Die Lust am Kino des Grauens

Warum fürchten wir uns so gerne im Kino? - Klassiker des modernen Horrors: "Psycho" (1960)
Wer sich fürchten will, hat derzeit viel Gelegenheit – im Filmmuseum und beim /slash Filmfestival.

Warum gruseln wir uns gerne im Kino? Warum genießen wir Gänsehaut? Worin liegt der wohlige Schauer beim Anblick lebender Toter, ekeliger Monster und dämonischer Serienkiller?
Die Lust an der Angst und worin sie besteht – darüber haben sich schon viele die Köpfe zerbrochen.

In psychoanalytisch inspirierten Lesarten liegt der Genuss an den Ekelzuständen im Kino etwa darin, an eine Zeit in der Kindheit anknüpfen zu können, die noch keinen Ekel kannte.
Aber es gilt auch die umgekehrte These: Horror im Kino erlaube es uns, alle möglichen (Todes-)Ängste und Schreckensmomente zu durchleben – allerdings aus der sicheren Distanz des Filmzuschauers. Katharsis oder Kindheitsnostalgie – in Wien bieten sich derzeit exquisite Gelegenheiten, das Fürchten zu genießen.

Die Lust am Kino des Grauens
Filmmuseum - Horrorschau
Das österreichische Filmmuseum zeigt eine profunde Schau über die Entwicklung des Horrorfilms zwischen 1918 und 1966: „Carnival of Souls“ (bis 17. Oktober) umspannt die Eckpfeiler des fantastischen Kinos bis zur Geburt des modernen Horrorfilms. Klassiker der Fantastik wie Wienes expressionistischer Albtraum „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) und Murnaus Langfinger „Nosferatu“ (1922) werden ebenso gezeigt wie Hitchcocks Slasher-Werk „Psycho“, das 1960 den modernen Horrorfilm im Mainstreamkino einläutete.

Die Schau umfasst 51 Werke und präsentiert auch Glanzstücke aus dem Low-Budget-Kino eines Roger Corman und der englischen Horrorschmiede Hammer-Studios. Zu den Hammer-Preziosen zählt dabei John Gillings „The Plague of the Zombies“ (1966), dessen Untote eine Schnittstelle zu Romeros radikaler Zombie-Kritik in „Night of the Living Dead“ (1968) darstellen. Gillings schneidiges und unglaublich unterhaltsames Friedhof-Drama schwelgt in satten Farben und dicken Blutstropfen. Dass die Zombies unterdrückte Arbeiter im Dienste eines Vodoo-treibenden Gutsherren sind, stellt ihre Rache in den Dienst eines klassenkämpferischen Bewusstseins.

Wenn der Berg ruft

Die Lust am Kino des Grauens
slash Filmfestival
Horror, heißt es oft, zeige das, was eine Gesellschaft unterdrückt. Sehr wörtlich nimmt diese Prämisse der österreichische Horrorfilm „Blutgletscher“ von Regisseur Marvin Kren, mit dem am Donnerstag „/slash – Das Festival des fantastischen Films“ eröffnet wird (bis 29. September).

Es ist buchstäblich die unterdrückte Natur, die hier in Form von Tier-Ungeheuern ihre Rache sucht. Riesenasseln verbeißen sich in die Gesichter von Wissenschaftlern und drachenähnliche Geier stürzen wie Hitchcocks „Vögel“ aus heiterem Himmel. Kren schafft eine gute Balance zwischen dem düsteren Realismus einer abgelegenen Bergstation in den Alpen und schönen, dem Horrorgenre bestens angemessenen Schockeffekten.

Hai-Tornado-Kult

"Blutgletscher" (Kinostart: 27. 9.) feiert auf dem /slash Filmfestival – wie auch über vierzig Filme des zeitgenössischen Horror-Kinos – seine Österreichpremiere. Zu den weiteren erwarteten Höhepunkten zählen Quentin Dupieuxs „Wrong Cops“, in dem Marilyn Manson als Teenager auftritt; Hideo Nakata, der mit „The Complex“ an klassischen Japan-Horror des Übernatürlichen anschließt.

Oder auch Anthony C. Ferrantes Hai-Horror „Sharknado“, in dem ein Sturmwind die bissigen Flossenträger durch ganz Los Angeles weht. Der Film sorgte im Sommer für tagelange Furore auf Twitter – und wurde umgehend Kult.

