind. Auch einen Typus von Sängern mitzubefördern, der seine Karriere nicht auf vier Arien aufbaut, sondern für den auch Schauspiel wichtig ist sowie die Liebe zur Neuen Musik. Wir planen selbstverständlich Uraufführungen, drei Auftragswerke haben wir schon vergeben.

Wissen Sie, was Oper 4.0 heißt?

Selbstverständlich kann ich mir vorstellen, was gemeint war, als der Ausdruck in Wien fiel. Wir sind auch dabei, Konzepte für ein digitales Opernhaus zu entwickeln, bei dem man einen sinnvollen Kontakt mit dem Publikum herstellen kann. Das ist wichtig, weil viele Jugendliche heute lernen, in Zehn-Sekunden-Aufmerksamkeitsspannen zu leben. Aber so ein Projekt darf nicht zum Selbstzweck werden. Das Ziel muss sein, dass man die Leute dazu bewegt, hier mal reinzugehen, den Raum spüren zu wollen. Oper hat viel mit dieser Räumlichkeit zu tun. Oper ist die Kunstform, die alle Sinne gleichermaßen anspricht. Oper ist im besten Sinne zu viel von allem. Eine Gesellschaft, die so etwas hervorbringen kann, ist eine gesunde Gesellschaft.

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