Die heilige Johanna von Gumpendorf

Lisa Schrammel (im Hintergrund Raphael Nicholas, Jens Claßen, Georg Schubert)
Christian Himmelbauer montierte den Stoff der Jeanne d’Arc schlüssig neu.

Johanna von Orleans hätte zur #metoo-Debatte wohl das eine oder andere beizutragen gehabt. Zu den Dauerbrennern Kriegsführung, Patriotismus und religiös motivierter Bluttaten sowieso. In die heilige Jungfrau aus dem Frankreich des 15. Jahrhunderts wurde posthum vieles projiziert. Überliefert ist: Sie hörte die Stimme Gottes, der ihr befahl, die Engländer (weitgehend erfolgreich) aus dem Land zu jagen. Dabei überlebte sie schwerste Verletzungen, um letzten Endes einer geistlich-adeligen Intrige zum Opfer zu fallen. Die kirchlichen Inquisitoren schickten sie auf den Scheiterhaufen, wo sie im Alter von 19 Jahren starb. Später wurde sie heilig gesprochen.

Regisseur Christian Himmelbauer hat die Geschichte der Jeanne d’Arc für das TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße anhand von Originalzitaten aus der Gerichtsverhandlung gegen sie neu montiert. Ihm gelang ein famoser Leistungsnachweis dessen, was zeitgenössisches Theater aus vorgeblich durchgekauten Stoffen herauszuholen weiß.

Lisa Schrammel überzeugt als kühne Bauerstochter Johanna, die sich den gebildeten Inquisitoren Ole (Jens Claßen), Sören (Raphael Nicholas) und Lars (Georg Schubert) gegenübersieht. Die drei versuchen mit diabolisch-viriler Energie, die junge Frau theologisch aufs Glatteis zu führen, um sie verurteilen zu können. Erst als ihr Gewalt angetan wird, gesteht Johanna.

Macht und Sexualität

Die Inhalte stammen aus einer Zeit, in der Frauen es als strafbare Sünde galt, Männerkleidung zu tragen, Übergriffe und anmaßende Untersuchungen jedoch völlig in Ordnung waren – ein Stoff also, der in diesen Wochen wie geschaffen scheint als historischer Kommentar zu den großen Debatten über Macht und Sexualität.

Verpackt ist die Handlung in eine quadratische, schlichte Bühne, die mit zwei Schiebewänden und drei Pulten auskommt. Vorne in der Mitte hält Schrammel als Johanna 90 Minuten lang in kräftigem Spiel den körperlichen Anmaßungen und intellektuellen Übergriffen der Inquisitoren stand. Die Märtyrerin gerät dabei zum Role Model für all jene, denen im Alltag schreiende Ungerechtigkeit widerfährt. Heute würde sie auf ihre persönliche Freiheit pochen, zu Jeanne d’Arcs Lebzeiten brauchte es göttliche Visionen für derlei Ansprüche.

Die drei geistlichen Richter verkörpern als selbstgewisser Gegenpart die berühmten männlichen Machtnetzwerke: In Wahrheit weiß jeder, dass die Jungfrau sich nichts zu schulden kommen ließ, aber politisches Powerplay verlangt eben ihre Verurteilung.

Himmelbauers Zitat-Montage gereichte zu einer schlüssigen Johanna-Neuerzählung für die progressive Wiener Bühne. Zwar war nicht jeder inszenatorische Gag vom Zuschauerraum aus nachvollziehbar, aber dort erfreute man sich an einer überzeugenden Arbeit – mit einer großartig auf den Kopf gestellten Schlussszene.

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