Peter Vitouch ist Medienpsychologe und Professor am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Im Interview erklärt er dem KURIER, warum Horrorfilme bei den Menschen so beliebt sind und welche Gefahren sie mit sich bringen.

KURIER: Was fasziniert den Menschen am Genre Horror?

Peter Vitouch: Die Menschen können sich der Angst in ungefährlichen Situationen nähern. Sie können sich Bedrohungen auseinandersetzen, ohne dass diese dabei entstehen. Es sehen sich eher ängstliche Leute Horrorfilme an, um mit der Situation fertig zu werden. Dies funktioniert, weil die Auseinandersetzung fiktiv ist. Sie findet in einer gesicherten Umgebung statt.

Die Horrorfilme werden immer realistischer und brutaler. Steigt damit auch die Gefahr, dass Gewaltszenen imitiert werden könnten?
Je realistischer solche Szenen sind, desto bedenklicher sind diese. Filme sind aber sicher nicht der einzige Grund, warum Menschen Gewalt anwenden. Die soziale Umgebung, in der sich ein Mensch befindet, ist von großer Bedeutung.

Es gibt viele Beispiele, wo vor allem Jugendliche die Szenen einzelner Gewaltfilme nachahmen. Im Juli 2002 in Potzlow töten Jugendliche Marinus Schöberl, nachdem sie den Film "American History X" gesehen haben. Besteht speziell bei Jugendlichen die Gefahr einer Imitation einzelner Gewaltszenen?
Bei den Jugendlichen ist das ein großes Problem. Sie verspüren oft so etwas wie einen gewissen Gruppendruck und müssen dann zum Beispiel Tapferkeitsrituale bestehen um zur Gruppe gehören zu dürfen. Dass führt dann oft zu bedenklichen Verhaltensweisen.

Wie kann man Angst bewältigen?
Jeder Mensch bewältigt Angst anders. Je nach den Erziehungsstilen können sich verschiedene Angstbewältigungsstrategien entwickeln, zwischen denen es große Unterschiede gibt. Es gibt die defensive und die nicht defensive Angstbewältigungsstrategie. Bei der defensiven Angstbewältigungsstrategie beschäftigt sich die Person so wenig wie möglich mit Angstreizen. Bei der nicht defensiven Strategie stellen sich die Personen der Bedrohung schon zu einem frühen Zeitpunkt. Sie suchen sich bewusst Bereiche, wo Angst anzutreffen ist.

Verarbeiten Frauen und Männer gewalttätige Inhalte anders?
Frauen reagieren anders als Männer. Während sich die Männer oft mit den Tätern identifizieren, schlüpfen Frauen oft in die Rolle des Opfers. Werden Gewaltszenen explizit realitätsnahe gezeigt, steigt auch die Möglichkeit einer Identifizierung mit einer Person.

Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler George Gerbner sagt, dass Menschen zusehends in einer sogenannten Fernsehwelt leben. Können Menschen immer zwischen Realität und Film unterscheiden?
Menschen sind durchaus in der Lage zwischen der realen und der Fernsehwelt zu unterscheiden. Bereits kleine Kinder entwickeln eine sogenannte media literacy, eine mediale Buchstabierfähigkeit. Kinder können also schon zum Beispiel bei Trickfilmen zwischen Fiktion und Realität unterscheiden.

Wann flüchten Menschen in den Eskapismus und kann starker Medienkonsum diesen fördern?
Die Wirklichkeit bzw. Realitätsflucht lädt den Menschen ein, Probleme zu vergessen und sich zu entspannen. Es gibt unterschiedliche Arten des Eskapismus. Die einen gehen joggen, die anderen sehen stundenlang fern. Jeder entwickelt seine eigene Art mit den Medieninhalten umzugehen.

Können Gewaltdarstellungen in gewisser Weise auch abschreckend wirken?
Ja können sie. Die sogenannte Prohibitionsthese besagt, dass Gewalt in einer bestimmten Form durchaus abschreckend wirken kann. Es führt also nicht immer gleich dazu, dass Personen Gewalt imitieren. Vor medialer Gewalt kann man sich auch leichter distanzieren als von realer Gewalt.

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