Salzburger Festspiele: Die Eroberung auf dem Sofa

Bo Skovhus ist Cortez, der Eroberer, in diesem Fall aber der Ehemann in Küchenschürze, der auf dem Schoß von Angela Denoke (der zu erobernden Montezuma) liegt und nur  ein Buch über die Maya-Tempel liest
Großer Erfolg mit Wolfgang Rihms Oper "Die Eroberung von Mexiko" in der Regie von Peter Konwitschny.

Künstlerisch erfolgreicher hätten die Salzburger Festspiele 2015 kaum beginnen können.

Ein Werk des späten 20. Jahrhunderts, also ein klares Plädoyer für die Wichtigkeit Neuer Musik;

ein zweifellos idealer Dirigent für diese Produktion;

Protagonisten, die sängerisch und darstellerisch begeistern;

und dazu ein Regisseur, der ein intellektuell anspruchsvolles, mehr assoziatives als inhaltlich stringentes Stück Musiktheater genial auf die Bedeutung für unsere Zeit hinterfragt und auf individuelle und innerfamiliäre Themen herunterbricht – und für all das gibt es noch dazu große Zustimmung des Premierenpublikums in der Felsenreitschule, die den Mut einer solchen Programmierung belohnt. Ein erfreulicher Auftakt.

Spätes Debüt

Vorwurfsvoll äußern kann man höchstens, dass das Salzburger Regiedebüt des heute 70-jährigen Peter Konwitschny um mindestens 20 Jahre zu spät erfolgte. Was hätte man von diesem sensiblen, enorm musikalischen, Provokation nie nur um der Provokation willen, sondern stets aus dem Werk entwickelnden Mann in dieser Zeit dort sehen können ...

Aber jetzt!

"Die Eroberung von Mexiko", 1992 in Hamburg uraufgeführt, zuletzt 2013 im Abschlussjahr der Intendanz von Gérard Mortier am Teatro Real in Madrid realisiert, ist ein Werk des 1952 geborenen Komponisten Wolfgang Rihm, von dem auch das Libretto stammt. Dieses basiert auf Schriften des Theatertheoretikers, Autors und Schauspielers Antonin Artaud (1896 – 1948), der die klassischen dramatischen Regeln überwinden und durch ein zutiefst surrealistisches, höchst emotionelles, stark körperlich orientiertes Theater ersetzen wollte.

Verankerung

Dass dieses Werk bereits mehrfach andernorts gespielt wurde, ist kein Problem, weil der internationale Wettbewerb um Uraufführungen für die Rezeptionsgeschichte weit weniger wichtig ist als das Bemühen um nachhaltige Verankerung im Opern-Alltag. Außerdem fand ja zuletzt die Uraufführung von Rihms "Dionysos" im Bühnenbild von Jonathan Meese 2010 in Salzburg statt, musikalisch ebenso von Ingo Metzmacher aus der Taufe gehoben.

Inhaltlich thematisiert Rihm diesfalls die Eroberung Mexikos durch die Spanier ab 1519 anhand des Aufeinandertreffens des Konquistadors Hernán Cortés mit dem aztekischen Herrscher Montezuma. Die historischen Fakten sind im Libretto bestenfalls angedeutet, aber Rihm geht es ja ohnehin um Allgemeingültigkeit, um Mechanismen von Macht, Eroberung und Unterwerfung.

Im Zentrum seiner intensiven, mitreißenden, dramatischen, sensitiven Musik stehen daher auch nicht Melodien. Man hört Klangflächen, atmosphärische Gebilde, rhythmische Konstruktionen ohne klar definierten Anfang, weit über das Ende hinausreichend. Auch die Möglichkeiten der Singstimme werden gesprengt: Es wird gehaucht, gestöhnt, gehechelt, Ausdruckskraft ist wichtiger als der gewohnte Klang.

Cortez ist bei Rihm naturgemäß ein Mann – er wird im Orchester von zwei Sprechern (Stephan Rehm, Peter Pruchniewitz) ergänzt. Montezuma hingegen ist als Frau konzipiert, deren Stimme im Orchester von zwei Sängerinnen (Susanna Andersson, Marie-Ange Todorovitch) weitergetragen wird. Auch im Libretto geht es um die Kategorien männlich – weiblich – neutral.

Klanginseln

Das mutet nun alles enorm komplex und vielleicht sogar unverständlich an, erschließt sich aber völlig in der fabelhaften musikalischen Gestaltung durch Ingo Metzmacher, der auch die Uraufführung dirigiert hatte, und das RSO Wien. In der Felsenreitschule gibt es – ähnlich wie zuletzt bei Zimmermanns "Soldaten" – zusätzlich zu den Musikerinnen und Musikern im Graben und zwei Geigen auf der Bühne mehrere über den ganzen Raum verteilte Klanginseln, auf denen in erster Linie Schlagwerker postiert sind. Metzmachers Dirigat ist präzise, analytisch, durchaus aber auch sinnlich.

Dank der Regie von Peter Konwitschny wird auch die Geschichte klar und linear, wenngleich Mexiko auf der Bühne (Johannes Leiacker) nur in Form von Bildern und Büchern vorkommt. Konwitschny macht, was er schon so oft grandios gemacht hatte: Er erzählt historische Themen anhand von zeitgemäßen, individuellen Schicksalen. Weltgeschichte wird zum Familienstreit. Die Eroberung findet auf dem Sofa statt. Die Regie erinnert stark an seine Umsetzung der Ballettszene in Verdis "Don Carlos" als Traum der Eboli.

Der Eroberer, stimmlich und darstellerisch brillant besetzt mit Bo Skovhus, klopft mit roten Rosen in der Hand an die Tür der zu erobernden Montezuma, ebenso phänomenal gespielt und gesungen von Angela Denoke. Das Rendezvous läuft aber aus dem Ruder, aus den Bedürfnissen des Macho wird Gewalt, Menschen aus dem Publikum stürmen als Voyeure auf die Bühne und beginnen sogar eine brutale Sexparty.

Kriegsspiele

Dumme männliche Fantasien treffen auf weibliche Bedürfnisse. Die Götzen unserer Zeit sind schnelle Autos inmitten eines Autofriedhofes. Und wenn das männliche Prinzip in das aufgeräumte Zimmer der Frau einbricht, herrscht rasch Chaos. Heirat, Biederkeit, baldiges Desinteresse am Partner – all das inszeniert Konwitschny. Bis hin zur Geburt dessen, was uns angeblich mit der Zukunft verbindet: Montezuma bringt Computer zur Welt, der Krieg findet auf der PlayStation statt. Am Ende sitzt der Mann verlassen auf dem Sofa – auch der Eroberer ist angesichts der Gewaltmechanismen ein Verlierer.

Mit Denoke und Skovhus ist das beeindruckender und klarer, als es jede historisierende Inszenierung mit Azteken hätte sein können.

KURIER-Wertung:

Salzburger Festspiele: Die Eroberung auf dem Sofa
Es  geht um die Begegnung mit dem Fremden – und die Mechanismen von dessen Zerstörung in Wolfgang Rihms Oper „Die Eroberung von Mexiko“ in der Felsenreitschule.

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