Die geheime Goldgrube der Kreativität

Michael Joo, SRS No. 8, aus der Sotheby's - Auktion des Artist Pension Trust.
Der „Artist Pension Trust“ gilt als weltweit größte Sammlung von Gegenwartskunst. Die Erfinder des mysteriösen Fundus arbeiten auch an der digitalen Erfassung des Kunstmarkts.

Die größte Sammlung zeitgenössischer Kunst ist nicht in einem schicken Museumsbau und auch in keiner Luxusvilla zu finden: Sie ist ein Pensionsfonds.

Nur Insider wissen von der Kollektion, die seit ihrer Gründung 2004 auf nahezu 13.000 Kunstwerke angewachsen ist. In zwei Auktionen am 2. März und am 12. April tritt nun ein kleines Stück an die Öffentlichkeit: Erstmals gelangen Stücke der Kollektion bei Sotheby’s zur Auktion. Werke bekannter Größen wie dem Turner-Preisträger Douglas Gordon oder der österreichischen Gruppe Gelatin sind dabei.

Mit 34 Werken im Schätzwert von 464.000 US-Dollar ist es dennoch nur ein kleines Aufblitzen eines riesigen Investment-Vehikels, hinter dem wiederum ein Big-Data-Unternehmen steht. Und dieses schickt sich an, den Kunstmarkt , wie man ihn kannte, umzukrempeln.

Die geheime Goldgrube der Kreativität
Sotheby's, Artist Pension Trust, honorarfrei zur Auktion, Werktitel tba
Der „Artist Pension Trust“ (kurz APT), den der israelisch-stämmige Start-Up-Unternehmer Moti Shniberg ins Leben rief, funktioniert im Kern simpel: Künstlerinnen und Künstler verpflichten sich dazu, über einen Zeitraum von 20 Jahren insgesamt mindestens 20 Werke in die Sammlung „einzuzahlen“. Die teilnehmenden Kunstschaffenden werden von Kuratoren eingeladen und zu regionalen „Pools“ gruppiert. Wird ein Werk verkauft, erhält dessen Urheber 40 Prozent des Preises – weniger als in einer Galerie. 32 Prozent werden auf die anderen Künstler des „Pools“ aufgeteilt. Die restlichen 28 Prozent behält sich das Unternehmen selbst.

Selbsthilfe

Die eine Überlegung hinter dem System lautet: Künstler, deren Werke mit den Jahren wertvoller werden, können andere unterstützen, bei denen dies nicht der Fall ist. Zugleich weiß man, dass die meisten zeitgenössischen Künstler meist nur über einen begrenzten Zeitraum „angesagt“ und nachgefragt sind. Die Gruppierungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass es in jedem „Pool“ zu jeder Zeit zumindest eine „angesagte“ und damit lukrative Künstlergröße gibt.

Die geheime Goldgrube der Kreativität
titel: untitled, one eye 52x34x3 cm 2007 Plastilin auf holz / Honorarfrei zum Artikel Artist Pension Trust
„Je nachdem, welche Arbeiten man einbringt, erhält man in dem System Punkte“, erzählt Künstler Florian Reiter von Gelatin dem KURIER. „Nach diesen Punkten wird man dann am Erlös beteiligt.“ Bisher habe man allerdings noch kein Geld bekommen, sagt Reiter der mit seinen Kollegen dem Fonds vor zehn Jahren beitrat – teils aus Neugier, teils aus praktischen Überlegungen: „Eine Arbeit, die wir eingebracht haben, stand zuvor im Zoom Kindermuseum in Wien, eine relativ große Installation. Die hätten wir nicht einlagern können“, sagt der Künstler. „APT nimmt einem da Arbeit ab.“

Kunst als Daten-Mine

Doch die „Künstler helfen Künstlern“-Idee ist nur ein Teil der Geschichte. Denn der Eigentümer des „Artist Pension Trust“ ist „Mutual Art“, ein Unternehmen, das eine umfassende Kunstdatenbank betreibt und auch selbst als Händler am Markt aktiv ist. Auf www.mutualart.com können zahlende Abonnenten nicht nur die Preisentwicklung diverser Künstler exakt verfolgen, die Website bietet auch Schätzgutachten für – digital „eingereichte“ – Werke an und verspricht, Kunst und Käufer je nach Interessensprofil zu vernetzen. Der Kunst-Fundus des „Artist Pension Trust“ ist dabei handfester „Content“ für digital abgewickelte Kunst-Geschäfte.

Wie der libanesische Künstler Walid Raad in einer Recherche, die er u.a. 2011 bei TBA-21 in Wien präsentierte, herausfand, steht der Gründer von „Mutual Art“ und „APT“ auch hinter einer Gesichtserkennungssoftware, die 2012 an Facebook verkauft wurde. Auch MutualArt erkennt und verknüpft alle nur möglichen Faktoren von Bildern: Laut Raad analysiert man sogar den farblichen Aufbau und stellt Zusammenhänge mit der Wertentwicklung her.

Sündenfall?

Die geheime Goldgrube der Kreativität
Sotheby's, Artist Pension Trust, honorarfrei zur Auktion, Werktitel tba
Ganz ohne den „etablierten“ Betrieb geht es allerdings nicht: Vor allem Ausstellungen generieren Aufmerksamkeit und Wert; daher ist der APT auch als Leihgeber hoch aktiv. Die Auktionen dienen nicht zuletzt einer Wertbestimmung, die wieder in die Datenbanken zurückfließt.

Den Vorwurf, dass sich ein datengetriebenes Investment-Unternehmen vampirisch an Erzeugnissen der Kultur nährt, mussten sich „MutualArt“ und APT oft gefallen lassen. Dass etablierte Experten beim Projekt mitmachen – Mitbegründer David Ross etwa war früher Direktor des New Yorker Whitney Museum – gilt manchen als Sündenfall. Vielleicht bewiesen diese Menschen aber nur Realitätssinn: Die algorithmische Entzauberung der Welt macht vor der Kunst längst nicht mehr halt.

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